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11. Reigen
Das Ende des „Reigen“=Skandals.
Dire 1##
ernan und Wtux Schnißler kommen
Clhm ein guses Geschäft.
Endlich hat die Porizelhirektion die Aufführungen
des „Reigen“ aus Grünzen der öffeutlichen Sicherheit
eingestellt. Den Volksgenossen, die ain letzten Mitt¬
woch durch ihr entschlossenes Auftretep dem „Reigen“
Skandal ein Ende bereiteten, gebührt der Dank aller
in der heutigen korrupten Zeit anständig gebliebenen
Wienund Wienerinnen, die in den „Reigen“=Auf¬
führunge#er Kammerspiele des Deutschen Volks¬
theaters mit Richt eine Schädigung des guten Rufes
erblickten, den Wien heute noch als Kunststadt in der
Welt genießt.
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Weniger entzsickt von Einstellung der
Reigenaufführungen dürften die H## Bernau und
Schnitzler sein, die um ein gutes Geschäft kamen:
Herr Bernau hat bei jeder ein¬
zelnen Vorstellung rund 100.000
Kronen Einnahmen erzielt, von
denen Herr Schnitzler 20.000 Kronen
Tautièmen bezog. Auch Herr Reumann,
der Beschützer der österreichischen Verfassung, wird über
die Verfügung der Wiener Polizeidirektion „nicht
besonders erfreut sein. Hoffentlich kommt er nicht auf
den Einfall, die Arbeiterbataillone gegen das Verbot
der Reigenaufführungen mobil zu machen.
Besonders erbost über das gestörte Schieber¬
vergnügen ist das Blatt des Herrn Austerlitz, das
gekränkt ausruft:
„Gewalttätigkeiten solchen Um¬
fanges und in solcher Häufung und
Mannigfaltigkeit wurden nicht
verübt, bevores zu der christlich¬
sozialen Regierung gekommen ist,
die die Abwehr des Terrorismus
alsihr Programm ausgegeben hat.“
Hat Herr Austerlitz wirkich schon jenes grünen
Donnerstags vergessen, an dem rote Republikaner
versuchten, dem Parlamentsgebäude den roten Hahn
auf's Dach zu setzen, an dem brave Wiener Sicher¬
heitsmänner ihr Leben im Kampfe gegen tückische
Brand= und Unruhestifter lassen mußten? Weiß er
sich nicht mehr an jenen blutigen Juli=Sonntag
im Jahre 1919 zu erinnern, an dem abermals durch
die Schuld roter „Freiheits“männer, die einige Tage
vorher auf Maueranschlägen zum gewaltsamen Sturze
der Regierung aufgefordert hatten, die Straßen der
Inneren Stadt von dem Blute verwundeter und
getöteter Menschen rot gefärbt wurden? Weiß Herr
Austerlitz nicht, wer zu jener Zeit, als sich diese
Gewalttaten in Wien ereigneten, an der Spitze der
österreichischen Regierung stand? Herr Austerlitz sollte
aus Wut darüber, daß den Schiebern ein Vergnügen
entzogen wurde, sich doch nicht solche Blößen geben.
Das ist das Stück seines Rossegenossen Schnitzter auch
gar nicht wert.
Der „Reigen“=Skandal ist zu Ende. Er bleibt für
immerwährende Zeit mit einer Riesenblamage für die
sozialdemokratischen Führer verbunden.
r
dem Sicherheitsbüro übergeben.
Der „Reigen“ verboten!
