II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 450


des Landes Wien anzutasten, dagegen sofort und mit aller
Energie zur Wehre setzen. Es ist bekannt, daß meine Partei
durch lange Zeit dafür gekämpft hat, daß die Bundesver¬
fassung der Republik Oesterreich nach zentralistischen Prinzi¬
pien eingerichtet werde. Wir mußten uns schließlich fügen
und der autonomistischen Gestaltung der Repichlik unsere
Zustimmung geben. Nun aber sind wir selbstverständlich ent¬
schlossen, die autonomen Rechte. die dem Lande Wien durch
die Bundesverfassung gewährleistet sind. zu verteidigen; wir
werden nicht zugeben, daß ein Bundesminister
die Rechte dieses freien und autonomen Lan¬
des und seines Landeshauptmanus einfach
wegeskamotiert.
Gemeinderätin Dr. Seitz=Motzko (christlichsopia!)
erklärt unter großer Unruhe, duß es geradezu unglaublich
sei, daß dieses Stück „Der Reigen“, das nichts alderes ist
als eine Konzession auf die Geitheit eines auswärtigen
Schiebertums, in Wien aufgeführt werden dürfe, und daß
entgegen allen Einsprachen der Bürgermeister von Wien als
Landeshauptmann ein derartiges Stück schützt. Ich verlunge
im Namen meiner Parteigenossen, daß der Herr Bürger¬
meister uns über sein Verhalten Rechenschaft gitt und ob er
gewillt ist, das Verbot über dieses Stück auszusprechen.
Die prüden christlichsozialen Gemeinderätinnen.
Nachdem Gemeinderätin Motzko ihre Rede geschlossen,
entsteht vor den Bänken der Christlichsozialen ein heftiger
Meinungsaustausch zwischen der Gemeinderätin Kramer und
einigen christlichsozialen Gemeinderätinnen, die ihr zurufen:
„Pfui Teufel, das will eine Lehrerin sein, schämen Sie sich,
den Schmutz für das Dirnentum zu verteidigen.“
Gemeindemt Kunschak schristlichsozil) beginnt seine
Rede unter heftigen und lauten Zwischenrufen und meint,
daß es bezeichnend sei, daß die Aufführung eines Schau¬
stückes Anlaß zu Weiterungen zwischen den Parteien gelen
kann.
Die Antwort des Landeshauptmanns Reumann.
Landeshauptmann Reumann bedauert es, daß der An¬
laß zu dieser Debatte über ein wichtiges Verfassungsrecht die
Ursache in der Aufführung des „Reigen“ hat. Er hätte ge¬
wünscht, daß ein wichtigerer Anlaß dazu Gelegenheit ge¬
geben hätte. Da nun diese Frage so vom Zaune gebrochen
wurde, so müsse er vor allem darauf verweisen, daß in den
verschiedensten Tingel=Tangels die Sittlichkeit verletzt werde.
(Zustimmung bei den Sozialdemokraten.)
Die christlichsozialen Gemeinderäte machen in zahl¬
reichen Zwischenrufen dem Redner Einwendungen.
Erinnerungen an Madame Aschanti und Wimberger.
Landeshauptmann Reumann: Denken Sie nur
an den Wimberger. Die Erinnerung an die
Madame Aschanti ist Ihnen sehr zuwider. (Zu¬
stimmung bei den Sozialdemokraten. Heftige Gegenrufe der
Christlichsozialen.)
Bürgermeister Reumann (fortfahrend): An mich ist
die Frage gerichtet worden, warum ich die Aufführung des
„Reigen“ gestattet habe. Der Zensurbeirat hat gegen die
Aufführung nichts eingewendet. Der ehemalige Vizepräsident
der Statthalterei, Tiels, und Herr Glossy haben dagegen
nichts eingewendet, und nun verlangt man von einem
Sozialdemokraten als Landeshauptmann, der ein Gegner der
Zensur überhaupt ist, daß er die Aufführung verbieten solle.
(Rufe bei den Sozialdemokraten: Sehr richtig!) Kein
Skandal der Welt wird mich dazu bringen,
daß ich die Aufführung des „Reigen“ verbiete.
Gemeinderat Wawerka (christlichsozial): Zusperren
die Schieberlokale!
Gemeinderat Preyer (christlichsozial): Wir lassen uns
dieses Stück nicht gefallen.
Der Landeshauptmann läßt sich nicht zum Bedienten des
Herrn Glanz herabwürdigen.
