II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 464

11. Reigen
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Fntug. !
hier sehr nötige sittliche Ernst, der die
ischer „heigen, Cörlfelichsozialen bestimmte, sich durch
das Verbot des Stückes zum Hüter der Sitt¬
Die Nationalversachmlung hat gestern
lichkeit aufzuwerfen, und es war auch nicht
einen tiefen Fall getan. Die Oeffentlichkei
der beleidigte Geist freier oder angeblich freier
steht unter dem zermalmenden Eindruck eines
Gesinnung, der die Sozialdemokraten Sturm
Zweiundvierzig=Milliardendefizits und ist von
blasen ließ. Um Macht und Machtfragen, um
quälendster Sorge erfüllt, was###s die
Partei und Parteiherrschaft ging es wieder.
nächsten Wochen bringen wem Die Volks¬
Der Minister des Innern verbot, sozusagen
boten aber, das ausärgste gefährdete
hintenherum, die weitere Aufführung des
Gemeinwohl ver#d uund stets nur ge¬
Stückes. Damit hatte er nach Auffassung der
stachelt voneisucht, führen in¬
Sozialdemokraten in die Rechte des Landes¬
mitten## Not und Angst einen Skandal
hauptmannes von Wien eingegriffen, in dessen
sch###ster Sorte auf, beschimpfen einander
Zuständigkeit die Entscheidung über ein Verbot
undfahren sich fast buchstäblich in die Haare
des Werkes fiele. Darob wutentbrannte Auf¬
solche
Wir sprechen gar nicht davon, daß
regung, Geschrei, Beschimpfung, darob sogar
Skandale, wie sie gestern wegen eines Theater¬
sehr gewagte Drohungen des früheren Prasi¬
stückes sich ereignet haben, auch in besseren
denten Seitz. Mag ja sein, daß einzelne
Zeiten weder der gesetzgebenden Körperschaft
ozialistische Führer auch zu einer Art
noch deren Mitgliedern zum Ruhme gereichten.
literarischen Bolschewismus hinneigen. Die
Heute aber, da die gepeinigte österreichische
große Masse der sozialistischen Arbeiter dürfte
Kreatur ob all der Furchtbarkeiten und Be¬
aber, unserer Meinung nach, andere und ge¬
drückungen aufschreit, der auf uns scharf
wichtigere Sorgen haben als sich für die Auf¬
horchenden Welt das Schauspiel bieten, daß
führung des „Reigen“ zu entflammen. Der
das Für und Gegen ein Schauspiel die größte
parlamentarische Reigen, der gestern zu
Sorge unserer politischen Führer ist, muß
Schnitzlers „Reigen“ aufgeführt wurde, war
noch als ein ärgerer Skandal bezeichnet
und bleibt eine tiefbedauerliche Entgleisung.
werden als der gestrige Parlamentsskandal
Zweiundvierzig Milliarden Defizit und im
selbst. Ein Funken Takt und die ganzen
Parlament rauft man wegen eines Theater¬
gestrigen Szenen hätten nicht vorkommen
stückes. Zweiundvierzig Milliarden Defizit in
dürfen, ein Funken Sinn für das, was
einem Sechsmillionenstaatchen und die Volks¬
toirklich die Bevölkerung bewegt, und die
boten haben nichts Besseres zu tun, als sich
Boten des Volkes hätten sich vor dem Volke
die rostige Parteirüstung anzuschirren und
geschämt. Partei ist ein Wort lateinischen Ur¬
aufeinander loszuschlagen. Armer Staat,
sprungs. Es kommt von Pars, das Teil be¬
doppelt armes Gemeinwesen!
deutet. Geftern ist sinnfällig erwiesen worden,
n
daß unsere Parteien vom Ganzen und dem
zmischon Rublund und #er
Gemeinsamen nichts wissen.
Zunächst noch ein paar Worte zu Arkur
Schnitzlers „Reigen“ dessen Aufführung und
dessen allerdings vorläufig noch nicht in
Wirklichkeit versetztes Verbot Anlaß zu den
gestrigen beschämenden Vorgängen im Par¬
lament gegeben haben. Das Stück, eine
Szenenreihe, behandelt Vorgänge aus dem
Geschlechtsleben. Der gemeinen Deutlichkeit
der Dinge wird hiebei nicht aus dem Wege
gegangen. Schnitzler hat sein Opus ursprüng¬
lich nur für einen engeren Freundeskreis als
sogenanntes Manuskript drucken lassen. Dabei
hätte es sein Bewenden haben sollen. Es kam
aber später in größerer Auflage in den Buch¬
handel, bis man sogar den ungeheuerlichen
Mut aufbrachte, die ungemein fragliche
Szenenreihe auf das Theater zu bringen. Das
Werk hat nie in die Menge gehört, am aller¬
wenigsten auf die Bretter. Theater ist derbe,
handfeste Wirklichkeit. Der „Reigen“ dort
aufgeführt, ist nichts mehr als gewöhnlicher,
aber schon sehr gewöhnlicher erotischer Kitzel.
Was immer für künstlerische Absichten dem
Dichter bei Verfassung dieser Szenen vor¬
geschwebt haben mögen, und wenn es ihm
auch nur darum zu tun gewesen wäre, sein
dichterisches Senkblei in menschliche Leiden¬
schaften und Verworrenheiten hinabzulassen
der Menge, und insbesondere dem Theater
hatte das Stück auf alle Fälle fernzubleiben
Wir sind keine Augenverdreher, wissen, das
die deutsche Literatur in allen Zeiten ähnlicht
Schöpfungen freiester Schwingung aufzu¬
weisen hat. Und es sind nicht die Schlechtesten,
die sich zuweilen, weil ihnen eben nichts
Menschliches fremd war, den gewagtesten
Problemen genähert. Goethe hat sein „Tage¬
buch“ gedichtet, eine heikle, aber zugleich tiese
Sache. Aber hier, ohne sonst Vergleiche an¬
stellen zu wollen, beginnt gleich der Unter
schied. Goethe hätte niemals darein gewilligt
daß sein Poem der großen Oeffentlichkei
unterbreitet werde. Bis vor wenigen Jahrer
noch haben selbst die großen Goethe=Ausgaber
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