II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 437

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11. Reigen
Kl. 41.
Verbot der Aufführung des „Reiger
Durch die Bundesregierung. — Widerspruch des Landeshauptmannes Neumann.
Drohender Verfassungskonfiikt.
Von informierter Seite wird uns mitgeteilt:
sie im bejahenden Sinne erfolgt ist, kann sie durch eine Ent
scheidung der Regierung nicht aufgehoben werden. Nach de
Das Verbot der Aufführung d
Verfassung kann eine solche Entscheidung der Regierung nu
„Reigen“ ist tatsächlich vom Bundesmini¬
erfolgen, wenn in einem andern Lande von der Landes
steriumfür Innereserfolgt. Bis zur Stunde
regierung anders entschieden worden wäre.
aber ist der Polizeidirektion darüber nichts bekannt. Das
Die Regierung stellt sich mit der von ihr selbst geschaffener
Verbot ist im Instanzenweg heruntergelangt und wurde
Bundesverfassung in Widerspruch. Das ist dieselbe Regierung
heute vormittag dem Bürgermeister Reumann in
die allen Landeshauptleuten gegenüber vollständige Tatlosigkei
seiner Eigenschaft als Landeshauptmann über¬
übt. Es ist derselbe Herr Glanz, der es überhaupt nicht wagt
mittelt. Von dort erst kann es an die Polizei gelangen,
in die Verfügungen der andern Landeshauptleute sich ein
die dann dem Befehle Folge leisten wird.
zumengen. Redner greift den Bundesminister Dr. Glanz u
Die Entscheidung der Bundesregierung.
der heftigsten Weise an und bezeichnet ihn als einen Zakaie:
* Amtlich wird mitgeteilt: Bereits vor Zulassung
der christlichsozialen Partei. Redner spricht fort.
der Aufführung des „Reigen“ durch den Magistrat
Erwiderung des Ministers Glanz.
Wien als politische Landesbehörde hat der Polizei¬
Nach dem Abg. Leuthner ergreift Minister Glanz da
präsident den Bürgermeister von Wien auf die schweren
Wort. Der Inhalt seiner Rede deckt sich mit der an andre
Bedenken aufmerksam gemacht, die der Aufführung des
Stelle wiedergegebenen amtlichen Mitteilung. Während de
Stückes entgegenstehen. Der Magistrat erteilte jedoch
Ausführungen des Ministers kommt es zu heftigen un
nach Anhörung des Zensurbeirates mit Bescheid vom
lärmenden Auseinandersetzungen zwischen de
12. Jänner die Aufführungsbewilligung. Die nun er¬
christlichsozialen und sozialdemokratischen Partei. Die Ab
folgten Aufführungen des Stückes gaben zu lebhaften
geordneien stehen gedrängt vor der Ministerbank. Unmittelba
Frörterungen in der Oeffentlichkeit Anlag. Hiebei sprach
vor dem Minister steht auch Präsident Seitz, der sich eben
ich die weitaus überwiegende Mehrzahl der öffentlichen
falls an den Zwischenrufen beteiligt. Abg. Mataja ruft
Stimmen dahin aus, daß die Aufführung nach ihrem Ge¬
„Der Herr Präsident als Krawallmacher!“
samteindruck eine arge Verletzung der Sittlichkeit bedeute.
Der Minister schloß mit der Bemerkung, daß alle an
Kundgebungen aus der Bevölkerung und zahlreiche
ständigen Menschen das Urteil über diese Ver¬
Artikel der Presse verschiedener Richtung ließen erkennen,
anstaltung teilen werden. Minutenlanges Toben bei
daß diese Vorführung mit dem sittlichen Empfinden
den Sozialdemokraten wurde durch diese Worte ausgelöst.
weiter Kreise der Wiener Bevölkerung in scharfem
Gegensatz steht. Der Bundesminister für Inneres und
Ein Handgemenge.
