II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 631

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Reigen
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sein; man kann nicht wissen, wer da als letzter
Anreger herausgekommen wäre . .. Aber da die Polizeidirektion
in dem Vorfall wohl nur jene „Selbsthilfe“ sieht, deren Aus¬
bleiben sie schon'vorher überrascht hat, so muß man es natürlich
hinnehmen, daß die Polizei von der doch recht umfänglich an¬
gelegten „Verabredung“ nichts erfahren hat und daß der Herr
Polizepräsident, wie er in dem Verbotserlaß an den Direktor
sagt, den schändlichen. Ueberfall also definiert:
„Die
in einem Großteil der Wiener Bevölkerung durch
die Aufführungen hervorgerufene Mißstimmung
hat einen derartigen elementaren Ausdruck
gefunden, daß das Theater der Schauplatz wüster Tumult¬
szenen wurde und die Fortsetzung der Vorstellung nicht mehr
möglich war.“ Was den Polizeipräsidenten nicht veranlaßt, die
Störungen, „durch welche die persönliche Sicherheit des
Publikums sowie auch der Darsteller im hohen Maße gefährdet
wird“ fernzuhalten, sondern eben „die fernere Aus¬
führung des „Reigen“ aus Gründen der öffentlichen Ruhe und
Ordnung einzustellen“. Was alles ohne Zweifel recht lehrreich ist.
Durch diese Verfügung der Polizei wird das gesetzliche
Verhältnis nun ins volle Gegenteil verkehrt. Nach dem Gesetz
steht der Widerruf der Auf ahmsbewilligung avsschließlich dem
Statthalter, also (jetzt) dem Landeshauptmann zu. Der
Landeshauptmann hat die Bewilligung nicht zurückgenommen,
dagegen ist ein Verbot zuerst vom Minister, danach vom
Polizeipräsidenten ausgesprochen worden! Das ist doch wohl
die Umkehrung der Anordnung des Gesetzes! Ob der
Herr Polizeipräsident aber berechtigt ist, „die fernere Auf¬
führung einzustellen“, ist mehr als fraglich. Das Gesetz sagt: „Wenn
dringende Rücksichten es erfordern, kann die Sicherheitsbehörde die
Aufführung eines Bühnenwerkes gegen nachträglich einzu¬
holende Genehmigung des Statthalters ganz oder teilweise
untersagen und selbst die Fortsetzung einer bereits begonnenen
Vorstillung einstellen.“ Das Gesetz meint hier ganz bestimmt
eine Aufführung, eine bestimmte Aufführung: bei der
eben „dringende Rücksichten“ obwalten. Um es konkret zu
sagen: gegen die zweite Vorstellung, die nach der gestörten
noch angesagt war, konnten die „dringenden Rücksichten“
geltend gemacht werden; auf die hat sich die Befugnis der
Sicherheitsbehörde erstreckt. Aber keineswegs will das Gesetz die
allgemeine Zuständigkeit des Statthalters auf die Sicherheitsbehörde
übertragen; die Sicherheitsbehörde wird zum selbständigen
Handeln nur für den Bereich der „dringenden“ Rücksichten er¬
mächtigt, diese werden aber durch die Zeit erschöpft. Denn
über die „fernere“ Aufführung ist der Statthaltee natürlich
durchaus in der Lage, selbst zu verfügen; wozu also der Umweg
über die Sicherheitsbehörde? Wohl ging der Plan der An¬
stifter (und wahrscheinlich auch der Wunsch der Polizei) dahin,
mit der Störung der Aufführung ein dauerndes Verbot herbei¬
zuführen; aber ein dauerndes Verbot (also das Verbot der
„ferneren“ Aufführung) überweist das Gesetz keineswegs der
Sicherheitsbehörde, siellt es ausschließlich dem Statthalter
anheim. Die Verfügung des Polizeipräsibenten entspricht
ebensowenig dem Gesetz wie die des Ministers des Innern.
Was nun die Rechtsfrage betrifft, so wird der Landes¬
hauptmann die „nachträglich einzuholende Genehmigung",
wie wir glauben, keineswegs erteilen. Dazu liegt weder eine
Verpflichtung noch ein Anlaß vor. Verpflichtet ist nur die
Sicherheitsbehörde, die Genehmigung einzuholen; das besagt
natürlich nicht, daß sie der Landeshauptmann aussprechen
muß. Auch kein Anlaß: denn gegen den Theaterdirektor
ist auch die Einstellung durch die Sicherheitsbehörde
wirksam.
Die Genehmigung würde aber
auch
einen absurden Zustand herbeiführen. Da der Direktion gegen
die Entscheidung des Polizeipräsidenten der Returs an den
Landeshauptmann zusteht, so würde eine Genehmigung der
Entscheidung des Polizeipräsidenten durch den Landeshaupt¬
mann zur Folge haben, daß sich dann der Rekurs an den
Landeshauptmann als ein Rekurs gegen eine Entscheidung des
Landeshauptmannes darstellen würde. Der Herr Polizeipräsident
wird also auf die Deckung seiner fragwürdigen Entscheidung
durch eine Genehmigung schon verzichten müssen..
Die Einstellung, die der Polizeipräsident verfügt hat,
kann sich natürlich nur auf die Skandale beziehen; auf den
Inhalt des Stückes ganz selbstverständlich nicht. Woraus
sich schon ihre zeitliche Begrenzung ergibt. Denn daß die Dis¬
position der Christlichsozialen, die Aufführung eines ihnen nicht
genehmen Stückes mit Stinkbomben zu stören, kein dauernder
Verbotsgrund sein kann, ist selbstverständlich. Denn dann müßte
man die Theaterzensur den Behörden überhaupt abnehmen und
sie den christlichsozialen Stinkbombenwerfern überliefern.