II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 652

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11. Reigen
Klose & Seidel
Bureau für Zeitungnausschniste
Bertin NO. 43, Georgenkirchplats 2
Zelipattes Wioner Joternal
Ort:
Datum:
AHOR 1924
2
Wird der „Reigen“ nun wieder aufgeführt oder nicht?
Eine Meldung aus dem Deutschen Volkstheater kündigt die neuer¬
lich Premiere für Dienstag an. Aber schon wettert es in der
konservativen Presse und es scheint, als sollte es auch diesmal
nicht glatt abgehen. Artur Schnitzler, dessen menschlicher und
künstlerischer Noblesse alles Spekulative serne ist, hat schon
unlängst in einem Schreiben an Direktor Bernau erklärt, daß er
die Wiederaufführung des „Reigen“ nicht gestatte, solange nicht
gewährleistet ist, daß die Vorstellungen ohne Skandal vorüber¬
gehen. Direktor Bernau hat diese Zusicherung gegeben. Es ist
nun an der Polizei, zu erklären, ob sie die Verpflichtung über¬
nimmt, daß die Vorstellungen des „Reigen“ ungestört verlaufen
und ob sie die Sicherung übernehmen kann. Denn Radaumacher
aus „Ueberzeugung“ oder aus Hetz haben es immer leicht, im
Theater Skandal zu provozieren, wie ja das erste Faktum des
„Reigen“ bewiesen hat. Die Gemüter haben sich seither sicherlich längst
abgekühlt, aber ein Teil der Presse beginnt bereits wieder mit
der Hetze, die Einsichtige bereits erledigt glaubten. Man wird es
nun wie in Berlin machen müssen und den „Reigen“ unter starker
Polizeibewachung spielen.. Dann mag sich die Entrüstung in
den Parteiblättern austoben.
Klole & Beldel
Bureau für Zeitungsausschnitte
Berlin HO. 45, Georgenkirchplatz 21
Mede Wiener Tagehlaf
Zeitung: # eeste eeeeese
Ort. nenntnegenenen
Datum:
Der Reigen des Reigens.
Er kommt wieder: Artur Schnitzlers „Reigen“!
Nächsten Dienstag. Sehr lustig. Nicht? Der „Reigen“ führt selbst
eigen Reigen auf! Er taucht auf. Die Leute stürmen das Keller¬
theaterchen. Dann schwirren Bomben, natürlich Stinkbomben,
und Ohrfeigen durch das Tempelchen der Kunst. Alles rennet,
rettet, flüchtet. Tags darauf geraten sich friedliche künstlerische
und sittliche Weltanschauungen in die Haare. Ein Bannstrahl
trifft den „Reigen“. Dann Kampf behördlicher Instanzen. Die
gerechte Sache siegt. Direktor Bernau schmunzelt vergnügt. Der
„Reigen“ ist gerettet! Er wird weiter gekurbelt. Geschäft ist
Geschäft!
Der Dichter aber schmunzelt nicht. Er runzelt die Stirn!
Er ist besorgt! Besorgt um das Heil der Besucher des „Reigens“.
Er verlangt — symbolisch natürlich —, daß an der Stirnseite
des Tempelchens das beruhigende Sprüchlein des Steinklopfer¬
hans leuchte: „Es kann dir nix g'scheh'n!" Direktor Bernau
versichert hoch und teuer, daß die andächtige Stimmung des
Publikums durch keinen Mißklang getrübt werden wird. Der
Dichter atmet auf. Nun darf er beruhigt Ja und Amen zur
Wiederaufführung seiner Dichtung sagen. Der Reigen des
„Reigens“ fängt also von neuem en! Um das physische Heil der
Besucher des „Reigens“ ist sonach gesorgt. Aber ihr Seelenheil?
Wie stehts damit?
Diese ernste Frage richtete ich an einen der staatlich bestellten
literarischen Zensoren, die über das Werk ihre Wohlmeinung ab¬
gaben. Der liebenswürdige Zensor — ein alter Wiener
kicherte
„Man hat uns Zensoren,“ sagte er, „den Reigen in einer
besonderen Vorstellung vorgeführt. Ich
erwartete schreckliche
Dinge. Ich war enttäuscht. Immer dieselbe Geschichte! Die
Sache wurde fad. Nach dem vierten Bilde nickte ich, nach dem
fünften war ich nahe daran, einzuschlafen. Was kann da ge¬
fährlich sein? Lächerlich. Und so gab ich mein Placet. Hatte ich
nicht recht?
Ich antwortete nicht darauf, sondern schaute den liebens¬
würdigen Zensor prüfend an und dachte dabei verschwiegen im
Gemüt: „O du grundgütiger alter Wiener, du bist in Ehren
75 Jahre alt geworden. In diesem Alter hat gemeiniglich der
Genius der Gattung keine Macht mehr über uns. In diesem
Alter schläft man selbst bei einer Bathseba ein — so hieß, glaube
ich, die feurige, lebfrische, rundliche, jugendliche Maid, die dem
greisen König David das Goderl kratzte — schläft ein sanft und
friedlich wie ein Kind. Allein die flüggen und die halbfluggen
süßen Mädel und die höheren Töchter, die insgeheim mit einer
diskreten älteren Freundin das Theaterchen aufsuchen und die
schamhaft lüsternen Weiberln und die siebzehn= und achtzehn¬
jährigen Gymnasiasten, in denen der Frühling erwacht, werden
die beim Reigen auch einschlafen? Wird ihnen die Sache auch
fad werden? Ich glaube nicht.
Aber vielleicht hat der gute, alte Wiener doch recht. Viel¬
leicht — wer weiß? — werden all diese jungen Leute das
Theaterchen in jener Stimmung verlassen, die das französische
Sprüchlein kennzeichnet: On revient de l’amour comme d’un
feu d’artifice, triste et silencieux. Man kehrt von der Liebe
heim wie von einem Feuerwerk, traurig und schweigsam! Viel¬
licht dämmert ihnen in dieser Stimmung der tiefe sittliche Ernst
der Dichtung auf! Und die Nacht im Kellertheaterchen ist ihr
Tag von Damaskus! Und sie schauen sich beim Abschied stumm
und zagend in die Augen, drücken sich leise die Hände und
Hans haucht einen keuschen Kuß auf Gretes Lippen und huscht
seufzend davon! . .. Den Tugendpreis dem Dichter! ...
Marco Brociner,