II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 564

11. Reigen
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Sonntag
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Aus der „Reigen"aufführung war also eine Streitfrage
um die in der Bundesverfassung festgelegte Kompetenz
zwischen Bund und Land geworden.
Ihren weiteren würdigen Fortgang nahm die Angele¬
genheit in der gestrigen Sitzung der Nationalversamm¬
lung.
Schon während des Verlaufes deutete eine gewisse Un¬
ruhe auf dem sozialdemokratischen Flügel an, daß hier
irgend etwas in aller Eile inszeniert wurde, indem Unter¬
schriften gesammelt wurden usw.. Nach Schluß der Sit¬
zung brachte NR. Leuthner die oben gebrachte dring¬
liche Anfrage ein.
Ueber den Verlauf der nun einsetzenden Debatte
können wir den Bericht des Korrespondenzbüros nach den
Aussagen eines Augen= und Ohrenzeugen ausführlicher er¬
gänzen.
Die Art, wie NR. Leuthner, der zum Platzen er¬
regt erschien, seine Anfrage einbrachte, war, wie man es
an ihm gewohnt ist: äußerst heftig, um nicht zu sagen
radikal. Sehr vornehm und ruhig hingegen wirkte die Er¬
widerung des Bundesministers Glanz, der trotz der
ausbrechenden, tumultarischen Vorgänge in keiner Weise
vom Tone ruhiger Sachlichkeit abwich. Als er seine Rede
mit den Worten schloß, daß alle anständigen Menschen
sein Urteil über diese Veranstaltung teilen würden, brack
der Sturm vollends aus. Die Sozialdemokraten, unter
ihnen besonders Witternigg (wie immer bei solchen
Gelegenheiten!) und Zelenka drängten stürmisch gegen den
Minister vor. Dieser befand sich in bedrohlichster Lage, da
er seinen Platz zu äußerst links hat, er somit in diesem
Augenblick den schieer bedrohten linken Flügel darstellte,
auf den sich der Hauptsturm des Angriffes der österreichi¬
schen sozialdemokratischen Nationalräte unter schwung¬
voller Führung Witterniggs usw. richtete. Es fehlte nur
ein Haar und der Minister wäre von der sozialdemokrati¬
schen Uebermacht tätlich angegriffen worden. Nun konnten
auch die Christlichsozialen nicht mehr zögern und so eilten
sie dem arg bedrängten Glanz zu Hilfe und es gelang
auch, den ärgsten Tumult abzustellen und den Minister so¬
weit zu sichern, daß er der Gefahr tätlicher Angriffe ent¬
rückt war. Besonderes Verdienst kommt dem christlichsoz.
NR. Wiesmayr zu, der nahezu, ein Hüne von Ge¬
stalt, die tobenden Genossen auseinanderdrängte und das
Aergste verhütete.
Noch einige Worte über die „Reigenseuche“ selbst,
wie sich der sozialdemokratische „Vorwärts“ ansdrückt
Das Stück hat seinen Namen daher, weil es in einer
Bilderreihe den Reigen der Geschlechtlichkeit in uner¬
vor Angen führt
hört offenkundlicher Darstellung
Paar für Paar geht über die Bühne, jedesmal mit Aus¬
wechslung eines Partners: Dirne und Soldat, dann
Soldat und Stubenmädchen, hierauf das Stubenmädchen
mit dem jungen Herrn, dieser mit der jungen Dome
sodann junge Frau und Ehemann, der von ihr zum
süßen Mädel abfällt, diese tauscht ihn gegen den Dichter
ein, der dann zur Schanspielerin geßt, die sich dann mit
dem Grafen paart, bis dieser sich wieder mit der Dirne
vereint. So die furchtbaren Verschlingungen des „Rei¬
gens“
Gewiß kann man auch bei diesem Stücke alle Mil¬
darf,
derungsgründe anrufen, die die Kumst aurnfen
und
wenn sie innerhalb ihrer Grenzen das Häßliche
und
Abstoßente beschreibt Ueber den Reigen allerdings
noch mehr über seine Darstellung auf der Bühne, schei¬
nen die Würfel im allgemeinen Urteil gefallen zu sein.
Moissi hat einmal gesagt, jede Schanspielerin, die im
=Reigen“ mitspiele, verdiene angespuckt zu werden.
Die amtliche Darstellung.
KB. Wien, 11. Februar. In Begründung des Dring¬
lichkeitsantrages betreffend das Verbot von Schnitzlers
Reigen führte Sozialdemokrat Leuthner aus, es
handle sich nicht um die künstlerische oder die ästhetische