II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 416

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11. Reigen
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Freiteg
kussion über ästhetische oder ethische Fragen ein¬
lassen und gar nicht fragen, was der „Reigen“
künstlerisch und ethisch bevente. Wollte man die
Frage beurteilen, was der „Reigen“ künstlerisch
oder ethisch bedentet, so würde sich herausstellen,
daß Stücke, wie der „Reigen“ in zahl¬
reichen Fällen aufgeführt werden
(Rufe bei den Christlichsozialen: Wo denn?),
ohne irgendeinen Anstoß bei frommen Gemütern
zu erregen, wie beispielsweise Stücke im Joses¬
städter Theater, die sich vom „Reigen“ badurch
unterscheiden, daß ihnen die letzte Spur
künstlerischer Absicht fehlt.
Es handelt sich hier lediglich um
die rein gesetzliche Seite der An¬
gelegenheit.
Nach vom Bundesverfassungsgesetz steht dem
Landeshauptmann — in diesem Falle dem
Bürgermeister von Wien — die Entscheidung
nach der Theaterverordnung v. J. 1850 zu,
gegen die, menn sie einmal in beighendem
Sinne erfolgt ist, eine Entscheidung
der Regierung gar nicht ange¬
rufen wexden kann. Nur in dem Fall,
wenn sie verneinend ist, ist eine Berufung an
die Regierung möglich.
In diesem Jalle ist nun eine bejahende
Entscheidung erfolgt, die Regierung hat
aber trotzdem in der Person der Ministers
Glanz eingegriffen. Das ist dieselbe Regie¬
rung, deren Haupt die Bundesverfasfung ver¬
faßt hat, die diesen Staat auf die
Bundesverfassung aufgebaut hat.
Diese, von ihr selbst geschaf¬
sene Verfassung hat die Regierung
gebrochen. Das ist der entscheibenbe Punkt.
Die Angelegenheit bekommt dadurch einen
anderen Geschmack, daß es dieselbe Reglerung
ist, die allen anderen Landeshauptleuten gegen¬
über sich vollständig katenlos ver¬
hält. (Instimmung bei den Sozialdemokraten.)
Herr Glanz wird es überhanpt nicht
wagen, sich in irgendwelche Ver¬
fügungen der Landeshauptleute
einzumengen. (Lekhafter Beifall und
Händeklatschen bei den Sozialdemokraten.) Denn
diese stehen ihm als christlichsoziale Parteiführer
gegenüber, vor denen er sich ebenso bedientenhaft
benimmt wie vor den Parteiführern der
Christlichsezialen im Hause.
Wir stehen vor einer Negierung, die sich um die
Verfassung nicht kümmert, sondern die Ver¬
waltung führt, ausschließlich nach den Gefällig¬
keiten, die sie der Pantri erweist, in deren
Dienst sie arbeitet. (Lebhafter Beifall bei den
Sozialbemokraten.— Widerspruch und Zwischen¬
rufe bei den Christlichsozialen.) Wir sind an den
Begriff einer Parteizegierung gewöhnt. Aber
hier wird offenkundig der Wortlaut des Gesetzes
verletzt und das geschieht in der würde¬
losesten, widerwärtigsten Form,
nicht von einem wirklichen Vertreter der regie¬
renden Partei, sendern von einem Bedienten
derselben (Lebhafter Beifall bei den Sozial¬
demokraten), der durch sein Auftreten im Hause
und in den Aemtern, in denen er wirksam ist,
sich in geradezu ekelhaften, lakaien¬
mäßigen Formen (lebhafte Zustimmung
bei den Sozialdemokraten — Lachen bei den
Christlichsezialen) als ein Menich betätigt, der
sich die Ehre verdienen will, die man ihm er¬
wiesen hat, unb von dem Gefühl erfüllt ist, daß
11 Febra
wiener Allgemeine Zeitung
er ruffischen
meuteter
stfeeflotte.
Die Meuterer marschieren auf Pekersburg.
Paris, II. Februar. (Funkspruch.) Ueber Kopenhagen
werden aus Kronstadt gewaltige Meutereien der
russischen Ostseeflotte gemeldet. Die Meuterer
marschieren angeblich auf Petersburg.
Theaterstückes sestzustellen. Das, worum es
als politische Landesbehörde hat jedoch
ich handle, sei
dessenungeachtet nach Anhorung des Zensur¬
der eklatante Verfassungsbruch
beirates mit dem Bescheide vom 12. Jänner
und es entspreche ganz der alten Taktik der
dieses Jahres die Aufführung zugelosson.
