II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 599

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11. Reigen
Sals
icht, Salzburg
„Salzburger Wacht
Dienstag den 15. Februar 1921
ben. — Wenn man in Zukunft solche Konflikte verhütet
und gemeinsam an der weiteren Entwicklung der
Wehrmacht arbeitet, dann wird sie sein, was sie sein
soll: ein wirklicher und ernsthafter Schutz der Republik
Der „Reigen“ der Abge¬
ordnete Pischütz und der
Minister Dr. Glanz.
Nationalrat Baumgärtl schreibt uns:
Der Miaister des Innern hat die weitere Auf¬
führung des in der letzten Zeit so oft genannten
Theaterstückes von Arthur Schnitzler „Der Reigen“
verboten, und damit die Bundesverfassung verletzt.
Aus diesem Grunde erfolgte in der letzten Sitzung
der Nationalversammlung durch Genossen Leuthner
eine dringliche Anfrage an die Regierung, in der
verlangt wurde, die Regierung möge sich zu dem ver¬
fassungswidrigen Vorgehen des Ministers äußern.
und Gürtler aus Oberösterreich die Rede Leuthner
Es ist nicht das erstemal, daß der derzeitige Mini¬
durch Zwischenrufe unmöglich zu machen, und der
ster des Innern unbekümmert um den verfassungs¬
Scharfmacher Dr. Mataja hatte dabei sichtlich die
rechtlichen Zustand Verfügungen trifft, die ihn als das
Hand im Spiele.
willenlose Werkzeug der christlichsozialen Partei er¬
Nach der Rede des Genossen Leuthner erhob sich
scheinen lassen. In die kurze Zeit seiner Tätigkeit
nun der Minister des Innern, um in einer unglaub¬
fallen die mit der Verfassung nicht in Einklang stehen¬
lich provozierenden Art und Weise seinen Erlaß zu
den Erlässe betreffend die Ernennung des bereits pen¬
verteidigen, und im Schlusse seiner Anfragebeantwor¬
sionierten Generals Müller zum leitenden Beamten
tung durch die Redewendung, jeder anständige Mensch
des Staatsamtes für Heereswesen, der Einschränkungs¬
billige seinen Standpunkt, die gesamte sozialdemokra¬
versuch der Koalitionsfreiheit der Wiener Polizei, so¬
tische Fraktion frech zu beleidigen. Dies löste unter den
wie sein eigenmächtiger persönlicher Verkehr mit der
anwesenden Abgeordneten unserer Pariei ungeheure
interalliierten Heereskommission, obgleich er sich im
Erregung aus, die noch dadurch gesteigert wurde, daß
Verkehr mit derselben der vom Parlament bestimm¬
die christlichsoziale Fraktion ihre gesamten Radau¬
ten Vertrauensmänner zu bedienen hat. Der Minister
macher ins Vordertreffen gesandt hatte, um die So¬
scheint also bereit zu sein, aus Gefälligkeit gegenüber
zialdemokraten zu beschimpfen. Vor der Minister¬
den Piffl, Kunschak und Konsorten den verfassungs¬
bank standen dicht gedrängt die Abgeordneten und un¬
rechtlichen Zustand zu verletzen.
sere Genossen forderten stürmisch den Abzug des Mi¬
Die Frage des Verbotes der Aufführung des
nisters Dr. Glanz, der nicht nur verfassungswidrig ge¬
„Reigen“ war daher für uns Sozialdemokraten keine
handelt, sondern in frecher Weise die zweitgrößte Par¬
Frage der Moral oder Ethik, sondern eine rein ver¬
tei des Parlamentes beleidigt hatte.
fassungsrechtliche Frage. Nach der derzeit geltenden
Während dieser Szenen hat sich der oberösterrei¬
Verfassung, die ja in erster Linie ein Werk der christ¬
chische Abgeordnete Pischütz dazu hinreißen lassen, den
lichsozialen Partei darstellt, ist den Landesregierungen
Genossen Sever mit der Faust ins Gesicht zu schlagen,
größte Autonomie gewährleistet. In der Bundes¬
und der gleichfalls oberösterreichische christlichsoziale
verfassung sind ausdrücklich alle Angelegenheiten fest¬
Abgeordnete Gürtler versetzte Genossen Witzany einen
gelegt, die in der Kompetenz der Bundesregierung
Stoß vor die Brust. Diese christlichsozialen „Volks¬
liegen.
