II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 710

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11.
igen
Die Hochschule und der „Reigen“. Zu den Erörterungen über
Sie Aufführung von SchnitzlersReigen“ wird uns vom Direktor
Akademischen Höchschule für Musik mitgeteilt:
der
Bei der Erwirkung der einstweiligen gerichtlichen Verfügung,
nach der die Aufführung untersagt wusde, waren lediglich die
Interessen der mir anvertrauten Anstalk maßgebend. Der Cha¬
räkter des Hauses als staatliches Schulgebäude ist im Vertrage mit
Frau Eysoldt besonders berücksichtigt, da die im § 1 enthaltene
erste Bedingung des Vertrages Stückesausschheßt, die in sittlicher,
religiöser und politischer oder künstkrische Hinsicht Anstoß er¬
regen. Dazu hat Frau Eysoldt bei Verhandlungen über den Ver¬
trag, als es sich um dessen Anerkennung handelte, wiederholt und
feierlichst zugesichert, daß ihre Direktionsführung aus dem Theater
eine sittliche und künstlerische Erziehungsanstalt höchsten Ranges
schaffen würde. Nur so ließen sich die für das Theater ungewöhn¬
lich günstigen Vertragsbedingungen rechtfertigen. Frau Eysoldt
it auch den Studierenden der Hochschule ermäßigte Eintritts¬
eten bewilligt. Tatsächlich ergab sich, daß für die Direktions¬
führung im Gegensatz zu den gemachten Zusicherungen geschäftliche
Tendenzen maßgebend waren und sind. Diesen Tendenzen gegen¬
über habe ich pflichtgemäß mein Haus= und Vertragsrecht und die
Schulinteressen gewahrt, wie ich das auch weiter tun werde. Mit
Zensur und Polizeimaßnahmen hat mein Vorgehen nichts zu tun.

Der Protest gegen das Vorgehen der Hochschule für wausik,
dessen Direktor Franz Schreker sicherlich kein Zensuranhänger ist,
wird in einem Teil der Presse zu einer Hetze gegen Minister
Haenisch ausgenutzt. Ehren=Stössinger, der jetzt in der „Freiheit
Skandal mit Erfolg nach. Er macht Haenisch, der nach dem „Berl.
Tagebl.“ nichts mit dem Vorfall zu tun hat, persönlich verantwort¬
lich und apostrophiert ihn als einen „den die Revolution von der
Bierbank und aus der Gartenlaube direkt ins Kultusministerium
gebracht habe“.
Ernster als die Bocksprünge dieses Randalierfuchses, der den
Reigen in einem Atem mit „Romeo und Julia“ und der „Walküre
nennt, ist ein Hinweis des „Berl. Tagebl.“ zu nehmen. Es wird
dort behauptet, maßgebende Herren des Kultusministeriums, die
die eigentlichen Urheber des Verbotes gewesen wären, hätten sich
trotz der Einladung zur Generalprobe nicht eingefunden. Wenn
das zutrifft, ist in dei Tat das Verhalten der zustandigen Personen
unbegreiflich. Wenn jetzt die Zurückziehung des Einspruchs mit
dem Eindruck des Reigens bei der Aufführung begründet wird, so
hätte man sich davon ebenso gut bei der Generalprobe überzeugen
könner. Dann wäre das ärgerniserregende Vorgehen vermieden
worden. Jetzt hat man Kanonen aufgefahren und den Schuß nicht
losgelassen!
Aber auch hinter der insoweit berechtigten Entrüstung des
„Tageblatts“ kommt doch ein Motiv zum Vorschein, das ganz an¬
derer Art ist. Man wittert in diesem Vorgehen einen Versuch,
das Kleine Schauspielhaus wieder in die Hände des Staates zu
bringen. „Das ganze Vorgehen hängt anscheinend zusammen mit
en im Kultusministerium heimisch gewordenen, teils utopistischen,
teils philiströsen Bestrebungen, die persönlichen künstlerischen
Unternehmungen zugunsten einer sogenannten sozialisierten
Kunstpflege zu untergraben. Dazu soll jetzt der Aypell an die
Philisterinstinkte dienen.“
Also das nackte Theaterunternehmer¬
interesse hat den Vorrang! Daß dieses Interesse keineswegs immer
auf Kunstabsichten ausgeht und sehr häufig mit höheren Inten¬
tionen in Konflikt geraten kann, ist ja gerade ein Grund mehr für
die Sozialisierung der Theater.
Für das Kino ist ja wegen
des durch keine sittlichen Bedenken eingeschränkten spekulativen
Unternehmerinieresses die Zensur wieder eingeführt. Wir wün¬
schen keine Theaterzensur ingendwelcher Art, aber wir wollen eine
esteigerte Verantwortlichkeit der Theater neten und über dem
Kassenstandpunkt.
