gen
box 18/1
oinmigerk„Rrigen
Berlin, 24. Dezember.
Schmuckstück der Unter=der=Bank=Lektüre, in der
Gymtiasiastenerinnerung zwischen den rotangestriche¬
nen
Stellen aus Luthers Bibelübersetzung und
Boccaaccios „Dekam-ron“ figurierend, abgegrissenster
Leihbibliotheksband in deutschen Landen,
wurde in
Frau Eysoldts „Kleinem Schauspielhaus“ zum ersten
Mal aufgeführt.
Die Behörde sprach ein Veto. Die Kritik schriek
gegen die Behörde,
Aber ich glaube, der wahre Mannesmut beginn
erst dort, wo man ein Stck als ekelhaft zu bezeich¬
nen wagt, obwohl es sich mit dem Sexualakt
besaßt.
Der unorientierte Literat
— im Wirklichen un¬
orientiert —
weiß keinen Unterschied. (Ihm gilt ja
Wedekinds Vordell mit dem des Herrn Wildgans
gleich.) Er weiß nicht, daß die Begrisse „Kunst“ oder
Schmutz“ lediglich von der erotischen Weltanschau¬
ung besummt sind; daß alles, was aus dem Defekt
kommt, schmutzig und nichts, was aus der Freude
kommt, anstößig ist.
Daher das Eintreten für den „Reigen“ — nicht als
Konsiskationsgut, sondern als Kunstwerk — und die
Bezeichnungen „graziös", „tändelnd" „leicht ge¬
upft“ und „holdselig“ für ein Werk, das nicht eine
Spur Parfim=, aber dafür eine ganze Dosis von
Oesinsektionsgeruch in der Nase hinterläßt.
Das ungeschriebene Manko des Stückes ist das alte:
Post coitum omne animal est triste.
Ober um
Altenbergs — des tausendmal gepriesenen! — Lesart
zu zilieren, der mit diesem Satz, alles was Schnitz¬
lers Stück an Geist und Sinn enthält, genial abser¬
tigt: Post coitum omne animal est anhöflich. Er
durfte es hinschreiben, denn er war der beredieste
Verkünder des Gegenleils: non omne animal
sondern nur das häßliche, intelligen.), desekte, bürger¬
lich zerkneischte, dem großen Moment der Natur nicht
mit Grazie gewachsene. unkindliche, geschlechtssresse¬
ische,
die Roldutst mit einem rosa Helsbanden
schm. dende animal —
der aus Unlust gezeugte und
deshalb in Unlust zeugende Mensch. Oder anders:
der zwischen Trieb und Vernunft Zerrissene. (Das
heikt aber wieder nur: der Unschöne.) Ich will es
licht den dummen Idealvergoldern gleichtun und
wie sie auf Wedekind so auf Schnitzler sagen: „Aus¬
nahmsfälle der Natur! Es gibt Gotheidanknoch usw.“
Der Unterschied ist nur: die Fälle, die Wedekind
zeißt,
im Sinne des Herkommens selten, stnb
Hopertrophien idealer Möglichkeiten — also bedeu¬
end und wichtig; Schnitzters Okkasionen, in jener
Mittelschichte der Häßlichen, Psychisch=Bebrillien,
Uebelriechend=Poetischen, sehr häufig auffindbar, sind
unnötige Spezialfälle, und umso unnöliger, als sic
den Vorgang, in dem sich der Dutzendleser aufatmend
wiedererkennt, mit einem Schimmer von Blumik und
Lyrik' versehen.
Ich, für meinen Fall, empfinde den Geruch dieser
Lyrik etwa als Veilchenduft einer Lysoformflasche.
Die aparten, dustigen, graziösen, tändelnden Szenen,
als das, was die medizinischen Fachzeitschrifteg un¬
ter „Vorgeschichten“ verstehen: nämlich als lirische
Rekonstruktionen der Fabel, die der jeweiligen Insek¬
tion zu Grunde liegt. Es ist ärztliche Erotik. Man
merkt, daß Schnitzlers Name ein „Dr. Med.“ schmückt.
Ich leugne nicht, daß man auch eine fabelhafte,
sprachliche Beobachtung merkt. Aber cui bono? Nur
um den häßlichen Typus durch Kunsthilse zu stärken?
Die Gymnasiasten um keinen Preis zu Männern
werden zu lassen?
Herr Kerr meinte in seinem Reserat, das Stück
enthalte nichts „Gröbliches", „Schmieriges“.
Ich bin seiner Meinung, soweit er es auf die be¬
rhmten Gedankenstriche, das Lichtauslöschen und die
Umarmungen bezieht.
Aber wo es im „Reigen“ zu düsteln und schweben
beginnt, wo die Mondscheinsonate durch das Zimmer
gaukelt —
dort beginnt die Sauerei.
