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11. Reigen
Klose & Geidel
Bureau für Zeitungsausschnitte
Berlin NO. 43, Georgenkirchplatz 21
Germania
Zeitung
Bermnl
Orti
oatum J 5. Jr 71070
Theater. ½
Das Kleine Schauspielhaus hat den Ber¬
kinern ein besoüderes Weihnachtsgeschenk zu¬
gedacht: Eszwandelt seine Bühne endgültig
ins Residenzthegter um. Natürlich in ein
„literarisches Residenztheater“.
denn
man weiß, was man sich im Augenblick schul¬
dig ist in der Nähe des Kurfürstendamms.
Noblesse oblige! Wie lange? — Nun sicher¬
lich solange, als der Kassenrapport nicht den
Abstieg in deutlichere Sphären nötig macht.
Also man gibt Schnitzlers „Reigen“ und
das Kultusministerium vermittelt durch die
Direktion der Hochschule für Musik vor der
Aufführung die Reklame, die dem stets im
Geschäftlichen gefährdeten Hause ein wenig
auf die Strümpfe helfen wird: es läßt die
Vorstellung in dem ihm gehörenden Theater
zunächst durch Gerichtseingriff verbieten, um
sie dann nach einer Meldung von heute Vor¬
mittag schließlich doch zu gestatten.
Von diesem Reigen der Ungeschicklichkeit,
der ja leider zeitgemäß ist, wollen wir indes
Sladek, durch die Ereignisse gründlich ge¬
witzigt, die nach einem Gerichtsurteil lasziv
genannten Schnitzlerschen Szenen zum Behuf
der Vorführung vor dem Publikum (doch
wohl nicht nur für die Erstaufführung) mis
soviel Scheuklappen versehen, daß sie einer
Teil ihres Parfums verlieren und nicht ärger
wirken, als was etwa im ehemaligen Residenz¬
theater in der Friedrichstadt und leider auch
jetzt in den Vergnügungsstätten des „Westens
gar häufig geboten wird.
Spiegel der „Zeitkultur“ nach Wiener Ge¬
schmack, laulich süßlich empfunden, impressio¬
nistisch nach dem Grundsatz des l’art pour
l’art vor gut zwanzig Jahren geformt, ohne
Verantwortungsgefühl außer dem „Literari¬
schen“ ohne ein Hochspringen der gesunden
satirischen Ader und vor allem ohne ein Auf¬
quellen des Ekels vor dieser hemmungslosen
Feld= Wald= und Wiesen=Trübhaftigkeit sind
diese Szenchen. Ihr Höhepunkt jedesmal ein
r e“ eeeen
Reihe nur zu viel sagender Gedankenstriche
diese aber sind nicht das Ziel der Schilderung,
sondern sie stellen jedesmal nur die Peripetie
in der Charakteristik dar.
Die Auffubrung ersetzt die Gedankenstriche
durch den schnell herab= und wieder herauf¬
gehenden Vorhang; sie sucht dadurch wie durch
zurückhaltende Darstellung das „Literarische
zu retten. Aber wenn tausendmal auch der
literarisch gebildete Mensch das Literarische,
ie Form im Sprachlichen wie im Ablauf der
Szenen mit Interesse beobachtet,
der
Durchschnittstheaterbesucher wird immer in
Befahr sein, nur die Vorgänge zu sehen.
Und er wird sich genau so wie in den so¬
jenamnten modernen „Operetten“ und „Lust¬
pielen“ — die seit Jahren gang und gäbe
sind — von dieser Gefahr überraschen und
mitreißen lassen. Geschieht das auch nicht
gleich im ersten Augenblick, so dient dex
Genuß“ solcher Stücke und Szenen auf die
Dauer zweifellos nicht zur inneren Stärkung
des in der Großstadt gerade genügend zur
inneren Laschheit und Laxheit neigenden
Volkes.