Die Berichte allet Augenzeugen stimmen in der Fest¬
stellung überein, daß der Ueberfall der Vorstellung in den
Kammerspielen am Mittwoch planmäßig vorbereitet
war. Die strategische Idee war sehr einfach: inmitten der
Vorstellung die Theaterbesucher zu beunruhigen — das geschah¬
bekanntlich besonders eindringlich durch die Stinkbomben — und
mit der Hervorrufung dieser Unruhe im Theater den draußen
angesammelten „Sittlich=Entrüsteten“ die Gelegenheit zu schaffen,
ins Theater einzudringen. Die „Sittlich=Entrüsteten“ walen
zur Betätigung ihrer sittlichen Aufwallungen vortrefflich aus¬
gerüstete mit Latten und Knüppeln, und wo diese
nicht ausreichten, bedienten sie sich der Sessel, um
sie auf die Zuschauer zu werfen. Nachher belästigten und
prügelten sie die Zuschauer und stahlen, was sie konnten. Auch
daß sie Wurfgeschosse, mit Teer gefüllt, bereit hatten, zeugt
gerade für keine Improvisation. Es war also in jedem Bedacht
eine sittliche Veranstaltung und die „Reichspost“ hat recht,
wenn sie die Wiener Bevölkerung auffordert, in so gearteter
Betätigung der „Wiener Jugend“ wie sie die (ganz offenkundig
angestifteten und gemieteten) Skandalmacher nennt, „die er¬
freuliche Bürgschaft zu erkennen, daß unser Volk noch die
sittliche Kraft zu seiner Wiedergeburt, Erneuerung, Selbsterhebung,
zum nationalen Wiederaufbau aufbringt“. Sittliche Kraft in
Stinkbomben.
Die schamlose Planmäßigkeit bes Ueberfalls hat den
Herrn Polizeipräsidenten, der nach dem Gesetz berufen ist, „alle
Störungen des öffentlichen Vergnügens fernzuhalten“, nicht
abgehalten, die „weitere Aufführung“ des Stückes „einzu¬
stellen“. Vielleicht meint der Polizeipräsident, das „öffentliche
Vergnügen“ wäre hier das Stinkbombenwerfen gewesen, und
Arkeiter 2
18 FEBRU
Nr. 45
Wien, Freitag
das zu stören, sei er nicht berufen. Auf diese Gedanken muß
man schon deshalb kommen, weil man den (wie heißt
es sonst?) ja richtig: Exzendenten auf der Polizeidirektion
eine Schonung entgegenbringt, die nicht übersehen werden¬
kann. Den Namen des Stinkbombenwerfers verschweigt
der Polizeibericht! Die Namen der verhafteten Exzedenten
verschweigt der Polizeibericht! Und alsogleich wurden
die Verhafteten entlassen, obwohl bei ihnen, da der Polizei¬
präsident doch annimmt, daß auf solche Weise weitere Vor¬
stellungen gestört werden könnten, ohne Zweifel die Gefahr
der Wiederholung besteht; man war auf der Polizei anscheinend
auch nicht so indiskret, die Verhafteten etwa daraufhin zu
inquirieren, wie die Verabredung, die Vorstellung zu stören,
geschehen sei. Die polizeiliche Diskretion wird nicht unangebracht
sein; man kann nicht wissen, wer da als letzter
Aureger herausgekommen wäre . .. Aber da die Polizeidirektion
in dem Vorfall wohl nur jene „Selbsthilfe“ sieht, deren Aus¬
bleiben sie schon'vorher überrascht hat, so muß man es natürlich
hinnehmen, daß die Polizei von der doch recht umfänglich an¬
gelegten „Verabredung“ nichts erfahren hat und daß der Herr
Polizespräsident, wie er in dem Verbotserlaß an den Direktor
sagt, den schändlichen Ueberfall also definiert: „Die
in einem Großteil der Wiener Bevölkerung durch
die Aufführungen hervorgerufene Mißstimmung
hat einen derartigen elementaren Ausdruck
gesunden, daß das Theater der Schauplatz wüster Tumult¬
szenen wurde und die Fortsetzung der Vorstellung nicht mehr
möglich war.“ Was den Polizeipräsidenten nicht veranlaßt, die
Störungen, „durch welche die persönliche Sicherheit des
Publikums sowie auch der Darsteller im hohen Maße gefährdet
wird“ fernzuhalten, sondern eben „die fernere Aus¬
führung des „Reigen“ aus Gründen der öffentlichen Ruhe und
Ordnung einzustellen“. Was alles ohne Zweifel recht lehrreich ist.
Durch diese Verfügung der Polizei wird das gesetzliche
Verhältnis nun ins volle Gegenteil verkehrt. Nach dem Gesetz
steht der Widerruf der Aufnahmsbewilligung ausschließlich dem
Statthalter, also (jetzt) dem Landeshauptmann zu. Der
Landeshauptmann hat die Bewilligung nicht zurückgenommen,
dagegen ist ein Verbot zuerst vom Minister, danach vom
Polizeipräsidenten ausgesprochen worden! Das ist doch wohl
W
11. Reigen
Das Ende des „Reigen“=Skandals.
