11.
box 18/1
Re
igen
Klose & Seidel
Bureau für Zeitungsausschnitte
Berlin NO. 43, Georgenkirchplatz 21
Vorwärts
Zeitunge
Berlin
Ort:
Datum: —1
1
Theater.
Schnitzlers „Reigen“ wurde gestern abend trotz des Verbotes
im „Kleinen Schauspielhaus“ gespielt. Morauf das
Kultusministerium, da die Thoaterzensur doch aufgehoben, den
Rechtsanspruch, die Vorstellung zu inhibieren, begründen will, ist
unklar. Ganz abgesehen davon daß ein solches Vorgehen gegen
einen Autor von Schmitzlers Rang in Anbetracht der unbegrenzten
Lizenzen deren sich des allergewöhnlichste Kino und sonstige „Lust¬
barkeiten“ heut erftenen, grotesk berjhrt. Frau Eysoldt, die
künstlevische Leiterin des „Kleinen Schauspielhauses, hielt eine
Ansprache, in welcher sie erklärte, daß sie trotz der ihr vom Land¬
gericht angedrohten sechswöchentlichen Haft die Szenen spielen
lassen werde. Sie fühle sich künstlerisch in ihrem Recht; das
Publikum möge selbst entscheiden. Die Worte wurden mit stür¬
misch=demonstrativem Voifall ausgenommen.
Von jener feinen und nuancenreichen Ironie, mit welcher
Schnitzler erotische Verhältnisse früher in seinem geistreich die
Poeteneitelkeit verspottenden Einakter „Literatur,, und in einzelnen
seiner Anatolestückchen behandelt, blitzen in der Bilderfolge des
Zyklus „Reigen“ nur hier und da verstreute Spuren auf.
Die individuellen Variationen treten hinter der in jedem
Bilde wiederkehrenden geschlechtlichen Pointe weit zurück.
Die Menschen reduzieren sich auf bloße Männlein und Weiblein,
die allesamt nur ein einziges Ziel zu kennen scheinen und überall
erreichen. Die drei ersten Szenen heißen auf dem Theaterzettel:
Die Dirne und der Soldat, der Soldat und das Stubenmädel, das
Stubenmädchen und der junge Herr; in dieser Weise geht es all
die zehn Bilder durch. Von einer inneren Gliederung einer im
Laufe des Abends abwechselnden Beleuchtung des erotischen Pro¬
blems ist nicht die Rede. So bleibt der Eindruck einer vom Dichter
selbst gewollten Monotonie. Die sehr floite und in den Grenzen
des hierbei noch Möglichen dezente Darstellung (Herr Goetz und
Poldi Müller standen da in erster Reihe) löste starken Bei¬
fall aus.
Klose & Seidel
Bureau für Zeitungsausschnitte
Berlin NO. 43, Georgenkirchplatz 21
(aue Berliner
dr Uhl. mittags,
Leitung:
Ort:
2 4 DEL. 1920
Datum:
„Reigen.“
Kleines Schauspielhaus.
Vor dem Aufgehn des Vorhangs berichtete
Fräu Gertrud Eysoldt, daß die Staatsanwalt¬
schaft zwei Stunden vor der Premiere
den „Reigen“ verboten habe und daß dennoch
gespielt werde. Pfui, Herr Staatsanwalt! Wir
stehen bereits nach Wedekind und knapp vor Sil¬
vester 1921! — Hoch, Frau Eysoldt! Sie haben
Mut und Entschlossenheit bewiesen für die Kunst.
Nachdem dieses gesagt ist, darf auch folgendes
erzählt werden: daß der „Reigen“ von Arthur
Schnitzler selbst nicht für die Bühne und nicht
für das Lesepublikum bestimmt war, sondern für
einen intimen Freudeskreis. Daß das Manu¬
skript lange Zeit in der Lade des Autors lag, weil
er Bedenken hatte. Und daß er schließlich ge¬
zwungen war, es doch zu veröffentlichen. Es
ist Pflicht des Referenten, Schnitzler einerseits vor
dem Staatsanwalt, andererseits vor dem „Reigen“
in Schutz zu nehmen.
In jeder der zehn Szenen wird feuilletonistisch¬
witzig nachgewiesen, daß die Brunst des Männ¬
chens nach der Vereinigung erloschen ist.
(Von den Tieren weiß man das schon längst.)
Robert Forster=Larrinaga mußte deshalb
eine „verbindende Musik“ schreiben, die in jeder
Szene dort einsetzt, wo der Vorhang über einer
zensurwidrigen Intimität sittig sich senkt. Um be¬
sänstigend anzudeuten, daß hinter dem Vorhang
die Peripetie sich vollzieht,lt ein verborgenes
Orchester sozusagen eine Crotica. Die Musik
wirkt gut und ist notwendig. Das spricht gegen
den „Reigen“
Else Bäck gab die „Dirne". Wahr und jede
Nuance mathematisch feststellend. Eine gut
zu
durchkomponierte Dirne, mit stillen, etwas
stillen Theatereffekten. Kurt Götz als „junger
Herr“, Viktor Schwanneke als Ehemann,
Poldi Müller als „süßes Mädel“ waren „guter
Durchschnitt". Forster=Larrinaga karrikiert
zu sehr den „Grafen“ Blanche=Dergau gibt
eine fast hysterische „Schauspielerin“ und es soll
nur eine „Schauspielerin“ schlechthin sein. Karl¬
Etlinger aber war „der Dichter“. Himmel¬
Frauen¬
instinktiv=gescheit,
blau=verschmockt,
verführer ohne persönliches Verdienst Tänzelnd
über Ernst und Lächerlichkeit, Herrchen jeder
Situation, unmündig und mutterwitzig. Eine
Sichterlein. — Hubert Reusch
#nall
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Theater.
