II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 702

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11.— n
box 18/1
Klose & Seidel
Bureau für Zeitungsausschnitte
Berlin KO. 43, Georgenkirchplatz 21
4
zeitung: Münchener Neuste Nachrichten
Ort:
München
Datum:
2
„Der Reigen“
Afizzr Schnitzlers wegen — 6 Wochen Haft
Eigene Drahtmeldung
Berlin, 24. Dezember
Das Kleine Schauspielhaus in Ber¬
lin hat Arthur Schnitzlers kecke Dialoge
Reigen vorbereitet, die auf den zensurlosen
Zustand der deutschen Republik warten mußten,
um aus der Haft des Buches erlöst zu werden
Das Kleine Schauspielhaus hat sein Heim in der
Hochschule für Musik; bei seinem Einzug in das
ehemalige kgl. Institut mußte es sich verpflich¬
ten, die Aufführung von Stücken zu unterlassen
die in sittlicher oder politischer Hinsicht Anstoß
erregen könnten. Nachdem Wedelinds „Büchse
der Pandora“ zwei Jahre hindurch unbeanstan¬
det gegeben worden war, ist das Aergernis sehr
plötzlich eingetreten. Wenige Stunden vor der
Premiere erwirkte das preußische Kultusministe¬
rium eine einstweilige Verfügung gegen die
Aufführung, worauf das Berliner Landgericht
für die beiden Direktoren Gertrud Eysoldt
und Maximilian Sladek je sechs Wochen
Haft setzte. Unsere republikanischen Bebörden
arbeiten immer uneleganter; man läßt nicht drei
Wochen vor voller Oeffentlichkeit Proben ab¬
halten, um ein Stück eines der ersten deutschen
Schriftsteller im letzten Augenblick zu verbieten,
um eine der schwer ringenden Berliner Bühnen
gerade vor Weihnachten einem empfindlichen
Vermögensverlust auszusetzen. Vor dem Pre¬
micrenpublikum, das durch die Ungewißheit
angenehm
wird gespielt, wird nicht gespielt —
gespannt war, hielt Gertrud Eysoldt eine sehr
tapfere Rede mit der schließlichen Ankündigung:
Es wird gespielt und wenn es sechs Wochen Haft
kostet! Die mutige Künstlerin hatte überdies den
Vorteil, darauf hinweisen zu können, daß die
Herren des Ministeriums sich mit dem Eindruck
der für sie zu pikanten Leltüre begnügt hatten,
statt auch nur eine Probe ihres hohen Augen¬
scheins zu würdigen.
Die Aufführung gab ihnen auch Unrecht. Sie
war nicht so schlimm wie das Buch scheint. Wie
Bücher überhaupt meist schlimmer sind als Auf¬
führungen, die durch gewisse Rücksicht gemildert
werden müssen, und die gerade durch die
Oeffentlichkeit neutralisiert werden. Gerade
weil Schnitzler in diesen sehr graziös reigen¬
artig in einander verschlungenen Liebesszenen
jedes Mal bis zum Letzten der erotischen Hand¬
lungen geht, muß die Aufführung an Entschlose
senheit zurückbleiben. Wenn es zu dem undar¬
stellbaren Allerschlimmsten kam, fiel jedesmal
der Vorhang. Aber die Fantasie, die die An¬
standsstriche des Autors in der anregenden Ein¬
samkeit nächtlicher Lektüre ausfüllen würde
bei den Herren des Kultus scheint das der Fall
gewesen zu sein — fand in diesem Augenblick
die allergeringste Nahrung.
Das Kleine Schauspielhaus nimmt in der
Hochschule für Musik überdies einen Raum ein,
der sich in einer teilungslosen Länge. in seiner
schulmäßig und auf öffentliche Prüfungen ein¬
gerichteten Pedanterie pikanten Einrichtungen
höchst eigensinnig und mit altpreußischer Zucht
widersetzt. Aber wie Frau Eysoldt auch in ihrer
Notwehr andeutete, scheint die Behörde auf
diesen bis dahin entbehrlichen Saal dasjenige
Auge des Fiskus geworfen zu haben, das sie
gegen die viel geftiger erotischen Aufführungen
solange zugedrückt
der „Büchse der Pandora
hatte. Wie dem sei, Hertrud Eysoldt hat einen
n und ich glaube nicht, daß
schönen Mut ge#
das Gericht de##deren Mut zeigen wird, sie
nun wirllich 6 Wochen in Haft #n nehmen
Das Publikum hat sie jedenfalls### esprochen
und zwar aus ehrlichster Ueberzeugung. Es
war eine hübsche Aufführung von Ernst Stern
reizend dekoriert, von Darstellern wie Kurt
Götz und Viktor Schwanneke mit Humor ge¬
spielt und dennoch nicht moralverwüstend oder
irgendwie so schlimm, wie der eine gefürchtet,
wie der andere gehofft haben mochte.
Dr. Arthur Eloesser