box 18/1
11. Reigen
Schnitzlers „Reigen'
und das KleineSchauspjolhaus.
Die Hochschule für Musik in der Harbenbergstraße hatte
als Hauseigentümer gegen den Mieter, nmlich das Kleine
Schauspielhaus der Frau Eysoldt und des Herch=Sladek, eine
einstweilige Verfügung erwirkt, daß Schnitzers „Reigen“
nicht aufgeführt werden dürfe, weil das gegen den Miets¬
vertrag verstoße, der ausdrücklich Stücke verbiste, die in sitt¬
licher oder politischer Richtung Anstoß erregen können.
Schnitzlers „Reigen“ sei aber bereits vom Landgericht I im
objektiven Verfahren als unzüchtig erklärt worden. Damit
war, wie die „Tägliche Rundschau“ gestern meinte, die Auf¬
führung unmöglich gemacht. Man konnte sogar annehmen,
daß die Künstlerin in Frau Eysoldt ein wenig erleichtert auf¬
tmete, wie ich es im Interesse Schnitzlers ebenfalls tat. Die
„Tägliche Rundschau“ hat sich ebenso geirrt wie ich. Die
Aufführung fand trotzdem statt, und nach Blättermeldungen
hat Frau Eysoldt sich sogar vorher und nachher in persön¬
lichen Ausführungen über die Polizei beschwert. Das zwingt
uns, prinzipiell zu dem Fall Stellung zu nehmen, zumal er
o klar und einfach liegt wie nur selten.
Tatsache ist, daß Schnitzler vor etwa zwanzig Jahren
den großen Kreis seiner Freunde und Bekannten durch
einen Privatdruck überraschte, den er ihnen zuschickte.
Dieser Privatdruck hieß „Reigen“ und war eine Novelle
in zehn Dialogen, die sich alle um den einen Punkt drehten,
aus dem hier, um Mephistos Wort zu varüieren, alles Weh
und Ach kuriert wird. Eine Künstlerlaune, die Dialoge echt
Schnitzlerscher Art, amüsant, ein wenig melancholisch und
nur heikel in dem einen Punkt, um den sich alles dreht.
Schnitzler war sich durchaus der Heikelkeit des Themas
bewußt, sonst hätte er nicht den Privatdruck gewählt. Man
durfte annehmen: er entzog dies Werkchen der Oeffentlich¬
keit, weil er nicht mit den Fabrikanten pikanter Lektüre in
einen Topf geworfen werden wollte. Er hielt sich mit Recht
für zu gut, und man freute sich seines guten Geschmacks und
seines Verantwortlichkeitsgefühls. An eine öffentliche Dar¬
stellung dieser Novelle, bloß weil sie in Dialogform gehalten
st, hat er damals sicher überhaupt nicht gedacht.
Seitdem wir nun im rosigen Licht der Republik atmen,
ind es, wenigstens für „Pikanterien“ keine Zensur mehr
gibt, war plötzlich der „Reigen“ auch im Buchhandel zu
haben und ist nun also glücklich auch öffentlich aufgeführt
worden.
Da dies alles ohne Schnitzlers Einwilligung nicht
möglich ist, muß man folgern, daß der Privatdruck von Anno
U
□
dazumal weniger dem guten Geschmack und dem Verant¬
wortungsgefühl des Schriftstellers entsprang als seiner
Angst vor der Zensur. Und das bedeutet, für mich
wenigstens, eine klägliche Enttäuschung. Wer Bedenken
deshalb fallen läßt, weil die Zensur gefallen ist; wer sogar
in die öffentliche Darstellung einer Novelle willigt, nur weil
sie in Dialogform gehalten ist, wer ganz genau weiß, daß
er sich damit in die unsauberen Finger aller derer gibt, die
nur den erotischen Stoff suchen, ohne künstlerische Form
würdigen zu können oder auch nur würdigen zu wollen,
der darf sich nicht wundern, wenn man ihn in dem
anrüchigen Topf sitzen läßt, in den er sein Werk selbst
gesteckt hat.
Hier ist durchaus nichts zu verteidigen und zu beschö¬
nigen. Es ist nur zu registrieren als ein trauriges Zeichen
dieser Zeit, das selbst ein Mann wie Schnitzler, aus Gründen,
die mit Kunst nichts zu tun haben können, sich selbst durch die
öffentliche Preisgabe eines solchen Werkes prostikuiert, und
daß ein Theater aus Gründen, die nichts mit Kunst zu tun
haben, eine dialogisierte Novelle auf die Bretter bringt, weil
es sich einen, ach so nahe liegenden Kassenerfolg davon ver¬
spricht. Alles andere ist verlegenes Drumherumgerede oder
heißt der Oeffentlichkeit Sand in die Augen streuen. Es gibt
keinen künstlerisch zureichenden Grund für eine solche Auf¬
führung.
Kurt Aram.