vertreter“ mögen sich sehr hüten, ihren geistigen
Nun haben sich bei der Beantwortung der Anfrage
Schwachsinn durch derartige Brutalitäten zu vemän¬
im Parlamente Szenen ereignet, in deren Mittelpunkt
teln, da dies leicht ein sehr unangenehmes Nachspiel
besonders die christlichsozialen oberösterreichischen Ab¬
ür sie haben könnte. Auch den Herren Seipel=Kun¬
geordneten Pischütz und Gürtler standen, und die so
chak geben wir zu bedenken, daß es zwar sehr ange¬
recht den bedauerlichen geistigen und moralischen Tief¬
nehm sein mag. Menschen um sich zu haben, die arm
stand dieser beiden „Volksvertreter“ kennzeichnen.
an Geist sind, es aber einer Regierungspartei nicht
zieme, die parlamentarische Tribüne durch ihre länd¬
Als Genosse Leuthner in zwar sehr scharfer, aber
lichen Abgeordneten zu einem Kirtafest zu machen.
durchaus parlamentarischer Form die Tätigkeit des
Diese widerlichen Szenen fanden erst ein Ende, als
Ministers des Innern Dr. Glanz einer Kritik unter¬
zog, versuchten bereits die „Hausknechte“ a la Pischütz sich Genosse Seitz zu Worte meldete. In klaren scharfen!
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Nummer 36 — Seite
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Worten kennzeichnete Genosse Seitz das unqualifizier¬
bare Vorgehen des Ministers, und in sichtlicher Erre¬
gung nannte er es eine freche Herausforderung. Nach
der Rede des Genossen Seitz übernahm der deutsch¬
nationale Präsident Dr. Dinghofer das Präsidium
und erteilte Genossen Seitz wegen Beleidigung des
Ministers einen Ordnungsruf. Die schwarz=blaue Koa¬
lition funktionierte also auch in diesem Falle tadellos.
Die Deutschnationalen werden hoffentlich endlich ein¬
mal unterlassen, in den Versammlungen ihre Wahl¬
verwandtschaft mit den Christlichsozialen zu leugnen.
denn ob es ein Minister Dr. Glanz oder der deutsch¬
natienale Präsident Dr. Dinghofer, beide sind zu je¬
dem Liebesdienst für die Piffl=Matoja und Kunschak
bereit.
Wir Sozialdemokraten werden jede Hintergehung
der bestehenden Bundesverfassung mit allen uns zu
Bebote stehenden Mitteln bekämpfen, und wenn die
Herren einen Verfassungskampf wünschen, wir sind
bereit, ihnen zum Tanze aufzuspielen.
Der Minister Dr. Glanz möge sich in der Zukunft
gesagt sein lassen, daß auch trotz seiner Stütze, die er
in der christlichsozialen Partei findet und deren Hand¬
langer er ist, Verfassungswidrigkeiten auf unseren
chärfsten Widerstand stoßen und so seine Tätigkeit
ehr bald ein unrühmliches Ende finden wird. Ebenso
dürfte sich die christlichsoziale Partei einer großen
Täuschung hingeben, wenn sie glaubt, den sozialde¬
mokratischen Landeshauptmann von Wien unter Ver¬
letzung der Verfassung bevormunden zu können, wäh¬
rend die christlichsozialen Landeshauptmänner in ihren
Ländern in zügellosester Willkür herrschen. Jedenfalls
ei festgestellt, daß gerade jene Parteien, die sich auf
ihre staatserhaltende Arbeit so viel zugute tun, die er¬
sten sind, die bereit sind, verfassungswidrige Erlässe
ihrer Minister zu schützen.