Dire 1##
ernan und Wtux Schnißler kommen
Clhm ein guses Geschäft.
Endlich hat die Porizelhirektion die Aufführungen
des „Reigen“ aus Grünzen der öffeutlichen Sicherheit
eingestellt. Den Volksgenossen, die ain letzten Mitt¬
woch durch ihr entschlossenes Auftretep dem „Reigen“
Skandal ein Ende bereiteten, gebührt der Dank aller
in der heutigen korrupten Zeit anständig gebliebenen
Wienund Wienerinnen, die in den „Reigen“=Auf¬
führunge#er Kammerspiele des Deutschen Volks¬
theaters mit Richt eine Schädigung des guten Rufes
erblickten, den Wien heute noch als Kunststadt in der
Welt genießt.
1
Weniger entzsickt von Einstellung der
Reigenaufführungen dürften die H## Bernau und
Schnitzler sein, die um ein gutes Geschäft kamen:
Herr Bernau hat bei jeder ein¬
zelnen Vorstellung rund 100.000
Kronen Einnahmen erzielt, von
denen Herr Schnitzler 20.000 Kronen
Tautièmen bezog. Auch Herr Reumann,
der Beschützer der österreichischen Verfassung, wird über
die Verfügung der Wiener Polizeidirektion „nicht
besonders erfreut sein. Hoffentlich kommt er nicht auf
den Einfall, die Arbeiterbataillone gegen das Verbot
der Reigenaufführungen mobil zu machen.
Besonders erbost über das gestörte Schieber¬
vergnügen ist das Blatt des Herrn Austerlitz, das
gekränkt ausruft:
„Gewalttätigkeiten solchen Um¬
fanges und in solcher Häufung und
Mannigfaltigkeit wurden nicht
verübt, bevores zu der christlich¬
sozialen Regierung gekommen ist,
die die Abwehr des Terrorismus
alsihr Programm ausgegeben hat.“
Hat Herr Austerlitz wirkich schon jenes grünen
Donnerstags vergessen, an dem rote Republikaner
versuchten, dem Parlamentsgebäude den roten Hahn
auf's Dach zu setzen, an dem brave Wiener Sicher¬
heitsmänner ihr Leben im Kampfe gegen tückische
Brand= und Unruhestifter lassen mußten? Weiß er
sich nicht mehr an jenen blutigen Juli=Sonntag
im Jahre 1919 zu erinnern, an dem abermals durch
die Schuld roter „Freiheits“männer, die einige Tage
vorher auf Maueranschlägen zum gewaltsamen Sturze
der Regierung aufgefordert hatten, die Straßen der
Inneren Stadt von dem Blute verwundeter und
getöteter Menschen rot gefärbt wurden? Weiß Herr
Austerlitz nicht, wer zu jener Zeit, als sich diese
Gewalttaten in Wien ereigneten, an der Spitze der
österreichischen Regierung stand? Herr Austerlitz sollte
aus Wut darüber, daß den Schiebern ein Vergnügen
entzogen wurde, sich doch nicht solche Blößen geben.
Das ist das Stück seines Rossegenossen Schnitzter auch
gar nicht wert.
Der „Reigen“=Skandal ist zu Ende. Er bleibt für
immerwährende Zeit mit einer Riesenblamage für die
sozialdemokratischen Führer verbunden.
r
dem Sicherheitsbüro übergeben.
Der „Reigen“ verboten!
