II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 456

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Wiener Jouinal
12. Febiuar 1921
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Blandute.
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Das Verbot des Ministers des
Innern. — Der „Reigen“ wird
wetter aufgeführt.
Ein Kompromiß in Sicht.
Es ist für die Zustände in unserem lieben Oesterreich
aus seiner bescheidenen unansehnlichen Existenz trotz seiner Un¬
ähigkeit auf einen leitenden Posten berufen worden zu sein.
harakteristisch, daß Hungersnot und Finanzkrach in der Oeßentlich
keit gleichmätig ausgenommen werden, daß aber die Aufführung
Die Ausführungen Leuthners wurden von den Sozialdemo
von Schnitzsträ „Reigen“ in einem Wiener Theater eine poltrüche
kraten mit lebhaßtem Beifall, von den Christlichsozialen mit Lachen
Giülsßtos erregt, daß sie nicht früher locker ließ
und störenden Zwischenrufen begleitet. Dr. Glanz, der während
als bis sie ihren Minister des Innern zu einem unbesonnenen
der Ausführungen Leuthners blaß und erregt auf seinem Platz
verfassungswirigen Verbot der Aufführungen veranlaßte und
geblieben war, erhob sich nun und führte nicht gerade selbst¬
bei den Sozildemoktaten einen Sturm der Entrüstung hervor¬
wußt aus, daß der Polizeipräsident schon vor der Zulassung des
rief, wie chan ihn in gleicher Hestigkeit seit Jahren
„Reigen“ zur Aufführung den Bürgermeister von Wien auf die
bei uns nicht erlebt hat. Im Parlament kam es zu einer
schweren Bedenken aufmerksam gemacht habe, daß die Aufführung
Ohrfeigenszene, im Gemeinderat zu Tobsuchtsanfällen der
des Stückes zu lebhaften Erörterungen in der Oeffentlichkeit Anlaß
Minorität alles lediglich wegen der Erlaubnis oder des Verbotes
gegeben habe und daß die Aufführung ihrem gesamten Eindruck
der Aufführungen von Schnitzlers Dialogen. Gekrönt wird dieses
nach eine arge
Tohuwabohn durch die Tatsache, daß trotz der öffentlich bekannt¬
Verletzung der öffentlichen Sicherheit
gewordenen Inhibierung durch den Bundesminister des Innern
das Theater gestern abend in aller Gemütsruhe un¬
bedeute. Es habe sich herausgestellt, daß diese Vorführungen mit
gestört die Aufführungen fortsetzte, weil
dem sittlichen Empfinden weiter Kreise der Wiener Bevölkerung
über den Kompetenzkonflikt von Ministerium und Landesregierung
in scharfem Gegensatz siehen. Der Minister schloß seine Aus¬
führungen mit den Worten:
der Polizei keinerlei Weisung zugehen
konnte, diese also wieder keinen Anlaß fand, ein Aufführungs¬
Ich glaube, daß msein Erlaß vie
verbot dem Theater bekanntzugeben. Die Konturen einer
Meinung aller anständigen Leute ver¬
körpert.
Lösung dieses schweren Konflikts
Der Skandal im Abgeordnetenhaus.
sind bereits sichtbar. Direktor Bernau baut dem Herrn Bundes¬
minister Glanz goldene Brücken. Er erschien gestern im Ministerium
Diese letzteren Worte haben einen Sturm im Hause
des Innern und erklärte sich bereit, gewisse Regiekorrekturen vor¬
verursacht, wie man ihn seit den Ob¬
zunehmen, um auf diese Weise die Gründe, die zum Mißfallen
truktionssitzungen unseligen Angedenkens
einer Anzahl von Leuten geführt haben, zu eliminieren. Das
malten Parlament nicht erlebt hat. Die
Angebol Bernaus wurde natürlich mit Freuden begrüßt und er
sozialdemokratischen Abgeordneten drängten gegen die Ministerbank,
zur Fortsetzung der sachlichen Erörterungen für heute reuerlich ins
einzelne hatten sie bereits erreicht und schlugen mit den Fäusten
Ministerium beschieden Heute also wird vermutlich das große
auf den Tisch. Die Christlichsozialen, die ihren Minister in
erlösende Wort gesprochen werden: Statt daß es nach jedem der
Gefahr sahen, versuchten die Sozialdemokraten von dem Minister¬
Dialoge auf der Bühne finster wird, wird vermutlich ein
tisch abzudrängen. All dies geschah unter ohrenbetäubendem Lärm,
Zwischenvorhang fallen und dadurch jener Vorgang, dessen öffent¬
unter lauten Zurufen und gegenseitigen Beschimpfungen Sever,
lich markierte Darbietung die Herren von der christlichsozialen
der in der Nähe der Ministerbank stand und selbst beschwichtigend
Gruppe so maßlos aufgeregt hat, der Empfänglichkeit des Publikume
auf die Abgeordneten einzuwirken suchte, erhielt plötzlich von einem
weiter entrückt werden.
christlichsozialen Bauernführer
Die Skandale von gestern haben folgende Geschichte. Vor¬
einen Schlag ins Gesicht.
mittags veröffentlichte die Staatskowespondenz ein
Darauf ging der Krawall, der sich bereits ein bißchen gelegt hatte,
Communiqué,
von neuem los. Es schien, als ob Sozialdemokraten und Christlich¬
#### Sam as hieß daß der Bundesminister für Inneres die weitere
oziale jetzt erst recht handgemein werden wollten. Wieder waren
es besonnene Elemente auf beiden Seiten, die die Zueinander¬
drängenden trennten und ein Abflauen des Lärms erreichten.
Trotzdem: die Ausführungen des Abgeordneten Volker gingen
im Lärm unter.
Erst als Seitz das Wort ergriff und in seiner souveränen
Art den Minisier und seine Helsershelser mit einem halben Dutzend
Sätze abführte, trat wieder Ruhe ein. Seitz sagte, ihn interessiere
nicht die Anschauung des Herrn Glanz, da hier gar nicht der Ort
sei, den literarischen Wert eines Theaterstückes festzustellen. Ihn
interessiere lediglich der ganze eklatante Ver¬
fassungsbruch des Herrn Bundes¬
ministers. Es entspreche der alten Taktik der
Christlichsozialen, einen kleinen Anlaß zu suchen, um ein Präjudiz
zu schaffen, das dann für die ganze Entschließung maßgebend sei.
Er sichere der Majorität zu, daß jeder Versuch. das Land
Wien zu vergewaltigen, auf den härtesten
Widerstand der Sozialdemokraten stoßen
werde. Sollten sie es versuchen Gewalt anzuwenden, so
werde man ihnen mit Gewalt antworten.
Der Vorsitzende Dr. Dinghofer erteilte Seitz, der
in seinen Ausführungen dem Bundesminister Glanz einige wenig
schmeichelhafte Komplimente gemacht hatte, den Ordnungs¬
ruf. Als die stürmischen Protestruse der Sozialdemokraten ver¬
klungen waren, erbat sich Dr. Bauer das Wort um auch
den Ordnungsruf für Dr. Glanz zu ver¬
langen, der in seinen Ausführungen eine
ganze große Partei beleidigt hat.
Unter allgemeiner Erregung wurde die Sitzung geschlossen.



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