II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 557

box 17/6
11. Reigen
Der „Reigen“ ist gestern in einer Abend= als aue)
in einer Nachtvorstellung indden Kammerspielen ohre
Zwischenfall aufgeführt Horden, da die Bundesregierung auf ine
gewaltsgme Verhinderung der Vorstellungen zu verzichten scheint
und sich hatauf Fbeschränkt, den Versußungskonflikt, der sich
zwischen ihr und dem Landeshauptmann Resmayn, ergeben hat,
vor dem Verfassungsgerichtshof auszutragen. Die Bundesregierung
will gegen Landeshauptmann Reumann die Klage bei diesem
Gerichtshof einbringen, der jedoch bloß ein Feststellungsurteil
fällen könnte, in dem ka#statiert wied, daß eine Rechtsverletzung
vorliege, wenn die Regierungmit ihrem Standpunkt recht behalten
sollte. Da aber ein Verfählenzvor dem Verfassungsgerichtsho
an gewisse Fristen geknüpft ist, Heso daß die Entscheidung
der strittigen Frage sich ziemlich lunge hinausziehen dürfte, wird
die Regierung wohl den Kompromißw## beschreiten, den Direktor
Bernau angeboten hat. Er hat nämlich dem Ministerium des
Innern den Vorschlag gemacht, gewisse Aenderlngen in der
Inszenierung des „Reigen“ vorzunehmen, um, dadurch die
Bedenken bezüglich der Wirkung der Dialoge zu beseitigen. Das
Ministerium des Innern hat auch bereits das Anerbieten Bernaus
angenommen und sich in Verhandlungen wegen gewisser Regie¬
änderungen eingelassen. Es ist also möglich, daß die „Reigen“.
Angelegenheit ohne den Verfassungsgerichtshof geschlichtet und das
Stück mit den in Rede stehenden Aenderungen sodann ohne jede
weitere Einwendung aufgeführt wird.
KdrVien wurde gestern
Das Verbot des „Reigen“
Dem Vernehmen nach wird, sich, der Ver¬
fassungsgerichtshof bereits im Laufe der
nächsten Woche mit dem Verfassungskonflikt
beschäftigen, der zwischen der Bundesregierung und dem
Landeshauptmann von Wien entstanden ist.
Die heutigen Vorstellungen des „Reigen, der in den,
Kammerspielen zweimal, um 7 Uhr abends und um
10 Uhr nachts, aufgeführt wurde, verliefen ohne jeden
Zwischenfall.
Nationalrat Ottokar Czernin über das Verbot
des „Reigen“.
In einer gestern abend in Döbling abgehaltenen Ver¬
sammlung konstituierte sich der Bezirksausschuß der bürgerlichen
Arbeitspartei für den Bezirk, worauf Abgeordneter Ottokar
Czernin über die politische Lage sprach. Er kam dabei auf
die freitägigen Szenen im Parlament zu sprechen und führte
aus: Es ist eine Auslegungsfrage, ob das Vorgehen des
Dr. Glanz bei dem Verbote des „Reigen“ verjassungsrecht¬
lich völlig einwandfrei ist, aber auch wenn dies nicht der Fall
ist, so rechtfertigt dies in keiner Weise die von den Sozial¬
demokraten veranstalteten Szenen. Ich halte den Dr. Glanz
für einen ausgezeichneten, pflichttreuen und auch mutigen Be¬
amten. Ich din kein Christlichsozialer, ich bin in mehr als
einem Punkt ihr Gegner, aber eben deshalb ein unverdächtiger,
objektiver Zeuge und kann bestätigen, daß die Skandale von
den Sozialdemokraten ausgingen.
Ob die Sozialdemokraten durch ein solches Vorgehen nicht
mehr zerschlagen als sie selbst glauben, ist sehr die Frage;
jedenfalls diskreditieren sie das Parlament im In= und Ausland
vollständig und geben jenen Recht, die behaupten, daß wir nicht
imstande seien, uns selbst zu regieren; sie sind durch ihr Vorgehen
die Pioniere der von ihnen so gefürchteten Neaktion. Vor zwei
Jahren hieß es, „freie Bahn den Tüchtigsten“. Nun wenn sich
diese Tüchtigkeit nur in Beschimpfungen und Prügeleien äußert,
dann müßte sich das Volk wohl dafür bedanken; diese Sorte
von Tüchtigkeit kann es in vielen Wirtshäusern der Vorsteds
finden. Man aebt jedoch sehl, wenn man glaubt, daß die auc¬
Nr. 20281
Wien, Sonntag
geworfene Frage des Theaterstückes der eigentliche Grund des
gestrigen Skandals war; das Vorgehen des Dr. Glanz war den
Sozialdemokraten nur ein Vorwand, wie sie alles sabotieren
werden, was die christlichsoziale Regierung macht. Sie wollen
beweisen, daß eine Regierung ohne ihre Teilnahme ein Ding der
Unmöglichkeit ist, und der Minister des Innern könnte machen,
was immer er wollte, so wird er auf das heftigste von ihnen an¬
gegriffen werden.

9
K
K
h
(1
5
Randbemerkungen zum Tag.
Der russisch=polnische Friedensvertrag wurde vor¬
gestern in Riga unterzeichnet. Jetzt kann sich Trotzky
ungestört mit den Vorbereitungen zur
nächsten
Offensive befassen.,
Der sozialdemokratische Nationakrat Witzany
machte in der gestrigen „Reigen“=Debatte den Zwischen¬
ruf: „Die christlichsozialen Abgeordneten haben sich
die Füße abgelaufen, damit sie Karten bekommen.“
Sie haben aber keine bekommen, weil die Sozial¬
demokraten noch schneller gelaufen sind.
Die Sozialdemokraten haben sich gestern schrecklich 8
aufgeregt, weil Bundesminister Dr. Glanz sagte, er
überlasse das Urteil über sein Wirken getrost jedem
anständig denkenden Meuschen. Gleiches
Recht für alle, sagen sie.
Nach dem Bericht über das Kapitel „Heerwesen“
stellen sich die Erhaltungskosten für ein Pferd auf
26.323 Kronen pro Jahr. Und da verlangen die
Pferde nicht einmal Teuerungsbeiträge und gleitende
Zulagen!
Ein Defraudant hat in Gesellschaft von zwei
„Damen“ in drei Nächten 200.000 Kronen ausg.¬
geben. Ja, die Teuerung in Wien ist schrecklich!
Die Gemeinde Wien hat ihren Fuhrwerksbetrieb
in ein Fuhrwerksunternehmen umgewandelt. Bürger¬
meister Reumann und Genossen wollen sich für den
herannahenden „Ausziehtermin“, das nötige
Fuhrwerk sichern.
Der Sozialdemokrat Dr. Bauer beantragte, einen
Teil der Getränkestenererhöhungen zur Bekämpfung
des Alkoholiemus zu verwenden. Aus Parteidisziplin
würden dann seine Genossen recht viel trinken, um
die Mittel aufzubringen, sich das Trinken abzu¬
gewöhnen. Eine homöopathische Kur!
treu—.