II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 597

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Reigen
Wiener Mittag
Die „Reigen“=Revolution.
Es war im Februar des Jahres 1921. Der Trubel und
die ungezügelte Genußsucht feuchtfröhlicher Faschingstage
hatte einen Katzenjammer hinterlassen, der mit Millionen von
Heringen nicht zu verscheuchen war. Wien, die schöne Stadt
an der blauen Donau, wurde von einer Schmutzepidemie
heimgesucht und die Straßen und Gassen übernahmen die
Funktion eines Stiefelknechts, dieweil die Schuhe im Dreck
stecken blieben. Das Volk schrie, schimpfte, tobte. Vergeblich!
Die Sonne, die von einem hohen Bürgermeisteramte zur
Schneesäuberung verpflichtet war, ließ sich nicht blicken und die
Schneepflüge wurden unbrauchbar, noch bevor sie ihre Tätig¬
keit ausgenommen hatten. Die Kaiserstadt war in Gefahr,
unterzugehen. Niemand wagte sich ohne Rettungsgürtel aus
dem Hause. In Wien war es still!
Da endlich kam ein erlösender Wendepunkt: die Aus¬
führung des „Reigen“! Das war etwas, was Leben in die
Bude brachte. Vergessen waren die Pfützen der Sträße; die
Schneeschaufler — wohl hundert an der Zahl — wurden ent¬
lassen, der Schlachtplan der österreichischen Wehrmacht zur
Säuberung des „Weich'bildes der Stadt wurde annulliert
und der Kampf begann. Furchtbar im Anfangsstadium,
schrecklich in der Entwicklung und noch schrecklicher in der Aus¬
führung. Der „Reigen": „Pfui Teufel!“ schrien die einen,
„Es lebe der „Reigen'!“ jubelten die anderen. Und der Kampf
tobte weiter. Das Parlament vergaß die Steuergesetze, verschob
die Vermögensalgabe=Bratung, verzichtete auf die Kredite
der Entente. Bundesrat, Länderrat, Stadtrat, Bürger= und
Arbeiterrat, alle hatten mur einen Punkt auf der Tages¬
ordnung: „Reigen: Alle Bande frommer Scheu entschwan¬
den, Pultdeckel krachten, Tintenfässer flogen, und die Erwähl¬
ten des. Volkes balgten sich im blutigen Kampf. Ein Partei¬
gezänke hub an, daß man glaubte, das Glück der Welt fuße
nur auf Schnitzlers „Reigen". Höchste Regierungsbeamte ent¬
rüsteten sich, Arbeiterführer drohten mit dem Generalstreik
und ein Theaterdirektor freute sich der kostenlosen, wirkungs¬
vollen Reklame: sein Haus war ausverkauft!
Bis hieher blieb der Kampf nur auf die Parteien be¬
schränkt. Es sollte aber noch schrecklicher werden. Schon ver¬
kündeten faustdicke Lettern in den Zeitungen den Erlaß einer
hohen von Gott eingesetzten Regierung: Die weitere Auf¬
führung des „Reigens“ ist verboten. Doch kein Mensch küm¬
merte sich darum. Vollständige Anarchie vernichtete die letzten
Schranken der dreimal geheiligten Ordnung. Die Rathaus¬
herren und die Landtagsmänner warfen sich in die Brust.
tagten, redeten, schimpften — zum Wohle des Volkes, galt es
doch, die Gefahr zu bannen, die durch das Verbot der
„Reigen“=Aufführung sich gleich einer Lawine fortbewegte.
Der Ukas der Regierung wurde vor den Toren der Stadt
feierlichst verbrannt und aus dem Nathaus schwirrte der
Alarmrpf:
„Nieder mit der Regierung, es lebe der „Reigen“.
Das Staatsruder zerbarst und ein hoher Gmoar#t
watf dem noch höheren Staatsrat den Fehdehandschuh vor
die Füße.
Krieg zwischen Reich und Stadt.
Kann es etwas Fürchterlicheres geben? Bis an die Zähne
bewaffnet standen die biederen Wehrmänner der Republik
vor den Toren der Stadt, die sonst unsichtbare Sicherheits¬
wache gruppierte sich zum Frontalangriff. Doch — wo war¬
der Feind. Gegen wen ging der Kampf? Wer hatte den Ober¬
befehl: Wer hatte das Verfügungsrecht über die Truppez?
Regierung oder Stadt? Und dieweil diese Frage erst einem
Kadi zur Entscheidung vorgelegt wurde, stürmte das Volk zur
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15. Februar 1921
Seite 3 —
Theaterkasse, besah sich den „Reigen“, brüllte Beifall und
dämpfte die Wollust, die der „Reigen“ erzeugte.
Und die Moral von der Geschicht:
Wenn zwei sich streiten, freut sich der dritte! ....