11. Reigen
Schnitzlers „Reigen'
und das KleineSchauspjolhaus.
Die Hochschule für Musik in der Harbenbergstraße hatte
als Hauseigentümer gegen den Mieter, nmlich das Kleine
Schauspielhaus der Frau Eysoldt und des Herch=Sladek, eine
einstweilige Verfügung erwirkt, daß Schnitzers „Reigen“
nicht aufgeführt werden dürfe, weil das gegen den Miets¬
vertrag verstoße, der ausdrücklich Stücke verbiste, die in sitt¬
licher oder politischer Richtung Anstoß erregen können.
Schnitzlers „Reigen“ sei aber bereits vom Landgericht I im
objektiven Verfahren als unzüchtig erklärt worden. Damit
war, wie die „Tägliche Rundschau“ gestern meinte, die Auf¬
führung unmöglich gemacht. Man konnte sogar annehmen,
daß die Künstlerin in Frau Eysoldt ein wenig erleichtert auf¬
tmete, wie ich es im Interesse Schnitzlers ebenfalls tat. Die
„Tägliche Rundschau“ hat sich ebenso geirrt wie ich. Die
Aufführung fand trotzdem statt, und nach Blättermeldungen
hat Frau Eysoldt sich sogar vorher und nachher in persön¬
lichen Ausführungen über die Polizei beschwert. Das zwingt
uns, prinzipiell zu dem Fall Stellung zu nehmen, zumal er
o klar und einfach liegt wie nur selten.
Tatsache ist, daß Schnitzler vor etwa zwanzig Jahren
den großen Kreis seiner Freunde und Bekannten durch
einen Privatdruck überraschte, den er ihnen zuschickte.
Dieser Privatdruck hieß „Reigen“ und war eine Novelle
in zehn Dialogen, die sich alle um den einen Punkt drehten,
aus dem hier, um Mephistos Wort zu varüieren, alles Weh
und Ach kuriert wird. Eine Künstlerlaune, die Dialoge echt
Schnitzlerscher Art, amüsant, ein wenig melancholisch und
nur heikel in dem einen Punkt, um den sich alles dreht.
Schnitzler war sich durchaus der Heikelkeit des Themas
bewußt, sonst hätte er nicht den Privatdruck gewählt. Man
durfte annehmen: er entzog dies Werkchen der Oeffentlich¬
keit, weil er nicht mit den Fabrikanten pikanter Lektüre in
einen Topf geworfen werden wollte. Er hielt sich mit Recht
für zu gut, und man freute sich seines guten Geschmacks und
seines Verantwortlichkeitsgefühls. An eine öffentliche Dar¬
stellung dieser Novelle, bloß weil sie in Dialogform gehalten
st, hat er damals sicher überhaupt nicht gedacht.
Seitdem wir nun im rosigen Licht der Republik atmen,
ind es, wenigstens für „Pikanterien“ keine Zensur mehr
gibt, war plötzlich der „Reigen“ auch im Buchhandel zu
haben und ist nun also glücklich auch öffentlich aufgeführt
worden.
Da dies alles ohne Schnitzlers Einwilligung nicht
möglich ist, muß man folgern, daß der Privatdruck von Anno
U
□
dazumal weniger dem guten Geschmack und dem Verant¬
wortungsgefühl des Schriftstellers entsprang als seiner
Angst vor der Zensur. Und das bedeutet, für mich
wenigstens, eine klägliche Enttäuschung. Wer Bedenken
deshalb fallen läßt, weil die Zensur gefallen ist; wer sogar
in die öffentliche Darstellung einer Novelle willigt, nur weil
sie in Dialogform gehalten ist, wer ganz genau weiß, daß
er sich damit in die unsauberen Finger aller derer gibt, die
nur den erotischen Stoff suchen, ohne künstlerische Form
würdigen zu können oder auch nur würdigen zu wollen,
der darf sich nicht wundern, wenn man ihn in dem
anrüchigen Topf sitzen läßt, in den er sein Werk selbst
gesteckt hat.
Hier ist durchaus nichts zu verteidigen und zu beschö¬
nigen. Es ist nur zu registrieren als ein trauriges Zeichen
dieser Zeit, das selbst ein Mann wie Schnitzler, aus Gründen,
die mit Kunst nichts zu tun haben können, sich selbst durch die
öffentliche Preisgabe eines solchen Werkes prostikuiert, und
daß ein Theater aus Gründen, die nichts mit Kunst zu tun
haben, eine dialogisierte Novelle auf die Bretter bringt, weil
es sich einen, ach so nahe liegenden Kassenerfolg davon ver¬
spricht. Alles andere ist verlegenes Drumherumgerede oder
heißt der Oeffentlichkeit Sand in die Augen streuen. Es gibt
keinen künstlerisch zureichenden Grund für eine solche Auf¬
führung.
Kurt Aram.