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Wien, Samstag
Statthalters der Landeshauptmann getreten. Das Verhor
des Bundesministers für Inneres und Unterricht greift also
in die Kompetenz des Landeshauptmannes
ein. Wir stellen daher den Antrag: Der Herr Bürgermeister
als Lendeshauptmann wolle die Autonomie des Landes Wien
gegen jedweden Eingriff der Bundesregie¬
rung energisch wahren.
Der Sturm bricht los.
Die Verlesung dieses Antrages begleitet die Gemeinde¬
rätin Frau Dr. Seitz=Motzko mit lebhaften Pfuirufen,
sie schlägt mit einer Mappe auf ihr Pult und beginnt bereits
ein Puitdeckelkonzert. Auch andere ihrer Parteigenossen be¬
teiligen sich an dieser Demonstration, aber Gemeinderat
Speiser läßt sich trotz des Lärmes in der Verlesung seines
Antrages nicht behindern. Als er geendet, wird dem Antrag
trotz des wüsten Lärmes die Dringlichkeit durch Abstimmung
zuerkannt. Unter fortwährenden Zwischenrufen und gegen¬
seitigen Beschimpfungen begründet Speiser in folgendem den
Antrag: Das Verbot des Bundesministers für Inneres und
Unterricht stellt den ersten Versuch eines Ein¬
griffes in die Autonomie des Landes Wien dar.
Dder Gegenstand, an dem sich dieser Eingriff vollzieht, ist
eigentlich für meinen Dringlichkeitsantrag ohne Belang. Es
handelt sich durchaus nicht darum, daß sich etwa der Wiener
Landtag als eine Stelle für Theaterkritik auftue. Aber es ist
notwendig, daß wir uns in dem Augenblick, wo es eine
Bundesregierung zum ersten Male versucht, die Autonomie
des Landes Wien anzutasten, dagegen sofort und mit aller
Energie zur Wehre setzen. Es ist bekannt, daß meine Partei
durch lange Zeit dafür gekämpft hat, daß die Bundesver¬
fassung der Republik Oesterreich nach zentralistischen Prinzi¬
pien eingerichtet werde. Wir mußten uns schließlich fügen
und der autonomistischen Gestaltung der Republik unsere
Zustimmung geben. Nun aber sind wir selbstverständlich ent¬
schlossen, die autonomen Rechte, die dem Lande Wien durch
die Bundesverfassung gewährleistet sind, zu verteidigen; wir
werden nicht zugeben, daß ein Bundesminister
die Rechte dieses freien und autonomen Lan¬
des und seines Landeshauptmanns einfach
wegeskamotiert.
Gemeinderätin Dr. Seitz=Motzko (christlichsozial)
erklärt unter großer Unruhe, daß es geradezu unglaublich
sei, daß dieses Stück „Der Reigen“, das nichts anderes ist
als eine Konzession auf die Geilheit eines auswärtigen
Schiebertums, in Wien aufgeführt werden dürfe, und daß
entgegen allen Einsprachen der Bürgermeister von Wien als
Landeshauptmann ein derartiges Stück schützt. Ich verlange
im Namen meiner Parteigenossen, daß der Herr Bürger¬
meister uns über sein Verhalten Rechenschaft gibt und ob er
gewillt ist, das Verbot über dieses Stück auszusprechen.
Die prüden christlichsozialen Gemeinderätinnen.
Nachdem Gemeinderätin Motzko ihrz Rede geschlossen
entsteht vor den Bänken der Christlichsozialen ein heftiger
Meinungsaustausch zwischen der Gemeinderätin Kramer und
einigen christlichsozialen Gemeinderätinnen, die ihr zurufen:
„Pfui Teufel, das will eine Lehrerin sein, schämen Sie sich,
den Schmutz für das Dirnentum zu verteidigen.“
Gemeinderat Kunschak (christlichsozial) beginnt seine
Rede unter heftigen und lauten Zwischenrufen und meint,
daß es bezeichnend sei, daß die Aufführung eines Schau¬
stückes Anlaß zu Weiterungen zwischen den Parteien gesen
kann.
Die Antwort des Landeshauptmanns Reumann.
