II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 425

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Reigen
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Wien, Freitag
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Aus Rücksichten der öffenilichen Sittlichkeit sah sich
nun die Bundesregierung veranlaßt, die weiteren Auf¬
führungen des „Reigen“ zu untersagen. Sie glaubt
sich hiebei mit der öffentlichen Meinung, abgesehen von
einem kleinen, für das Wie er Volksempfinden wohl
nicht maßgebenden Zuhörerkreise, in voller Ueberein¬
stimimung zu befinden.“
Heute vormittag fand bei Vam. Neumann
eine Konserenz wegen des von der Bundesregierung
ausgesprochenen Verbotes der „Reigen =Aufführungen
statt. Ihr wohnte auch Polizespräsident Schober bei¬
Der Bürgermeister sprach sich dahin aus, er betrachte es
als „sein ausschließliches Recht“, darüber zu entscheiden,
was in Wien aufgeführt werden darf oder nicht. Dieses
„Recht“ lasse er sich von niemandem nehmen.
Autonomie der
Schweinerei?
Neumanns Kampf für den „Reigen“
Wiens Landeshauptmann und Bürgermeister ist
unter die „Länderautonomisten“ gegangen. Er hat die
neueste seiner Neigungen entdeckt, als die Bundes¬
regierung den Beschluß saßte, den Ruf Wiens
von der Belastung durch das Aergernis der „Reigen“=
vorführungen auf einer Bühne, die „Kammerspiele“ zu
bieten vorgibt, zu befreien. Bisher war er mitsamt der
ganzen Marxistenpartei strammster Zentralist. Allerdings,
seit unsere Stadtverwaltung die Wiener Bevölkerung
durch Tage im Morast der Straßen fast versinken ließ,
konnte über ihre Vorliebe für Schmutz und Schlamm
kein Zweifel mehr bestehen.
Den heute an ihn herabgelangten Erlaß des Mini¬
steriums des Innern, daß auf Grund des § 5 der
Theaterordnung die weitere Aufführung des „Reigen“
verboten ist, hat der Bürgermeister mit dem Vemerken
beantwortet, daß „dieser Erlaß den Bestimmungen der
bezogenen Verordnung und den einschlägigen gesetzlichen
Bestimmungen nicht entspreche und daher von ihm
nicht zur Kenntnisgenommen werden
könne. So droht also wegen der „Reigen“
Schweinerei ein Verfassungskonflikt! Der Herr
Bürgermeister kämpft für die Länderautonomie des
Schmutzes. Er will sich da nichts dreinreden lassen, er will
sich das „Recht“ auf den Schmutz nicht schmälern leissen.
Und die Marxistenparteiführung, in deren Namen das
Austerlitzblatt heute eine Attacke gegen das Verbot reitet,
em Miüikstek des Innern Jargonblüten wie „Unver¬
chämtheit“ an den Kopf wirft zugleich die durch szenische
Nachhilfe unterstützte Zotenfolge der „Reigen“=Dialoge
mit schmatender Pandaruszunge anpreisend, trägt das
Pänner vorat, das „Reigen“=Banner! Sogar den
Nationalrat wollen die Marzisten durch eine Inter¬
vellation mit dem „Reigen“=Skandal behelligen, sei es zur
Reklame für das Geschäft Schnitzler=Vernau, sei es der
„erlen“ Sache wegen. Denn die Freiheit ist bedroht, die
Freiheit des Schmutzes, die Freiheit des appetitlichen
Zalileins, das seinen „Reigen“ haben will.
Die Marxistenpartei hat sich damit selbst entlarvt.
Wiener Slimmen
lieferung des Abg. Eldersch (sozialdem.) zur Aus¬
tragung einer Ehrenbeleidigung nach dem Berichte des
Verfassungsausschusses abgelehnt.
Abg. Niedrist (christlichsoz.) erstattet den Be¬
richt über die Vorlage der Bundesregierung, womit das
Gesetz betressend die Skellung der Pferde
zu Fuhrwerken außer Kraft gesetzt wird. Das
Gesetz wird in zweiter und dritter Lesung angenommen.
Die Vorlage der Bundesregierung über die Ab¬
änderung des Heeresgebührengesetzes
wurde vom Abg. Sever (soz.) mit den bereits be¬
kannten Abänderungen im Namen des Heeresaus¬
schusses und vom Abgeordneten Vaugoin
(christlichs.) im Namen des Finanzausschusses zur
Annahme empfohlen. Das Gesetz wurde in zweiter und
dritter Lesung angenommen.
Abg. Vaugoin erstattete den Bericht des Aus¬
schusses für Heerwesen über den ersten Nachtrag
zum Militärbesoldungsübergangs¬
gesetzes, der ebenfalls in zweiter und drikter Lesung
zur Annahme gelangte.
Nach dem Berichte des Abg. Spalowsky über
die Abänderung des Spielabgabengesetzes wird diese zum
Beschlusse erhoben.
Damit ist die Tagesordnung erledigt. Die Sozial¬
demokraten bringen hierauf eine dringliche Anfrage
wegen des Verbotes der „Reigen“=Aufführung ein.
Einträgliche Kulturkämpferei.
Zu der unter vorstehender Ueberschrift gebrachten
Mitteilung aus Salzburg über die Papierverhält¬
nisse beim „Freimund“ („Grobian“) kommt den
„Wiener Stimmen“ folgendes Schreiben zu: Auf Grund
des § 19 Pr.=G. ersuche ich um Richtigstellung der in
Ihrer Ausgabe Nr. 27 vom 4. d. M. unter der Ueber¬
chrift „Einträgliche Kulturkämpferei“ enthaltenen An¬
gaben durch Veröffentlichung dieser Berichtigung: Es ist
nicht wahr, daß mein Wochenblatt „Grobian“ bezw.
„Freimund“ in einer Auflage von 6000 hergestellt wird;
wahr ist vielmehr, daß die Auflage bis auf wenige Aus¬
gaben während meiner Erkrankung stets 8000 bis 10.000
betragen hat. Unrichtig ist ferner die Gewichtsangabe von
18 Gramm für ein Blatt; wahr dagegen, daß auch Aus¬
gaben von ganzer Bogengröße 63:95 erscheinen und daß
Rollenpapier Gewichtszuschüsse bedingt. Unwahr ist end¬
lich die Gewichtsangabe meiner Papierquote mit 1200
Kilogramm; wahr ist vielmehr, daß diese nur 900
Kilogramm beträgt und im Jahre 1920 nur fünf¬
mal übernommen wurde. Mit aller Achtung Ignaz
Kutschera, Herausgeber des „Grobian“.
Wir haben uns der Mühe unterzogen, zur Ueber¬
prüfung der Wahrheitsliebe des Berichtigers das Gewicht
einer Anzahl von Nummern des „Geobians“ auf einer
Wage festzustellen. Das Ergebnis ist für Herrn Lutschera
wenig tröstlich. Es betrug das
Gramm
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Gewicht der Nummer 1 vom 4. Jänner 1920
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22. Februar „
8 „
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29.
9 „
17
14. März
11 „
17
15
11. April
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15
13. Juni
19
15
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4. Juli
14
11.
25.
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