Landeshauptmann Reumann: Ich stehe auf dem
Standpunkt, daß jeder einzelne berufen ist dazu, das Ver¬
fassungsrecht der Stadt Wien nicht schänden
zu lassen, und das würde geschehen, wenn man einer
Vorschrift zustimmen würde, die von einem Manne gegeben
wird, der nicht zu diktieren hat. (Rufe bei den Sozialdemo¬
kraten: Sehr richtig!) Ich habe also keine Ursache, mich
zu dem Bedienten des Herrn Glauz herab¬
bezeihneten Bühnenwerkes nicht vom Bundesminsterum
für Inneres und Unterricht ausgehen kann. Die Magistrats¬
abteilung 55 wurde von mir beuuftingt, mnit der erekutiven
Durchführung des amtlichen Erlasses im Wege der Polizei¬
direktion innezuhalten. An Stelle des Statthulters ist non
nach den Verfassungsgesetzen der Lmdeshauptmann von
Wien getreten. Ich werde als Lundeshauptmann
von dem mir zustehenden Recht um kein Jola
abweichen. (Lebhafte Zustimmung bei den Sozialdemo¬
kraten, Gegenruse bei den Christlichsozialen.) Das ist die
Entscheidung und nun soll Here Glunz das Gesetz verletzen!
(Stürmischer Beifall und Hochrufe auf Reumann bei den
Sozialdemolraten.)
Gegen Schluß der Rede des Landeshauptmanns, die er
in großer Erregung zum Schlusse gesprochen hatte, steigern
sich die Gegenrufe immer mehr zu einem wüsten Lärm. Be¬
s.himpfungen fallen gegenseitig, aber mitten in diesem großen
Lärm wird der Bürgermeister immer wieder stürmisch
alklamiert.
Der Antrag Speiser wird mit genügender Mehrheit der
geschäftsordnungsmäßigen Behandlung zugewiesen.
Politische Rundschau.
Die Mitglieder der „Clartee“ werden
perlustriert.
Wie seinerzeit berichtet wurde, hat sich in Frank¬
reich eine Gruppe von Gelehrten und Schriftstellern
unter dem Namen „Clartee“ zu einer Organisation für
Freiheit und Aufklärung gebildet. An der Spitze dieser
Bewegung steht Anatole France. Die „Clartee“ hat
sehr rasch Anklang gesunden und auch außerhalv Frank¬
reichs haben sich seitdem unter dem gleichen Titel In¬
tellektuellengruppen zusammengeschlossen, welche die¬
selben Ziele verfolgen wie die Pariser Zentrale. Die
große Jagd nach Kommunisten und politisch Verdäch¬
tigen, welche jetzt in ganz Frankreich veranstaltet wird,
hat, wie aus Paris gemeldet wird, besonders in den
Provinzstädten auch die Gruppen der „Clartee“ nicht
verschont. In Bordeaux wurden bei sämtlichen Mit¬
gliedern der „Clartee“ Hausdurchsuchungen vor¬
genommen, Korrespondenzen beschlagnahmt und mehrere
Mitglieder der Bewegung einer hochnotpeinlichen Perlu¬
strierung unterzogen. Ueberhaupt mache sich, wie der
Pariser Bericht hervorhebt, die Tendenz fühlbar, jeden
freiheitlich denkenden Menschen als Kommunisten zu
behandeln und zu verfolgen. Das Pariser Zentralbureau
der „Clartee“ beschloß, gegen diese polizeilichen Ueber¬
griffe eine energische Protestaktion einzuleiten.
Die kommunistische Partei in England.
Die bisher in drei Gruppen gespaltenen englischen
Kommunisten haben sich auf einer Konferenz in Leeds
zusammengeschlossen. Die englische Sektion der Dritten
Internationale, die kommunistische Arbeiterpartei und
die kommunistische Partei Graßbritanniens bilden nun¬
mehr die „Kommunistische Partei in England“. Die
150 Delegierten haben einstimmig den von Moskau
vorgeschlagenen Francis Meynell zum Chefredakteur
des Parteiorgans „Der Kommunist“ ernannt. Meynell
mußte seinerzeit die Redaktion des sozialistischen Partei¬
organs „Daily Herald“ verlassen, weil er diesem Blatte
ohne Befragen der Partei eine Subvention der Moskauer
Regierung im Betrage von 75.000 Pfund Sterling
vermittelt hatte.
Vor der Unterzeichnung des englisch¬
russischen Vertrages.
Die Meldungen aus London und Moskau besagen
übereinstimmend, daß aller Wahrscheinlichkeit nach die
Sowjetregierung dem zwischen ihrem Londoner Vertreter
Krassin und der englischen Regierung vereinbarten
Vertragsentwurf zustimmen wird. Der Pariser „Temps“
meldet, daß die Sowjetregierung nach langen Beratun¬
gen sich für die Unterzeichnung des Vertrages entschieden
hat. Die große Londoner Maschinenjabrik Arm¬