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Kiese & Seide.
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Zeitung:
Berzen
Ort:
95
Datum:
Schnitzlers „Reigen“.
Im Kleinen Schauspielhaus.
Wozu der Lärm? Was steht der Hochschule fü
J. A. B.
Prüderie zu Diensten? Ihre Professoren, d. h. ihre Bekenner
bilden eine Akademie von Unsterblichen, die nicht alle werden
auch nachdem der Hydra Zensun sämtliche Schnüffelhäupter ab¬
Gestern konnte noch Frau Eyfoldt als eine
geschlagen sind.
Märtyrerin, die von sechs Wochen Haft bedroht ist, sich vor Arthur
Schnitzter stellen. Vor ihn und sein anmutges Geschnitzel, das
sich bei der Aufführung als durchaus ungefährlich erwies. Die
behutsame Hand des ironisch sentimentalen Wiener Dichters hal
den nun einmal nicht aus der Welt hinwegzuleugnenden
Naturalien den letzten Schein von Schimpflichkeit genommen.
Niemand fand Gelegenheit, sich zu entrüsten. Ja, man
applaudierte wärmer als es diesem spielerischen Einfall einer
müßigen Stunde sonst zugekommen wäre.
Jetzt, da die Beschwerde zurückgezogen ist und Frau Eysold¬
ungestört das rosigte Licht atmen darf, kann man ruhig fest¬
stellen: es bestand keine Notwendigkeit, diesen Reigen verliebelter
Pärchen aus seinem verschwiegenen Buchdasein zu erlösen und
auf die Bühne tanzen zu lassen. Es sind zehn Anatol=Szenen
in der Westentasche. Sie hängen nicht innerlich, sondern nur
durch einen tragikomischen Witz zusammen. Diese Menschlein,
so verschieden sie sich dünken: Die Dirne, das Stubenmädchen,
das süße Mädel, die junge Frau, die Schauspielerin — der Soldat,
der junge Herr, der Ehemann, der Dichter. In einem Punkte
müssen sie alle gleichen Tribut entrichten, alle hängen sie als
Maxionetten am selben Seil des Genius, auf den Schopenhauer
so schlecht zu sprechen ist, müssen sich zu zweit im Kreise drehen,
der bei der Dirne beginnt und zu ihr wieder zurückkehrt. Zehn
Szenen, und jede schließt eindeutig mit einem Akt, der im Buch
durch Gedankenstriche, auf der hier in einen G'schnas=Rahmen
gespannten Bühne durch das Fallen eines Seidenvorhangs an¬
gedeutet wird. Auch die Phraseologie ist — nur mit kleinen
Nuancen — immer die gleiche. Man läßt sie mit einem melan¬
cholischen Lächeln über sich ergehen. Auf der einen Seite immer
dasselbe sich scheinbar sträubende Gewähren und druben um¬
schlingt die lässigen Genießer am Ende alle dasselbe Band einer
von Rührung leicht gemilderten Tristitia. Dieser weichliche
Dichter, der in einer sorgenbeschwerten Zeit immer fühlbarer
zum Fremdling wird, ist mit seinen an die Oberfläche gehefteten
Konstatierungen im Grunde genommen kein tieferer Philosoph
als sein von ihm belächelter Graf. Mag sein, daß Schnitzler, der
Arzt, noch an anderes denkt, was sich von Geschlecht zu Geschlecht
forte bt, daß er hinter diesem heiter=wehmütigen Parallelis¬
mus, hinter dem gar zu leichtherzigen Lebenstanz auch noch, ohne
undelikat an ihn zu erinnern, einen minder vergnüglichen Toten¬
tanz sieht. So unmoralisch den Schnellfertigen dieser Reigen
scheinen mag, in gewisser Hinsicht berührt er sich doch mit den
Moralitäten des Mittekalters.
So sehr ist hier alles bewußt auf tyvische Wiederkehr ge¬
richtet, daß einzelne Szenen beim besten Willen nicht kurzweilig
wirken. Das meiste Pigment hat noch jener selbstironische Dialog
des Dichters mit dem süßen Mädel, dem Herr Ettlinger
und Frl. Poldi Mükler den rechten Einschlag eitler Beobachtung
und herziger Schwindelei gaben, vor allem aber die beiden
lustigen Paradeszenen der Heroine, bei deren Darstellung sich
Fräulein Dergan mit der parodistischen Kopie eines berühm¬
ten Vorbilds half. Der vielseitige Herr Forster=Larri¬
naga, der auch für die trällernde Verbindungs=Musik gesorgt
hatte, spielte sehr geschmackvoll den liebenswürdig dümmlichen
Grafen und distinguierten jungen Dragoneroffizier.