II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 499

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Reigen
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Die Rechtslage beim Verbot des „Reigen“.
Von Dr. Julius Ofner.

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Wien, II. Februar.
Schnitzlers „Reigen“ sollte in Berun von der Ver¬
waltug##rde verroten werden, wurde aber vom Ver¬
waltungsgerichte fleigegeben. In München ist er verboten;
in Wien wulde er vom Landeshauptmann erlaubt, von
dem Minister des Innern verboten.
Diese Verschiedenheit der Meinungen beweist wohl
daß das Stück sich an der Grenze befindet, und das un¬
besungene ästhetsche Urteil durfte dem Berliner Ver¬
waltungsgerichte zustimmen, mit dem sich zweifellos auch
der Wiener Theaterrat einverstanden erklärt hat, daß der
Inhalt des Stückes allerdings geeignet sein kann, lüstern
zu wirken, daß das Stück selbst aber durch die künst¬
lerische Behandlung des Stoffes aus dem Gebiete der
Lüsternheit herausgehoben wird. Bei der Aufführung ist
sicherlich die Art der Darstellung von entscheidender Be¬
deutung. Die Entscheidung für oder gegen die Aufführbar¬
keit des „Reigen“ kennzeichnet wohl den Standpuntt, den
Grad der Empfindlichteit oder Prüderie, wie man dies
nun nennen mag, wäre aber vielleicht kein Anlaß zu er¬
hitztem Streit.
Für uns ist aber eine andere Frage, eine Verfassungs¬
frage, an diese Stelle getreten. Der Landeshauptmann
hatte die Aufführung erlaubt, der Minister hat, über
seinen Kopf hinweg, sie verboten, Eine erregte Debatte im
Nationalrat, die fast zu Tätlichkeiten. führte, beweist, wie
sehr der Kompetenzstreit, der dadurch entfacht wurde, die
politischen Kreise bewegt. Nach der Theaterordnung vom
25. November 1850, R. G. Bl. Nu 434, ist zweifellos
(§ 3) der Statthalter, respektive derzeit der Landeshaupt¬
mann befugt, die Genehmigung zu erteilen; und wenn
nach § 5 die erteilte Aufführungsbewilligung aus Beweg¬
gründen der öffentlichen Ordnung jederzeit zurückgenommen
werden kann, so geht schon daraus, daß keine andere
Kompetenz im § 5 bestimmt ist, hervor, daß für die
Zurücknahme die gleiche Behörde maßgebend ist. Das wird
übrigens in der Instruktion vom 25. November 1800,
R. G. Bl. Nr. 454, ausdrücklich gesagt: „Die Zulässigkeit
eines Bühnenwertes ist teilweise von den allgemeinen
Verhältnissen und von der Epoche abhängig, in der die
Aufführung stattfinden soll. In manchen Fällen stellt auch
erst die Darstellung eine früher nicht vorhergesehene
Wirkung auf das Publikum veraus. Es ist deshalb dem
Neue Freie Presse.
Statthalter durch das Gesetz das Recht gewahrt, die
ertellte Aufführungsbewill.gung zu jeder Zeit ganz oder
tilweise zu widerrufen.“ Auf die Theaterordnung kann
daher das Recht des Ministers nicht gestützt werden.
Ein auderer Gedankengang hat hier gewirkt: der in
der Erintierung der höheren Bureaukratie noch lebendige
Gedanke der autokratischen Gewalt. In der autokratischen
Reglerungsweise ist der Wille des Monarchen höchstes
Gesetz. Die Behörden sind seine Organe und haben ihm
zu gehorchen. as sie getan haben, kann er ungeschehen
machen. Diese##iter dem Namen der Kabinettsjustiz be¬
kannte Gewalt ist in der Verwaltung weit länger geblieben
als im ordentlichen Gerichtsverfahren, in Oesterreich bis
zur Verfassung. In der nicht publizierten allerhöchsten
Entschließung vom 12. April 1852 ist der allgemeine
Wirkungskreis der Zentralstellen festgesetzt und dort heißt
es im § 1a, daß in diesem Wirkungstreis gelegen ist die
Vollziehung der allerhöchsten Beschlüsse und Befehle.
Diesen Befehlen hatten sich ebenso wie die Zentralstellen
auch alle untergeordneten Behörden und ebenso die Unter¬
tanen zu unterwerfen. Bei dieser Regierungsweise konnte
also leicht eine erteilte Bewilligung, wenn sie nicht Privat¬
recht schuf und durch die Gerichte geschützt wurde, behoben
werden. Und es war nicht ausgeschlossen, daß die
Zentralstellen dieses abgeleitete Recht auch in der Weise
geltend machten, daß sie von selbst und ohne allerhöchsten
Befehl eine derartige Kabinettsjustiz in der Verwaltung
ausübten. Gesetzlich war ihnen diese Macht nicht gegeben,