Landeshauptmann Reumann bedauert es, daß der An¬
laß zu dieser Debatte über ein wichtiges Verfassungsrecht die
Ursache in der Aufführung des „Reigen“ hat. Er hätte ge¬
wünscht, daß ein wichtigerer Anlaß dazu Gelegenheit ge¬
geben hätte. Da nun diese Frage so vom Zaune gebrochen
wurde, so müsse er vor allem darauf verweisen, daß in den
verschiedensten Tingel=Tangels die Sittlichkeit verletzt werde.
Zustimmung bei den Sozialdemokraten.)
Wiener Morganzeitung
zuwürdigen. (Rufe bei den Sozialdemokraten: Bravol
Sehr richtig!) Ich habe, gestützt auf die staatliche Verordnung
vom November 1850, dem Herrn Glanz bereits einmal gesagt,
daß ich seinem Gebote nicht Folge leisten werde. Herr
Glanz hat mir in beispielloser Ueberhe¬
bung einen Erlaß zugesandt, in dem er am Schluß ver¬
langt, daß ich die Aufführungsbewilligung des „Reigen“ außer
Kraft setze. Hiezu hat Herr Glanz kein Recht und man
kann auch einer solchen Rechtsbeugung nie zustimmen.
Renmann an Glanz.
Ich habe dem Herrn Glanz folgende Antwort erteilt: Durch
Bericht seitens der Magistratsabteilung 55 bin ich in Kenntnis
gesetzt worden, daß mit dem an diese gerichteten Erlaß des
Bundesministeriums für „Inneres und Unterricht vom
10. Februar 1921 die mit Ihrer Entscheidung erteilte Auf¬
führungsbewilligung für das Bühnenwerk „Reigen" von
Artur Schnitzler außer Kraft gesetzt und die weitere Auf¬
führung untersagt wurde. Nach der Theaterverordnung vom
14. November 1850 bedarf jede Bühnenproduktion vor ihrer
ersten Darstellung der Aufführungsbewilligung von seiten
des Statthalters.
Nach § 5 kann die erteilte Bewilligung aus Beweg¬
gründen der öffentlichen=B#dnung jederzeit zurückgenommen
werden. Nach § 7 steht dem Theaterunternehmer gegen die
Entscheidung des Statthalters der Rekurs an den Minister
des Innern zu. Aus diesen gesetzlichen Bestimmungen geht
hervor, daß die Untersagung der weiteren Aufführung ob¬
bezeichneten Bühnenwerkes nicht vom Bundesministerium
für Inneres und Unterricht ausgehen kann. Die Magistrats¬
abteilung 55 wurde von mir beauftragt, mit der exekutiven
Durchführung des amtlichen Erlasses im Wege der Polizei¬
direktion innezuhalten. An Stelle des Statthalters ist nun
nach den Verfassungsgesetzen der Landeshauptmann von
Wien getreten. Ich werde als Landeshauptmann
von dem mir zustehenden Recht um kein Jota
abweichen. (Lebhafte Zustimmung bei den Sozialdemo¬
kraten, Gegenrufe bei den Christlichsozialen.) Das ist die
Entscheidung und nun soll Herr Glanz das Gesetz verletzen!
(Stürmischer Beifall und Hochrufe auf Reumann bei den
Sozialdemokraten.)
Gegen Schluß der Rede des Landeshauptmanns, die er
in großer Erregung zum Schlusse gesprochen hatte, steigern
sich die Gegenrufe immer mehr zu einem wüsten Lärm. Be¬
schimpfungen fallen gegenseitig, aber mitten in diesem großen
Lärm wird der Bürgermeister immer wieder stürmisch
akklamiert.
Der Antrag Speiser wird mit genügender Mehrheit der
geschäftsordnungsmäßigen Behandlung zugewiesen.
Politische Rundschau.
Die Mitglieder der „Clartee“ werden
perlustriert.
