II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 612

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Seue 2 — Nr. 37
und zwar hat die Sechste Zivilkammer des Berliner
Landgerichtes III folgende Entscheidung gefällt:
„Schnitzerls Duch besteht aus zehn Bildern.
Kühne Sätze zergliedern alle Tiefen der geistigen
„Teils
Verfassung und des Empfindungslebens.
derb, selbst roh, platt und gemein, teils zart und
empfindsam, teils launig, neckisch, keck, prickelnd,
lüstern, ausgelassen und verführerisch in der Aus¬
malung, erfährt der sich immer gleichbleibende Ge¬
genstand zehn untereinander verschiedenste Ab¬
wandlungen. Im fünften Bilde wird der Ehebruch
an sich ausführlich besprochen. Aus diesen Erwä¬
gungen erweckte das Buch den Eindruck, daß seine
Aufführung das sittliche Empfinden erheblich ver¬
letzen und dadurch berechtigten Anstoß erregen
müsse.“
So der Inhalt, so die Tendenz des „Reigen“.
Der Wiener Polizeidirekkor Schober hat dem Bür¬
germeister von Wien, dem Sozialdemokraten Reu¬
mann, nahegslegt, die Aufführung des „Reigen“
zu verbieten. Man hätte glauben können, daß der
Bürgermeister von Wien, der Sozialdemokrat Reu¬
mann, hiefür Verständnis gehabt hätte. Aber bei
der Auffassung, welche diesbezüglich in sozialdemo¬
kratischen Kreisen gebräuchlich ist, wies Reumann
als Landeshauptmann des Landes Wien das An¬
suchen des Polizeipräsidenten scharf ab. Nun hat
die Regierung eingegriffen und im Kabinettsrate
einstimmig beschlossen, die Aufführung des „Rei¬
gen“ zu untersegen. Wegen dieses Verbotes der
Regierung haben die Sozialdemokraten am 11. Fe¬
ber im Nationalrate eine Dringlichkeitsanfrage ein¬
gebracht, bei deren Beantwortung durch Bundes¬
minister Dr. Glanz es zu unerhörten Skandal¬
szenen gekommen ist, weil er der Meinung Ausdruck
gegeben hat, daß alle anständigen Leute diesbezüg¬
lich einer Ansicht seien. Sozialdemokraten und Ab¬
geordnete stürzten gegen die Ministerbank und es
hatte zeitweise den Anschein, als ob es zu Tätlichkei¬
ten kommen sollte. Über die kulturelle und ästhe¬
tische Seite wollten eid Sozialdemoraten, „wie sie
sagten“, kein Urteil abgeben, sondern nur den Mini¬
ster Glanz deswegen zur Verantwortung ziehen, weil
er einen Erlaß hinausgegeben hätte, wozu ihm die
Berechtigung fehlte.
Wie von informierter Seite mitgeteilt wird,
steht die Regierung auf dem Standpunkte, daß das
Vorgehen des Bundesministers Dr. Glanz in An¬
gelegenheit des Verbotes der „Reigen“=Aufführung
verfassungsmäßig vollkommen korrekt sei.
Dieselbe Angelegenheit die „Reigen“=Auf¬
führung — ist auch im Wiener Landtage zur
Sprache gekommen, wo die Gemeinderätin Dr.
Seitz=Motzko erklärte: „Wir Frauen von Wien be¬
grüßen es von ganzem Herzen, daß die Regierung
den Mut gehabt hat, diesem Skandal Einhalt zu
bieten und wir verlangen vom Landeshauptmann,
daß er sein Verhalten hier rechtfertige. (Fortgesetzte
stürmische Zwischenrufe der Sozialdemokraten.
Der Landeshauptmann wird sich hier rechtfertigen
müssen, wie er dazugekommen ist, dem ganzen Volke
von Wien Trotz zu bieten. Hüten Sie sich und spie¬
len Sie nicht mit dem Außersten. Es gibt eine Ge¬
walt, die sich stärker erweisen wird als Sie.
Als in der Wechselrede der Landeshauptmann
Reumann erklärte, daß kein Skandal der Welt ihn
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„Kärntner Tagblatt“
mann Reumann die Klage beim Verfassungsge¬
richtshof einbringen.
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