Darum sollte jeder, der sich für die innere
Kräftigung des Volkes einsetzt, — ohne Scheu¬
klappen und ohne Skurpelhaftigkeit, aber auch
ohne Angst einsetzt! — gegen die Aufführung
von Werken solcher Art Front machen, wenn
egliches Publikum dazu Eintritt
findet, das es bezahlen kann,
einerlei ob es achtzehn und weniger oder
fünfzig alt ist. Am stärksten aber sollten
Theaterdirektoren mit Verant¬
wortungsgefühl gegen die Prak¬
tiken der „Amüsiertheater“ gröbe¬
ren und seineren Genres in ihren Kreisen
Propagandu machen und von sich aus einen
Wallerrichten gegen das Hinabzerren
der deutschen Bühnen in den Strudel des
ein durch das Geschäft bestimmten, schieber¬
ihnlichen Gewerbebetriebs. Gerade in Berlin
würden sich solche ernstgerichtete Direktoren
ein großes Verdienst erwerben können, das
zwar nicht im Augenblick in Kassenrapporten
sich bemerkbar macht, das aber auf die Dauer
auch den weniger ernsthaft geleiteten Bühnen
zugute kommen würde. Mit den Direktoren
aber sollten die Darsteller Hand in Hand
gehen. Wo sind in diesen für den kleinen
Schauspieler am ernsten Theater besonders
chweren Zeiten die großen Schauspieler, die
dem minderwertigen Amüsiertheater und auch
dem Geschäftstheater mit dem literarischen
Mäntelchen ihre Hilfe versagen? Wo bleibt
der Idealismus und Opfermut?
„Des Menschen Würde ist in Eure Hand
Die zukünftige
gegeben, bewahret sie!
Würde des Darstellers als Mensch und als
Glied seines Volkes hängt zum großen Teil
davon ab, was die führenden Köpfe tun.
Wird endlich einmal einer von ihnen ein
starkes, echobildendes Wort gegen die Aus¬
tützung des Künstlers zu geschäftlichen Zwecken,
Dr. E. Thyssen.
tun?
11. Reigen
Klose & Geidel
Bureau für Zeitungsausschnitte
Berlin NO. 43, Georgenkirchplatz 21
Germania
Zeitung
Bermnl
Orti
oatum J 5. Jr 71070
Theater. ½
Das Kleine Schauspielhaus hat den Ber¬
kinern ein besoüderes Weihnachtsgeschenk zu¬
gedacht: Eszwandelt seine Bühne endgültig
ins Residenzthegter um. Natürlich in ein
„literarisches Residenztheater“.
denn
man weiß, was man sich im Augenblick schul¬
dig ist in der Nähe des Kurfürstendamms.
Noblesse oblige! Wie lange? — Nun sicher¬
lich solange, als der Kassenrapport nicht den
Abstieg in deutlichere Sphären nötig macht.
Also man gibt Schnitzlers „Reigen“ und
das Kultusministerium vermittelt durch die
Direktion der Hochschule für Musik vor der
Aufführung die Reklame, die dem stets im
Geschäftlichen gefährdeten Hause ein wenig
auf die Strümpfe helfen wird: es läßt die
Vorstellung in dem ihm gehörenden Theater
zunächst durch Gerichtseingriff verbieten, um
sie dann nach einer Meldung von heute Vor¬
mittag schließlich doch zu gestatten.
Von diesem Reigen der Ungeschicklichkeit,
der ja leider zeitgemäß ist, wollen wir indes
Sladek, durch die Ereignisse gründlich ge¬
witzigt, die nach einem Gerichtsurteil lasziv
genannten Schnitzlerschen Szenen zum Behuf
der Vorführung vor dem Publikum (doch
wohl nicht nur für die Erstaufführung) mis
soviel Scheuklappen versehen, daß sie einer
Teil ihres Parfums verlieren und nicht ärger
wirken, als was etwa im ehemaligen Residenz¬
theater in der Friedrichstadt und leider auch
jetzt in den Vergnügungsstätten des „Westens
gar häufig geboten wird.