Wie seinerzeit berichtet wurde, hat sich in Frank¬
reich eine Gruppe von Gelehrten und Schriftstellern
unter dem Namen „Clartee“ zu einer Organisation für
Freiheit und Aufklärung gebildet. An der Spitze dieser
Bewegung steht Anatole France. Die „Clatter“ hat
sehr rasch Anklang gesunden und auch außerhalv Frank¬
reichs haben sich seitdem unter dem gleichen Titel In¬
tellektuellengruppen zusammengeschlessen, welche die¬
selben Ziele verfolgen wie die Pariser Zentrale. Die
große Jagd nach Kommunisten und politisch Verdäch¬
tigen, welche jetzt in ganz Frankreich veranstaltet wird,
at, wie aus Paris gemeldet wird, besonders in den
Provinzstädten auch die Gruppen der „Clariee“ nicht
verschont. In Bordeaux wurden bei sämtlichen Mit¬
gliedern der „Clartee“ Hausburchsuchungen vor¬
zenommen, Korrespondenten beschlagnahmt und mehrere
Mitglieber der Bewegung einer hochnotpeinlichen Perlu¬
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Die Verlesung dieses Antrages begleitet die Gemeinde¬
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ein Puitdeckelkonzert. Auch andere ihrer Parteigenossen be¬
teiligen sich an dieser Demonstration, aber Gemeinderat
Speiser läßt sich trotz des Lärmes in der Verlesung seines
Antrages nicht behindern. Als er geendet, wird dem Antrag
trotz des wüsten Lärmes die Dringlichkeit durch Abstimmung
zuerkannt. Unter fortwährenden Zwischenrufen und gegen¬
seitigen Beschimpfungen begründet Speiser in folgendem den
Antrag: Das Verbot des Bundesministers für Inneres und
Unterricht stellt den ersten Versuch eines Ein¬
griffes in die Autonomie des Landes Wien dar.
Dder Gegenstand, an dem sich dieser Eingriff vollzieht, ist
eigentlich für meinen Dringlichkeitsantrag ohne Belang. Es
handelt sich durchaus nicht darum, daß sich etwa der Wiener
Landtag als eine Stelle für Theaterkritik auftue. Aber es ist
notwendig, daß wir uns in dem Augenblick, wo es eine
Bundesregierung zum ersten Male versucht, die Autonomie
des Landes Wien anzutasten, dagegen sofort und mit aller
Energie zur Wehre setzen. Es ist bekannt, daß meine Partei
durch lange Zeit dafür gekämpft hat, daß die Bundesver¬
fassung der Republik Oesterreich nach zentralistischen Prinzi¬
pien eingerichtet werde. Wir mußten uns schließlich fügen
und der autonomistischen Gestaltung der Republik unsere
Zustimmung geben. Nun aber sind wir selbstverständlich ent¬
schlossen, die autonomen Rechte, die dem Lande Wien durch
die Bundesverfassung gewährleistet sind, zu verteidigen; wir
werden nicht zugeben, daß ein Bundesminister
die Rechte dieses freien und autonomen Lan¬
des und seines Landeshauptmanns einfach
wegeskamotiert.
Gemeinderätin Dr. Seitz=Motzko (christlichsozial)
erklärt unter großer Unruhe, daß es geradezu unglaublich
sei, daß dieses Stück „Der Reigen“, das nichts anderes ist
als eine Konzession auf die Geilheit eines auswärtigen
Schiebertums, in Wien aufgeführt werden dürfe, und daß
entgegen allen Einsprachen der Bürgermeister von Wien als
Landeshauptmann ein derartiges Stück schützt. Ich verlange
im Namen meiner Parteigenossen, daß der Herr Bürger¬
meister uns über sein Verhalten Rechenschaft gibt und ob er
gewillt ist, das Verbot über dieses Stück auszusprechen.
Die prüden christlichsozialen Gemeinderätinnen.
Nachdem Gemeinderätin Motzko ihrz Rede geschlossen
entsteht vor den Bänken der Christlichsozialen ein heftiger
Meinungsaustausch zwischen der Gemeinderätin Kramer und
einigen christlichsozialen Gemeinderätinnen, die ihr zurufen:
„Pfui Teufel, das will eine Lehrerin sein, schämen Sie sich,
den Schmutz für das Dirnentum zu verteidigen.“
Gemeinderat Kunschak (christlichsozial) beginnt seine
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Landeshauptmann Reumann bedauert es, daß der An¬
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daß ich seinem Gebote nicht Folge leisten werde. Herr
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