II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 455

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Reigen
Schibeden,
gierung hat das Agrement erteilt, 7.
dan Lerden der Reiher Auchtkrugen.
K.=B. Wien, 11. Februar. In der amtlichen Mit¬
teilung über das Verbot der weiteren Aufführung des
„Reigen“ wird gesagt: Kundgebungen unserer Bevölke¬
rung und zahlreiche Artikel der Presse verschiedener Rich¬
tung ließen erkennen, daß diese Vorführung mit dem
sittlichen Empfinden weiter Kreise der Wiener Bevölke¬
rung in scharfem Gegensatz steht. Die Bundesregierung
glaubt sich bei dem Verbot mit der öffentlichen Meinung
— abgesehen von einem kleinen, für das Wiener Volks¬
empfinden wohl nicht maßgebenden Zuhörerkreise — in
voller Übereinstimmung zu befinden.
S Wien, 11. Februar. In der Sitzung der
amt sführenden Stadträte kam auch das Auf¬
führungsverbot von Schnitzlers „Reigen“ zur Sprache
Während der Beratung erschien Polizeipräsident Scho¬
ber im Rathause und der Bürgermeister erklärte
ihm und den Stadträten, in seiner Eigenschaft als
Landeshauptmann stehe er auf dem Standpunkt, daß
von
es sein ausschließliches Recht sei, die Aufführung
daß
Theaterstücken zu gestatten oder zu verbieten und
er sich dieses Recht von keiner Seite schmälern lassen
wolle. Den Erlaß des Ministeriums für Inneres, mit
dem die Weiteraufführung verboten wird, habe er dahin
beantwortet, daß der Erlaß den einschlägigen gesetzlichen
Bestimmungen nicht entspreche und daher von ihm nicht
zur Kenntnis genommen werden könne.
S. Wien, 11. Februar. Direktor Bernau von
den Kammerspielen, erklärte nachmittags, ihm sei bisher
ein Verbot der Aufführung des „Reigen“ nicht zu¬
gegangen und er glaube, daß ein solches auch nicht ein¬
treffen könne. Die Wiener Bühnen unterstehen der
Landesregierung und diese habe die Vorstellung des
„Reigen“, gestattet. Landeshauptmann Reumann
habe öffentlich erklärt, daß er das Stück freigebe.
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vorbehaltlich einer Erhöhung.
Zu Nr. 12.
Reigen im Parlament.
Der Kampf um den „Reigen“ hap ehstern im
Parlament ungeahnte Kräfte ausgelost, Adie man
hem Wiederaufbau Österreichs zunutze Zu machen
Ficht verabsäumen sollte. Land Wien und sein so¬
Zialdemoktatischer Landeshauptmann=Birgermeister
hat die stimm= und faustfestestens National¬
räte gegen die Zentralregierung mobilisiert, die
Won Verfassungsbruch schrien und mit den Fäusten
auf den Ministertisch schlugen, weil ein Bundes¬
ministerium von seinem Aufsichtsrecht über die
Besugnisse des Landes Gebrauch gemacht hat. Der
Verfassungsgerichtshof wird den Streit schlichten
müssen, vor dem alle Nahrungs= und Budgetsorgen
in den Hintergrund treten. Es entspricht voll¬
kommen der Inkonsequenz der sozialdemokratischen
Politik, daß die eifrigsten Zentralisten von gestern,
als die Zentralregierung von einer roten Mehrheit
beherrscht war, die eifrigsten Autonomisten von
heute sind und das sozialdemokratisch regierte Land
Wien sich den ehemals als staatsfeindlich ver¬
schrienen Ruf „Los von Wien“ zueigen macht.
Und der Gegenstand des Streites? Schnitzlers
„Reigen“ ist sicherlich ein literarisches Produkt von
achtenswertem Rang; ebenso sicher ist, daß dafür
die Verbreitung in Buchform vollauf genügt und
daß seinem literarischen und ästhelischen Wert durch
die Aufführung vor einem hohe Preise zahlenden
Publikum eher Abbruch geschieht und die Absichten
des Verfassers mißbraucht werden. Mit Recht
wurde in der gestrigen Debatte gefragt, ob sich denn
die Arbeiterfrauen so zu den Aufführungen des
„Reigen“ drängen, daß die sozialdemokratische
Partei bemüßigt wäre, für das Aufführungsrecht
zu kämpfen, oder, ob nicht nur das Prasser= und
Schieberpublikum in den heiklen Szenen eine An¬
regung sucht, die der Verfasser kaum beabsichtigt
hat, mit der höchstens geschäftstüchtige Theater¬
leiter auf ihre Rechnung zu kommen trachten. Aber
sachliche Erwägungen sind der sozialdemokratischen
Partei nie maßgebend, wenn es sich um Partei¬
politik handelt. Um nur an ein Beispiel zu er¬
innern: Auch der Boykott gegen Ungarn wurde
geführt, obwohl er magere Wochen über Österreich
brachte und Millionenschaden verursachte. So be¬
mächtigt sich der rote Terror auch des „Reigen“
und spottet damit seiner selbst. Die Schieber und
Dämchen von der Rotenturmstraße werden sich
vergnügt die Hände reiben.
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