Christlichsozialen, einen kleinen Anlaß zu
(Zwischenrufe.)
inden, um ein Präjudiz zu schaffen, das
Die Aufführung des Stückes gab als¬
Jann für die ganze Entschließung maß
bald zu lebhaften Erörterungen in der
gebend sei. Dies liege auch jetzt vor. Abet
Oeffentlichkeit Anlaß. (Abg. Pick: In
er sichere der Majorität zu, daß jeder Ver
Zwischenruse bei den
der „Reichspost!“
such, das Land Wien zu vergewaltigen, au
Sozialdemokraten. Gegenrufe bei den Christ¬
den härtesten Widerstand de
ozialen. Lärm.) Hiebei sprach sich die weit
Sozialldemokraten stoßen werde
überwiegende Mehrzahl der öffentlichen
Sollte man es mit Gewalt versuchen, dan
Stimmen
würde den Christlichsozialen auch Ge
Abg. Seitz: Wo haben Sie das ge¬
walt entgegengesetzt werden
zählt, weisen Sie uns das nach! (Lärm.)
(Die Sitzung dauert fort.)
Bundesminister Doktor Glanz:
dahin aus, daß die Aufführung ihrem
* „
Heute abends große Demon
gesamten Eindruck nach
sirationen?
eine arge Verletzung der öffent¬
lichen Sittlichkeit
Wie verlautet, wird es heute abend
bedeute. Kundgebungen aus der Bevölkerung
zu größeren Demonstratione
und zahlreiche Artikel der Presse verschiedener
bei den „Kammerspielen“ kommen, falls die
Richtung — ich betone das noch einmal
„Reigen“=Vorstellung stattfindet. Die klein
ließen erkennen, daß diese Vorführungen mit
Gasse, in der sich der Eingang zu de
dem sittlichen Empfinden weiter
„Kammerspielen“, befindet, wird dure
Kreise der Wiener Bevölkerung
Polizei abgesperrt werden und nur Inhabe
in scharfem Gezensatzstehen. (Leb¬
von Billetten dürfen passieren.
hafter Beifall und Händellatschen bei den
Christlichsozialen. — Stürmische Gegenruf¬
bei den Sozialdemokraten.)
Ein juristisches Gutachten.
Es war nun mene Absicht, vorerst dem
zur Beurteilung des Falles zunächst be¬
Die juristische Seite des „Reigen“
rufenen Heren Bürgermeister von
Verbotes stellt sich auf Grund der bestehen
Wien Gelegenheit zu geben, zu dieser neuen,
den gesetzlichen Bestimmungen folgenden
durch den Einbruck der Auffährung gegebenen
maßen dar:
Sachlage Steslung zu nehmen. Ich wandte
Alle die Theaterzensur
mich daher in einem Schreiben an den Herrn
tressenden Angelegenheiten wurden
Bürgermeiesir, nicht eiwa um de Verant¬
Gegensatz zu jenen, welche die Presse
wortung auf ihn abzuwälzen, sondern, weil
treffen, durch den Beschluß der Nationa
ich es für ein Gebot der amtlichen Courtoisie
versammlung vom 30. Oktober 1918 nich
hielt, zunächst ihm selbst eine abändernre Ver¬
tangiert. Für die Theate
fügung im eigenen Wirkungskreise zu er¬
zensur gelten daher die alte
möglichen. Der Herr irgermeister teilte
Gesetzesbestimmungen.
mir jedoch hierauf mit, er nicht in der
Diese lauten auszugsweise:
Lage sei, von seiner erste. tscheidung abzu¬
Jede Theateraufführung bedarf d#
hen.
Genehmigung des Statthalter
ne Ausführun¬
Der Maister schl.
Seine Genehmigung gilt nur für jene
glaube, daß
gen mit dem Satz: „J
Unternehmen, welches darum angesucht ha
mein Erlaß die einung aller
Die erteilte Bewilligun
anständigen Leu : verkörpert.“
kann aus besonderen Gründe
der öffentlichen Ordnung jede
Der Sturm bricht los.
zeit zurückgenommen werden.
Nach der Rede des Bundesministers
Die Polizeidirektion hat das
Dr. Glanz lam es zu stürmischen
über zu wachen, daß die Aufführung der B
Szenen. Die Abgeordneten der sozial¬
Ke