Die Berichte allet Augenzeugen stimmen in der Fest¬
stellung überein, daß der Ueberfall der Vorstellung in den
Kammerspielen am Mittwoch planmäßig vorbereitet
war. Die strategische Idee war sehr einfach: inmitten der
Vorstellung die Theaterbesucher zu beunruhigen — das geschah¬
bekanntlich besonders eindringlich durch die Stinkbomben — und
mit der Hervorrufung dieser Unruhe im Theater den draußen
angesammelten „Sittlich=Entrüsteten“ die Gelegenheit zu schaffen,
ins Theater einzudringen. Die „Sittlich=Entrüsteten“ walen
zur Betätigung ihrer sittlichen Aufwallungen vortrefflich aus¬
gerüstete mit Latten und Knüppeln, und wo diese
nicht ausreichten, bedienten sie sich der Sessel, um
sie auf die Zuschauer zu werfen. Nachher belästigten und
prügelten sie die Zuschauer und stahlen, was sie konnten. Auch
daß sie Wurfgeschosse, mit Teer gefüllt, bereit hatten, zeugt
gerade für keine Improvisation. Es war also in jedem Bedacht
eine sittliche Veranstaltung und die „Reichspost“ hat recht,
wenn sie die Wiener Bevölkerung auffordert, in so gearteter
Betätigung der „Wiener Jugend“ wie sie die (ganz offenkundig
angestifteten und gemieteten) Skandalmacher nennt, „die er¬
freuliche Bürgschaft zu erkennen, daß unser Volk noch die
sittliche Kraft zu seiner Wiedergeburt, Erneuerung, Selbsterhebung,
zum nationalen Wiederaufbau aufbringt“. Sittliche Kraft in
Stinkbomben.
Die schamlose Planmäßigkeit bes Ueberfalls hat den
Herrn Polizeipräsidenten, der nach dem Gesetz berufen ist, „alle
Störungen des öffentlichen Vergnügens fernzuhalten“, nicht
abgehalten, die „weitere Aufführung“ des Stückes „einzu¬
stellen“. Vielleicht meint der Polizeipräsident, das „öffentliche
Vergnügen“ wäre hier das Stinkbombenwerfen gewesen, und
Arkeiter 2
18 FEBRU
Nr. 45
Wien, Freitag
das zu stören, sei er nicht berufen. Auf diese Gedanken muß
man schon deshalb kommen, weil man den (wie heißt
es sonst?) ja richtig: Exzendenten auf der Polizeidirektion
eine Schonung entgegenbringt, die nicht übersehen werden¬
kann. Den Namen des Stinkbombenwerfers verschweigt
der Polizeibericht! Die Namen der verhafteten Exzedenten
verschweigt der Polizeibericht! Und alsogleich wurden
die Verhafteten entlassen, obwohl bei ihnen, da der Polizei¬
präsident doch annimmt, daß auf solche Weise weitere Vor¬
stellungen gestört werden könnten, ohne Zweifel die Gefahr
der Wiederholung besteht; man war auf der Polizei anscheinend
auch nicht so indiskret, die Verhafteten etwa daraufhin zu
inquirieren, wie die Verabredung, die Vorstellung zu stören,
geschehen sei. Die polizeiliche Diskretion wird nicht unangebracht
sein; man kann nicht wissen, wer da als letzter
Aureger herausgekommen wäre . .. Aber da die Polizeidirektion
in dem Vorfall wohl nur jene „Selbsthilfe“ sieht, deren Aus¬
bleiben sie schon'vorher überrascht hat, so muß man es natürlich
hinnehmen, daß die Polizei von der doch recht umfänglich an¬
gelegten „Verabredung“ nichts erfahren hat und daß der Herr
Polizespräsident, wie er in dem Verbotserlaß an den Direktor
sagt, den schändlichen Ueberfall also definiert: „Die
in einem Großteil der Wiener Bevölkerung durch
die Aufführungen hervorgerufene Mißstimmung
hat einen derartigen elementaren Ausdruck
gesunden, daß das Theater der Schauplatz wüster Tumult¬
szenen wurde und die Fortsetzung der Vorstellung nicht mehr
möglich war.“ Was den Polizeipräsidenten nicht veranlaßt, die
Störungen, „durch welche die persönliche Sicherheit des
Publikums sowie auch der Darsteller im hohen Maße gefährdet
wird“ fernzuhalten, sondern eben „die fernere Aus¬
führung des „Reigen“ aus Gründen der öffentlichen Ruhe und
Ordnung einzustellen“. Was alles ohne Zweifel recht lehrreich ist.
Durch diese Verfügung der Polizei wird das gesetzliche
Verhältnis nun ins volle Gegenteil verkehrt. Nach dem Gesetz
steht der Widerruf der Aufnahmsbewilligung ausschließlich dem
Statthalter, also (jetzt) dem Landeshauptmann zu. Der
Landeshauptmann hat die Bewilligung nicht zurückgenommen,
dagegen ist ein Verbot zuerst vom Minister, danach vom
Polizeipräsidenten ausgesprochen worden! Das ist doch wohl
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