II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 488

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Reigen
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griff der Bundesregierung in die Rechte des
Landes Wien dar, da zur Ausübung der
Theaterzenfur in Wien ausschließlich der Landes¬
hauptmann von Wien befugt ist. Das Verbot beweist,
daß der Regierung das Diktat der Klerikalen höher
steht als die Bestimmungen der Verfassung. Es wird
die Frage gestellt, ob der Bundesminister für Inne¬
res den verfassungswidrigen Erlaß über das Verbot
der Aufführung des „Reigen“ sofort zurückziehen
wolle.“
Leuthnen führte dazu aus: Die Vorgänge in den
Ländern beweisen, daß die Regierung dort gar nicht
wagt, sich in irgendwelche Verfügungen der Landes¬
hauptleute einzumengen. Wenn Herr Dr. Seipel es
vorzöge, statt hier aus den Wandelhallen heraus zu
regieren, sich an die Spitze des Staates zu stellen,
dann würde er mit der Autorität seiner Partei und
des Parteiführers imstande sein, die Ausschreitungen
der Landeshauptleute einzudämmen. Wenn aber an
der Spitze der Regierung die Beauftragten, die Be¬
dienten, die Lakaien einer Partei stehen, die erzittern
müssen, nicht nur vor den Seipel und Kunschak, son¬
dern vor jedem Landeshauptmann, dann hört jedes
Regieren auf, dann verwandelt sich das Regieren in
ein bloßes System von Gefälligkeiten gegenüber der
christlichsozialen Partei

und Brutalitäten und
Ueberschreitungen gegenüber dem einzigen Lande,
das nicht christlichsozial verwaltet wird.
Glanz betele wieder den alten, aus der „Reichs¬
post“ wohlbekannten Vers von dem sittlichen Empfin¬
den der Wiener Bevölkerung, das durch die Auffüh¬
rung des „Reigen“ schwer verletzt werde, wodurch er
bei den Sozialdemokraten lebhaften Widerspruch her¬
vorrust. Er erklärte, daß nach den gellenden Kom¬
petenzbestimmungen, welche die Theaterangelegen¬
heiten dem Ressort des Bundesministeriums des
Innern zuweise, es sein Recht und seine Pflicht sei,
die weitere Aufführung zu untersagen. Bei den Wor¬
ten: „Ich glaube, das Urteil über mein
Wirken getrost jedem anständig den¬
kenden Menschen zu überlassen“, geht ein
großer Tumult los, der in eine Rauferei aus¬
artet. Die Sozialdemokraten drängen zur Minister¬
bank. Severerhält einen Schlag ins Ge¬
sicht! Man muß ihn mit Gewalt davor zurück¬
halten, sich auf den Abgeordneten Pe¬
schitz zu stürzen. Dann hält Volker eine
lange Rede über die gefährdete Sittlichkeit, von der
das meiste in dem Lärm verloren geht. Zum Schluß
ergreift Seitz das Wort. Er macht den Christlich¬
sozialen den Vorwurf, den er ihnen schon öfters ge¬
macht hat, daß ihnen die Kraft und der Mut ge¬
ehlt hat, selbst die Regierung zu über¬
nehmen und zugleich das Kompliment: daß sie,
wenn sie es getan hätten, gewiß das notwendige
Verständnis und den Takt besessen
hätten, der in der Entscheidung dieser Frage not¬
wendig ist.“ Er verspricht den Christlichsozialen, daß
ie, wenn sie es wagen werden, „die in der Ver¬
assung gewährleisteten Rechte auch nur im gering¬
sten zu #angieren, einem Widerstand begegnen wer¬
den, der „eisern“ ist, daß sie, wenn sie etwa hoffen
sollten, den Widerstand Wiens gegen Verfassungs¬
brüche mit Gewalt zu brechen, Gefahr laufen, daß
der Gewalt mit Gewalt begegnet wird. Gegen
Dr. Glanz wendet er ein, daß er vielleicht von Li¬
Die Rete Fahne. Wiss
12. Februgr 1921
Seite
teratur und Aesthetik etwas versteht (durch sein Vor¬
gehen gegen den „Reigen“ hat er ja den Beweis ge¬
liefert!), aber als Minister des Innern unmöglich
sei und bedauert, daß zu allem Unglück, das wir##
Oesterreich hohen, auch noch das eine kommte daß
man die Bevölkerung mit unfähigen Beamten plagt.