Schnitzlers „Reigen“ wurde gestern abend trotz des Verbotes
im „Kleinen Schauspielhaus“ gespielt. Morauf das
Kultusministerium, da die Thoaterzensur doch aufgehoben, den
Rechtsanspruch, die Vorstellung zu inhibieren, begründen will, ist
unklar. Ganz abgesehen davon daß ein solches Vorgehen gegen
einen Autor von Schmitzlers Rang in Anbetracht der unbegrenzten
Lizenzen deren sich des allergewöhnlichste Kino und sonstige „Lust¬
barkeiten“ heut erftenen, grotesk berjhrt. Frau Eysoldt, die
künstlevische Leiterin des „Kleinen Schauspielhauses, hielt eine
Ansprache, in welcher sie erklärte, daß sie trotz der ihr vom Land¬
gericht angedrohten sechswöchentlichen Haft die Szenen spielen
lassen werde. Sie fühle sich künstlerisch in ihrem Recht; das
Publikum möge selbst entscheiden. Die Worte wurden mit stür¬
misch=demonstrativem Voifall ausgenommen.
Von jener feinen und nuancenreichen Ironie, mit welcher
Schnitzler erotische Verhältnisse früher in seinem geistreich die
Poeteneitelkeit verspottenden Einakter „Literatur,, und in einzelnen
seiner Anatolestückchen behandelt, blitzen in der Bilderfolge des
Zyklus „Reigen“ nur hier und da verstreute Spuren auf.
Die individuellen Variationen treten hinter der in jedem
Bilde wiederkehrenden geschlechtlichen Pointe weit zurück.
Die Menschen reduzieren sich auf bloße Männlein und Weiblein,
die allesamt nur ein einziges Ziel zu kennen scheinen und überall
erreichen. Die drei ersten Szenen heißen auf dem Theaterzettel:
Die Dirne und der Soldat, der Soldat und das Stubenmädel, das
Stubenmädchen und der junge Herr; in dieser Weise geht es all
die zehn Bilder durch. Von einer inneren Gliederung einer im
Laufe des Abends abwechselnden Beleuchtung des erotischen Pro¬
blems ist nicht die Rede. So bleibt der Eindruck einer vom Dichter
selbst gewollten Monotonie. Die sehr floite und in den Grenzen
des hierbei noch Möglichen dezente Darstellung (Herr Goetz und
Poldi Müller standen da in erster Reihe) löste starken Bei¬
fall aus.
Klose & Seidel
Bureau für Zeitungsausschnitte
Berlin NO. 43, Georgenkirchplatz 21
(aue Berliner
dr Uhl. mittags,
Leitung:
Ort:
2 4 DEL. 1920
Datum:
„Reigen.“
Kleines Schauspielhaus.
Vor dem Aufgehn des Vorhangs berichtete
Fräu Gertrud Eysoldt, daß die Staatsanwalt¬
schaft zwei Stunden vor der Premiere
den „Reigen“ verboten habe und daß dennoch
gespielt werde. Pfui, Herr Staatsanwalt! Wir
stehen bereits nach Wedekind und knapp vor Sil¬
vester 1921! — Hoch, Frau Eysoldt! Sie haben
Mut und Entschlossenheit bewiesen für die Kunst.
Nachdem dieses gesagt ist, darf auch folgendes
erzählt werden: daß der „Reigen“ von Arthur
Schnitzler selbst nicht für die Bühne und nicht
für das Lesepublikum bestimmt war, sondern für
einen intimen Freudeskreis. Daß das Manu¬
skript lange Zeit in der Lade des Autors lag, weil
er Bedenken hatte. Und daß er schließlich ge¬
zwungen war, es doch zu veröffentlichen. Es
ist Pflicht des Referenten, Schnitzler einerseits vor
dem Staatsanwalt, andererseits vor dem „Reigen“
in Schutz zu nehmen.
In jeder der zehn Szenen wird feuilletonistisch¬
witzig nachgewiesen, daß die Brunst des Männ¬
chens nach der Vereinigung erloschen ist.
(Von den Tieren weiß man das schon längst.)
Robert Forster=Larrinaga mußte deshalb
eine „verbindende Musik“ schreiben, die in jeder
Szene dort einsetzt, wo der Vorhang über einer
zensurwidrigen Intimität sittig sich senkt. Um be¬
sänstigend anzudeuten, daß hinter dem Vorhang
die Peripetie sich vollzieht,lt ein verborgenes
Orchester sozusagen eine Crotica. Die Musik
wirkt gut und ist notwendig. Das spricht gegen
den „Reigen“
Else Bäck gab die „Dirne". Wahr und jede
Nuance mathematisch feststellend. Eine gut
zu
durchkomponierte Dirne, mit stillen, etwas
stillen Theatereffekten. Kurt Götz als „junger
Herr“, Viktor Schwanneke als Ehemann,
Poldi Müller als „süßes Mädel“ waren „guter
Durchschnitt". Forster=Larrinaga karrikiert
zu sehr den „Grafen“ Blanche=Dergau gibt
eine fast hysterische „Schauspielerin“ und es soll
nur eine „Schauspielerin“ schlechthin sein. Karl¬
Etlinger aber war „der Dichter“. Himmel¬
Frauen¬
instinktiv=gescheit,
blau=verschmockt,
verführer ohne persönliches Verdienst Tänzelnd
über Ernst und Lächerlichkeit, Herrchen jeder
Situation, unmündig und mutterwitzig. Eine
Sichterlein. — Hubert Reusch
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