Unterricht richtete daher an den zunachst zur Beurteilung
Die sozialdemokratischen Abgeordneten Witternig un
des Falles berufenen Bürgermeister von Wien die Ein¬
Zelenka dringen auf den Minister ein. Die christ¬
ladung, zu der durch die öffentlichen Aufführungen
lichsozialen Abgeordneten wersen sich dazwischen. Es kommt
gegebenen Sachlage Stellung zu nehmen. Der Bürger¬
zu einem Handgemenge.
meister erklärte jedoch, daß er nicht in der Lage sei, seine
Die Ordner suchen die streitenden Gruppen auseinander¬
erste Entscheidung abzuändern. Aus Rücksichten der
zureißen. Dabei erhält der Abg. Sever einen Stoß in
öffentlichen Sittlichkeit sah sich nun die Bundesregierung
das Gesicht.
veranlaßt, die weiteren Aufführungen des
Das Tosen und die gegenfeitigen Beschimpfungen dauern
„Reigen“ zu untersagen. Sie glaubt sich hiebei
minntenlang on.
mit der öffentlichen Meinung, abgesehen von einem
Präsident Weiskirchner läutet unausgesetzt und ver¬
kleinen für das Wiener Volksempfinden wohl nicht ma߬
sucht vergebens, die Ruhe herzustellen. Er ruft eine Reihe von
gebenden Zuhörerkreise, in voller Uebereinstimmung zu
Abgeordneten zur Ordnung. Erst als der sozialdemokratische
befinden.
Abgeordnete Volker das Wort ergreift, tritt allmählich
Der Bürgermeister nlmmt das Verbot nicht zur Kenntnis.
Ruhe ein,
Aus dem Rathause wird uns gemeldet: In einer
Sitzung, die heute beim Bürgermeister Reumann
Die „Arbeiter-Zeitung“ über den „Reigen“-Konstilt.
in Anwesenheit der amtsführenden Stadträte stattfand,
Die „Arbeiterzeitung“ erörtert die politische Seite der
kam auch die Angelegenheit der Aufführung von
Verfügung des Bundesministeriums für Inneres und bezieht
Schnitzlers „Reigen“ zur Sprache. Während der Be¬
sich in ihrem heutigen Artikel auf das Schreiben des Ministers
ratungen erschien Polizeipräsident Schober im Rat¬
an den Bürgermeister als Landeshauptmann von Wien als
hause, der mit Vizebürgermeister Emmerling und
Bundesland, in dem es heißt: „Der Minister glaube, da sich
dann mit dem Bürgermeister konferierte. Wie wir er¬
in der Oeffentlichkeit die Stimmen gegen die
fahren, steht der Bürgermeister als Landeshauptmann
Aufführung mehren, nahelegen zu müssen, dieser Auf¬
auf dem Standpunkt, daß es sein ausschlie߬
fassung, die abgesehen von einem kleinen, für das
liches Recht ist, die Aufführung von
Wiener Volksempfinden gewiß nicht ma߬
Theaterstücken zu gestatten oder zu ver¬
gebenden Zuhörerkreis, wohl eine einmütige
bieten und daß er sich dieses Recht von
ist, durch Untersagen der weiteren Aufführung
keiner Seite schmälern lassen wolle.
Rechnung tragen zu wollen.“ Das sozialdemokratische Blatt
Weiter wird uns aus dem Rathause mitgeteilt:
bemerkt hiezu: „Da Herr Glanz den Bürgermeister bittet, ihm
über die sodann getroffene Verfügung baldmöglichst eine Mit¬
Der Bürgermeister hat heute vormittag einen Erlaß des
teilung zukommen zu lassen, so hat, wie wir zu wissen glauben,
Ministers des Innern erhalten, in dem mitgeteilt wird,
der Bürgermeister mit der „Mitteilung“ nicht gezögert und
daß auf Grund des § 5 der Theaterordnung vom
des
Herrn Glanz wissen lassen, er habe keinen Anlaß, von
Jahre 1850 die weitere Aufführung
der einmal und nach sorgfältiger Erwägung aller Umstände
„Reigen“ verboten ist. Der Bürgermeister
getroffenen Verfügung abzugehen, werde eine neue und
hat in seiner Antwort darauf verwiesen, daß dieser
andre Verfügung auch nicht treffen. Womit die
Erlaß den Bestimmungen der bezogenen Verordnung
Sache eben zum zweitenmal erledigt ist.“
und der einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen nicht
Bei Erwägung der Frage nach dem künstlerischen Werte
entspricht und daher von ihm nicht zur Kenntnis
des „Reigen“ schreibt die „Arbeiterzeitung“, daß sie der Forde¬
genommen werden kann.
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