II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 581

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Reigen
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Am 14,
beite 2
Wien, Montag
Der Kompetenzkonflikt wegen des „Reigen“.
Verbotes.
Von einem Rechtslehrer.
Wien, 14. Februar.
Die parlamentarische Auseinandersetzung über das
Verbot der „Reigen"=Aufführungen zeigte einen politischen
Kampf ethischer, ästhetischer, verfassungs= und verwaltungs¬
juristischer Anschauungen seltsamster Art. Es gäbe keinen
besseren Beweis für die außerordentlichen Schwierigkeiten
in einem Uebergangszeitalter, wie es das unsere in jedem
Sinne ist, auf irgendeinem Gebiete zu entscheiden, was
Rechtens ist.
Der Bundesbürger, dem das Schicksal so viele einst
liebe Freiheiten genommen hat, ist doppelt reizsam und
eifersüchtig, wenn das letzte Gebiet freien Auslebens, das
der politischen Rechte, angetastet scheint. So droht ein
Zensurverbot, wie es in früheren Zeiten gar nicht selten
erging und jeweils nur das Aergernis der betroffenen
Dichter und Bühnenleiter, vielleicht auch noch eines nicht
gar großen Kreises von Schauspielern und Literaturfreunden
bildete, Anlaß zu einem Verfassungsstreit zu bieten. Oeste
reich mag sich schmeicheln, daß ein Bühnenwerk Auf¬
regungen wachruft, wie nur eine Komödie des Aristophanes
im antiken Athen.
Wäre der Kampf nicht so hart und giftig entbrannt,
stünden nicht so wichtige und für die Zukunft richtung¬
gebende Fragen vor ihrer Klärung, so müßte die erhabene
Jurisprudenz ein Lächeln ankommen, wie seltsam die Ironie
des verbotenen Bühnenwerkes und seines Verfassers auch
in alle rechtswissenschaftlichen Auseinandersetzungen über
die „Maßnahme der Sicherheitsbehörde“ hineinzuspielen
droht. Geradezu mutwillig sind Gesetze durchemander¬
gewürfelt, die aus schroff einander entgegengesetzten Zeiten
tammen. Der Entstehung nach trennen fast sieben Jahr¬
zehnte die Bestimmungen, mit denen die Regierungen
Bundesregierung und Landesregierung — ihren Rechts¬
standpunkt begründen. Auf Grund des Bundesverfassungs¬
gesetzes von 1920 — eines Gesetzes, das sich eine parla¬
mentarische Republik gegeben — macht der Bundesminister
von seinem Aufsichtsrechte Gebrauch, wohingegen sich der
Landeshauptmann von Wien, der sozialdemokratische
Bürgermeister Reumann, unter Berufung auf eine Ver¬
ordnung des Ministers Bach vom Jahre 1850 zur
Wehre setzt.
Dieses seltsame Zusammentreffen zeigt besonders
drastisch das Uebergangsstadium, in dem sich unser Staat be¬
findet. Noch ist alles im Werden. Aelteste Gesetze, nach denen
monarchische Behörden mehr als ein halbes Jahrhundert
lang verwalteten, müssen noch immer Anwendung finden,
weil wir in einem Bundesstaate leben, für dessen wichtigste
Verwaltungsfragen ein sogenanntes „Uebergangsgesetz“ aus
schlaggebend ist. So viele Gesetze auch in den Jahren seit dem
Umsturz geschaffen wurden und werden, sind dennoch
wichtigste ausständig. Darum scheint es noch nicht an der
Zeit, schwierige Kompetenzkonflikte zu suchen und aus¬
zutragen. § 42 des Verfassungsgesetzes vom 1. Oktober 1920,
St. G. Bl. Nr. 451, betreffend den Uebergang zur bundes¬
staatlichen Verfassung sieht nämlich drei wichtige Ver¬
fassungsgesetze vor, bis zu deren Inkrafttreten auf dem
Ab¬
Gebiete der Gesetzgebung und Vollziehung, wie es im
satz 2, lit. a dieses Paragraphen heißt, die Verteilung
Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern gegenüber der
bestehenden zwischen Staat und Ländern nicht geändert wird.
Bis dahin sind auch die Artikel 10 bis 13 und 15 des
Bundesverfassungsgesetzes, in denen die Kompetenzfragen des
stun¬
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Wothe Preie Presse.
künftigen Bundesstaates geregelt sind, noch nicht wirksam.
Der Minister des Innern bleibt also bis dahin unleugbar
der oberste Chef der Sicherheitsbehörde, wie sie Minister
Bach vor Augen hatte, als er die Theaterordnung Anno 1850
unterzeichnete. Und diese Theaterordnung sagt in der
„Instruktion an die Statthalter“ klipp und klar: In
dringenden Fällen ist selbst den Staatssicherheitsbehörden
die Vollmacht erteilt, die weitere Aufführung eines der öffent¬
lichen Ruhe gefährlichen Stückes zu untersagen.
Die Demokratisierung der Verwaltung ist in Oester¬
reich so weit fortgeschritten, daß an einen schärferen Konflikt
zwischen Minister und Landeshauptmann kaum zu glauben
ist. Beide sind Volksbeauftragte. Mag auch der derzeitige
Minister des Innern aus dem Beamtenstande hervor¬
gegangen sein, so gilt doch auch für ihn der Ausspruch
von Professor Dr. Kelsen: „Das Prinzip der parla¬
mentarischen Regierung bewirkt, daß die Minister, also die
Ressortchefs der Verwaltung, unter dem entscheidenden Ein¬
fluß der Volksvertretung berufen werden. Jeder der beiden
Funktionäre kann sich darauf berufen, daß ihn Bundes¬
bürger Oesterreichs auf seine Stelle berufen haben.
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