II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 500

Reigen
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ertellte Aufführungsbewill.gung zu jeder Zeit ganz o
tilweise zu widerrufen. Auf die Theaterordnung kann
daher das Recht des Ministers nicht gestützt werden.
Ein anderer Gedankengang hat hier gewirkt: der in
der Erintlerung der höheren Bureaukratie noch lebendige
Gedanke der autokratischen Gewalt.
In der autokratischen
Reglerungsweise ist der Wille des Monarchen höchstes
Gesetz. Die Behörden sind seine Organe und haben ihm
zu gehorchen. Was sie getan haben, kann er ungeschehen
machen. Diese unter dem Namen der Kabinettsjustiz be¬
kannte Gewalt ist in der Verwaltung weit länger geblieben
als im ordentlichen Gerichtsverfahren, in Oesterreich bis
zur Verfassung. In der nicht publizierten allerhöchsten
Entschließung vom 12. April 1852 ist der allgemeine
Wirkungskreis der Zentralstellen festgesetzt und dort heißt
es im § 1a, daß in diesem Wirkungstreis gelegen ist die
Vollziehung der allerhöchsten Beschlüsse und Befehle.
Diesen Befehlen hatten sich ebenso wie die Zentralstellen
auch alle untergeordneten Behörden und ebenso die Unter¬
tanen zu unterwerfen. Bei dieser Regierungsweise konnte
also leicht eine erteilte Bewilligung, wenn sie nicht Privat¬
recht schuf und durch die Gerichte geschützt wurde, behoben
werden. Und es war nicht ausgeschlossen, daß die
Zentralstellen dieses abgeleitete Recht auch in der Weise
geltend machten, daß sie von selbst und ohne allerhöchsten
Befehl eine derartige Kabinettsjustiz in der Verwaltung
ausübten. Gesetzlich war ihnen diese Macht nicht gegeben
gesetzlich ist überall festgesetzt, wann die Zentralstelle als
erste, als zweite oder letzte Instanz zu urteilen hat, und
nirgends ist ihr die Befugnis eingeräumt, dort, wo sie in
letzter Instanz zu entscheiden hat, bereits in einer früheren
oder gar ohne Rekurs von Amts wegen über die früheren
Instanzen hinweg zu entscheiden.
Die Bestimmungen dieses allgemeinen Wirkungs¬
kreises aus der nicht publizierten allerhöchsten Entschließung
vom 12. April 1852 sind jedoch durch die Verfassung
wesentlich geändert. Um nicht den Anschein zu erwecken,
als ob dies lediglich meine eigene Erfassung wäre, führe
ich aus Mayerhofers Handbuch I, Seite 276, die Worte
an: „Die Bestimmungen dieses allgemeinen Wirkungs¬
kreises, welche infolge der seither eingetretenen Aende¬
rungen in der Verfassung in der dadurch bedingten Stel¬
lung der Ministerien, dann infolge von Umgestaltung im
Verwaltungsorganismus, wodurch auch den Landesstellen
ein größerer Wirkungskreis eingeräumt wurde, sowie
infolge sonstiger Neuerungen in der Gesetzgebung in vielen
wesentlichen Beziehungen nicht mehr aktuell sind,
werden
... mitgeteilt.“ Die Kabinettsjustiz war es
vorzugsweise, die in das Leben und die Freiheit schwer
eingriff, und gegen sie richtete sich die Verfassung. Von
da an war es zweifellos, daß die verschiedenen Aemter
ihren festbegrenzten Wirkungskreis haben und denselben
nicht überschreiten dürfen. Zahlreiche Entscheidungen des
Verwaltungsgerichtshofes sind hierüber ergangen und ob
nun Vereinsrecht oder Presserecht oder Theaterrecht in
Frage kommen, ist hiefür selbstverständlich gleichgültig.
Landeshauptmann und Statthalterei haben insbesondere
eine fostere und selbständigere Stellung erhalten. Im
Gesetz vom 19. Mai 1868, R. G. Bl. Nr. 44, ist dieser
Wirkungskreis abgegrenzt und im § 8 unter Bezugnahme
auf § 12 des Staatsgrundgesetzes über die Ausübung
der Regierungs= und Vollzugsgewalt der Landeschef ver¬
antwortlich gemacht für seine sowie für die Amts¬
führung der ihm unterstehenden politischen Landes¬
behörde.
Bei der Beurteilung des Aktes, den der Minister
gesetzt hat, tritt daher die Frage des „Reigen“ völlig
zurück. Es handelt sich darum, ob wir verfassungsmäßig
leben wollen, ob wir darauf rechnen dürfen, daß sich die
Beyörden an ihren. Wirkungskreis halten und daß ins¬
besondere die obersten Behörden nicht Autokraten spielen.
Oessentliche Ordnung ist durch den „Reigen“ nicht gestört
worden. Im Beschlusse des Ministers spricht sich
nur Sittlichkeitspolizei aus, weshalb nicht einmal § 5 der
Theaterordnung für den Landeshauptmann in Betracht
käme. Die Tatsache, daß die Rekursinstanz über die erste
Instanz hinweg eine erteilte Erlaubnis zurückgenommen,
die Entscheidung der gesetzlichen Instanz ohne Einver¬
nehmen mit ihr aus eigener Willkür aufgehoben hat, tritt
also rein in Erscheinung und damit auch rein die Ver¬
fassungsfrage.