Spiegel der „Zeitkultur“ nach Wiener Ge¬
schmack, laulich süßlich empfunden, impressio¬
nistisch nach dem Grundsatz des l’art pour
l’art vor gut zwanzig Jahren geformt, ohne
Verantwortungsgefühl außer dem „Literari¬
schen“ ohne ein Hochspringen der gesunden
satirischen Ader und vor allem ohne ein Auf¬
quellen des Ekels vor dieser hemmungslosen
Feld= Wald= und Wiesen=Trübhaftigkeit sind
diese Szenchen. Ihr Höhepunkt jedesmal ein
r e“ eeeen
Reihe nur zu viel sagender Gedankenstriche
diese aber sind nicht das Ziel der Schilderung,
sondern sie stellen jedesmal nur die Peripetie
in der Charakteristik dar.
Die Auffubrung ersetzt die Gedankenstriche
durch den schnell herab= und wieder herauf¬
gehenden Vorhang; sie sucht dadurch wie durch
zurückhaltende Darstellung das „Literarische
zu retten. Aber wenn tausendmal auch der
literarisch gebildete Mensch das Literarische,
ie Form im Sprachlichen wie im Ablauf der
Szenen mit Interesse beobachtet,
der
Durchschnittstheaterbesucher wird immer in
Befahr sein, nur die Vorgänge zu sehen.
Und er wird sich genau so wie in den so¬
jenamnten modernen „Operetten“ und „Lust¬
pielen“ — die seit Jahren gang und gäbe
sind — von dieser Gefahr überraschen und
mitreißen lassen. Geschieht das auch nicht
gleich im ersten Augenblick, so dient dex
Genuß“ solcher Stücke und Szenen auf die
Dauer zweifellos nicht zur inneren Stärkung
des in der Großstadt gerade genügend zur
inneren Laschheit und Laxheit neigenden
Volkes.
Darum sollte jeder, der sich für die innere
Kräftigung des Volkes einsetzt, — ohne Scheu¬
klappen und ohne Skurpelhaftigkeit, aber auch
ohne Angst einsetzt! — gegen die Aufführung
von Werken solcher Art Front machen, wenn
egliches Publikum dazu Eintritt
findet, das es bezahlen kann,
einerlei ob es achtzehn und weniger oder
fünfzig alt ist. Am stärksten aber sollten
Theaterdirektoren mit Verant¬
wortungsgefühl gegen die Prak¬
tiken der „Amüsiertheater“ gröbe¬
ren und seineren Genres in ihren Kreisen
Propagandu machen und von sich aus einen
Wallerrichten gegen das Hinabzerren
der deutschen Bühnen in den Strudel des
ein durch das Geschäft bestimmten, schieber¬
ihnlichen Gewerbebetriebs. Gerade in Berlin
würden sich solche ernstgerichtete Direktoren
ein großes Verdienst erwerben können, das
zwar nicht im Augenblick in Kassenrapporten
sich bemerkbar macht, das aber auf die Dauer
auch den weniger ernsthaft geleiteten Bühnen
zugute kommen würde. Mit den Direktoren
aber sollten die Darsteller Hand in Hand
gehen. Wo sind in diesen für den kleinen
Schauspieler am ernsten Theater besonders
chweren Zeiten die großen Schauspieler, die
dem minderwertigen Amüsiertheater und auch
dem Geschäftstheater mit dem literarischen
Mäntelchen ihre Hilfe versagen? Wo bleibt
der Idealismus und Opfermut?
„Des Menschen Würde ist in Eure Hand
Die zukünftige
gegeben, bewahret sie!
Würde des Darstellers als Mensch und als
Glied seines Volkes hängt zum großen Teil
davon ab, was die führenden Köpfe tun.
Wird endlich einmal einer von ihnen ein
starkes, echobildendes Wort gegen die Aus¬
tützung des Künstlers zu geschäftlichen Zwecken,
Dr. E. Thyssen.
tun?