II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 436

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Reigen
Das Verbot des „Reigen“
abinettsbeschluß.
Wie wir erfahren, erfolgte das Verbot
Reigens“ auf einstimmigen
Beschluß der Gesamtregierung.
VIl.
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zre
as, Verbot= der „Reigen“.
Mänführungen.
All vie Aufregung und ## Getue der „Reigen“=
Liebhaber, die bei der ersten Richricht von dem bevor¬
stebenden Verbote der wezler Aufführungen wie
besessen gegen diesen „kunstfeindlichen Vorstoß“ losgingen,
haben nur erzielt, daß vor der bodenständigen
Bevölkerung Wiens nur umso hachdrücklicher verlangt
wurde, diesem beispiellosen Skandal ein Ende zu bereiten.
Dies ist heute geschehen. Die Regierung hat
bereits die Einstellung der weiteren
Aufführungen des „Reigen“ in den Kammer¬
spielen angeordnet.
Bezeichnenderweise war vor allem Anfang an die
Stellungnahme der maßgebenden Behörden gegen die
Zulassung der „Reigen“=Aufführungen. Auch die zu¬
ständige Polizeimstanz sprach sich gegen die Aufführungen
aus. Direktor Bernau abei rekurierte gegen diese Ent¬
scheidung an den Landeshauptmann Neumann als
nächste Zensurbehörde für Wien. Und leider kam der
Herr Bürgermeister=Landeshauptmann — wir nehmen zu
seiner Ehre an, daß er den „Reigen“ gar nicht kennt,
sonst würde er sicher wie in einem ähnlichen Falle
voriges Jahr sein Parteigenosse Sever als Landes¬
hauptmann gehandelt haben — diesem Wunsche zu¬
stimmend entgegen. Die täglich wachsende Mißstimmung
gegen die Zulassung der weiteren Aufführungen,
die ja auch in der Kritik der Wiener Presse ein größten¬
teils ablehnendes Urteil fanden, hat die Regierung
veranlaßt, Landeshauptmann Reumann nahezulegen,
daß er seine Erlaubns zurückziehe. Da Landes¬
hauptmann Reumann dies ablehnte, verfügte nun
heute die Regierung selbst das Verbot der weiteren Auf¬
führungen. Damit findet das wenig erbauliche Zwischen¬
spiel des Versuches, mit Gewalt der Bevölkrrung das
Theater als sexuelle Lehranstalt auszwingen zu wollen,
vom Freitag, den 11. d. an, sein nur zu begrüßendes Enden
A. .v. MIAR 2
THEATER
Der verbotene „Reigen“.
Plötzlich also, nach zirka zehn Aufführungen,
gefährdet der „Reigen“ die öffentliche Moral in
so hohem, Grade, daß
Auf, deutsch: Es ist den sechs Schreiern des
kürzlichen „Reigen"=Tumultes (oder waren es
fünfgehn?) gelungen.
Es gelingt den Schreiern immer. Hierorts.
In allen Belangen. Und bei allen Behörden.
.. nun
Nur kg. Aufseh'n. Man ist also geger
gegen alles, was Aufsehen erregen könnte. Ohne
Unterlchied der Qualität. Auch Gustav Mahler
hat Aüfsehen erregt. Man war gegen Gustav
Mahler. Und sicherlich hätten die Behörden
auch ihn am liebsten verboten.
Diesmal war das „Aufsehen“ sehr durch¬
sichtig. Trotzdem
*
Nun scheint bescheidenem Verstande einzu¬
leuchten: Die Frage, ob die Aufführung des
„Reigen“ statthaft, hat die Zensur bereits ent¬
schieden. Hat entschieden, daß die gewiß be¬
stehende Gefahr der mißverständlich depra¬
vierenden Wirkung auf Minderjährige gering
wiege gegen die Bedeutung der Dichtung und
die — künstlerische — Diskretion der Wieder¬
gabe. Eine Erkenntnis, die sich die Zensur¬
gewaltigen versönlich bei einer eigens für sie
veranstalteten Generalprobe holten.
Jetzt soll man hinterher darüber streiten,
ob der „Reigen“ eine Dichtung, ob . .. Nein,
diese Beleidigung möchte ich Schnitzler, Wien
und — Verzeihung — auch den Behörden nicht
antun!
Bleibt also einzig die Lächerlichkeit eines
Rückzuges vor einer Demonstrotion, deren einer
Hauptteilnehmer öffentlich erklärt hat, er kenne
den Inhalt der „Reigen“=Szenen nicht einmal!
Bleibt der Schildbürgerversuch, die Sittlichkeit
gegen einen Dichter zu verteidigen.
Welche Perspektive!
Ceterum censeo: Gegen das Kunstwerk hat
L. U.
die Zensur immer unrecht.