II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 463

11. Reigen
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Witung, Wien, Abendblgt
12 F
Wien, Samstag
Seite 3
Das übergeschnappte Schieberblatt.
In her „Neuen Freien Presse“ veröffentlicht
Dr. Ofner einen Artikel über die Rechtslage beim Verbot
des „Reigen“. Selbstverständlich Kkommt der angesehen
Jurist zu dem Ergebnis, daß das Eingreisen des Ministers
dem Gesetz widerspricht und ein Wlt der Kabinetts
justiz ist, der sogar der Verfassung der Monarcht
widersprochen hat — wie erst der neuen Verfassung. Aus
drücklich sagt Dr. Ofner: „Bei der Beurteilung des Altes
den der Minister gesetzt hat, tritt die Frage des „Reigen“
öllig zurück. Es handelt sich darum, ol
vir verfassungsmäßig leben wollen
b wir darauf rechnen dürfen, daß sich die Behörden
insbesondere die obersten Behörden nicht
Autokratie spielen.“
So auf der sechsten Seite der hervorragende Jurist,
der feststellt, daß es sich bei dem Kampfe der Sozial¬
demokraten also um einen Kampf gegen autokratische
Willkür handelt, um einen Kampf um die Verfassung.
Was soll man nun dazu sagen, daß das Schieber¬
blatt einen flammenden Leitartikel bringt, worin es die
Sozialdemokraten beschimpft und ihnen vorwirft, daß sie
„die Verfassungsfrage vorgeschützt“ hätten. „Ein himmel¬
schreiendes Unrecht, ein Volksverrat an Oesterreich“ sei es,
über etwas anderes zu verhandeln als über das Heil des
Landes! (Warum schreibt das Schieberblatt denn dann
heute nicht einen einzigen Artikel über das „Heil des
Landes“, dafür aber mehr als zwei Seiten voll über den
„Reigen“ 9)
Und warum diese Aufregung? Die Sozialdemokraten
haben die Vermögensabgabe durchgesetzt und haben den
Schiebern einen noch größeren Teil ihres Vermögens
wegbesteuern wollen, als leider durchzusetzen war. Weil
es ihnen das nicht verzeiht, darum haßt das edle Blatt
die Sozialdemokraten und beschimpft sie in ihrem Kampse
gegen klerilale Willkür und es kommt der Alerikalen
Regierung zu Hilfe, weil es von ihr Nachsicht bei der
Bemessung der Steuer erwartet.
Daß auch die „Deutsche Tageszeitung“ hinter dem
Börseblatt nicht zurückbleibt, hat natürlich ähnliche Gründe.
Auch Herr Stinnes haßt die Sozialdemokraten und die
deutsche Schwerindustrie fühlt sich mit dem österreichischen
Kapital solidarisch, das in den Großdeutschen- seine
gehorsamen Knechte findet.