Hallen zu Gnaden! — Das war gegen Schnitzler
und nicht für die Zensur gesagt.
Zwei Wiener, Herr Ralph und Herr Eklin¬
ger, liehen der Aufführung Wienerische Würze und
Wärme. Was sonst auf der Bühne stand, traut sich
das letzte Wiener Pimperliheater nicht zu bieten.
Dafr sprach — feierlich, wie es in Berlin nun ein¬
mal zugeht — Frau Direktor Eysoldt vor und
nach dem Stück zwei Verwahrungsessays.
Der Nechtsanwalt der gegen die Aufführung pro¬
testierenden Partei zog nach der Première sein Veto
zurück, da ihn die sitlliche Lösung der unsittlichen
Aufgabe iberrascht habe. Er hat damit die ganze
Kritik gesprochen. Den Schauspielern und der Regie
gelang es mit vereinten Kräften, jede noch so geringe
sianlich=anziehende Wirkung des Stückes zu vermei¬
den. Statt leichten, flüsterhaften Geraschels der Wol¬
lust gab es hell=dunkel zelebrierte Schwaßzsucht.
Unter uns: ich empfand Heimweh nach dem deut¬
schen Volkstheater.
Anton Kuh.
box 18/1
oinmigerk„Rrigen
Berlin, 24. Dezember.
Schmuckstück der Unter=der=Bank=Lektüre, in der
Gymtiasiastenerinnerung zwischen den rotangestriche¬
nen
Stellen aus Luthers Bibelübersetzung und
Boccaaccios „Dekam-ron“ figurierend, abgegrissenster
Leihbibliotheksband in deutschen Landen,
wurde in
Frau Eysoldts „Kleinem Schauspielhaus“ zum ersten
Mal aufgeführt.
Die Behörde sprach ein Veto. Die Kritik schriek
gegen die Behörde,
Aber ich glaube, der wahre Mannesmut beginn
erst dort, wo man ein Stck als ekelhaft zu bezeich¬
nen wagt, obwohl es sich mit dem Sexualakt
besaßt.
Der unorientierte Literat
— im Wirklichen un¬
orientiert —
weiß keinen Unterschied. (Ihm gilt ja
Wedekinds Vordell mit dem des Herrn Wildgans
gleich.) Er weiß nicht, daß die Begrisse „Kunst“ oder
Schmutz“ lediglich von der erotischen Weltanschau¬
ung besummt sind; daß alles, was aus dem Defekt
kommt, schmutzig und nichts, was aus der Freude
kommt, anstößig ist.
Daher das Eintreten für den „Reigen“ — nicht als
Konsiskationsgut, sondern als Kunstwerk — und die
Bezeichnungen „graziös", „tändelnd" „leicht ge¬
upft“ und „holdselig“ für ein Werk, das nicht eine
Spur Parfim=, aber dafür eine ganze Dosis von
Oesinsektionsgeruch in der Nase hinterläßt.
Das ungeschriebene Manko des Stückes ist das alte:
Post coitum omne animal est triste.
Ober um
Altenbergs — des tausendmal gepriesenen! — Lesart
zu zilieren, der mit diesem Satz, alles was Schnitz¬
lers Stück an Geist und Sinn enthält, genial abser¬
tigt: Post coitum omne animal est anhöflich. Er
durfte es hinschreiben, denn er war der beredieste
Verkünder des Gegenleils: non omne animal
sondern nur das häßliche, intelligen.), desekte, bürger¬
lich zerkneischte, dem großen Moment der Natur nicht
mit Grazie gewachsene. unkindliche, geschlechtssresse¬
ische,
die Roldutst mit einem rosa Helsbanden
schm. dende animal —
der aus Unlust gezeugte und
deshalb in Unlust zeugende Mensch. Oder anders:
der zwischen Trieb und Vernunft Zerrissene. (Das
heikt aber wieder nur: der Unschöne.) Ich will es
licht den dummen Idealvergoldern gleichtun und
wie sie auf Wedekind so auf Schnitzler sagen: „Aus¬
nahmsfälle der Natur! Es gibt Gotheidanknoch usw.“
Der Unterschied ist nur: die Fälle, die Wedekind
zeißt,
im Sinne des Herkommens selten, stnb
Hopertrophien idealer Möglichkeiten — also bedeu¬
end und wichtig; Schnitzters Okkasionen, in jener
Mittelschichte der Häßlichen, Psychisch=Bebrillien,
Uebelriechend=Poetischen, sehr häufig auffindbar, sind
unnötige Spezialfälle, und umso unnöliger, als sic
den Vorgang, in dem sich der Dutzendleser aufatmend
wiedererkennt, mit einem Schimmer von Blumik und
Lyrik' versehen.
Ich, für meinen Fall, empfinde den Geruch dieser
Lyrik etwa als Veilchenduft einer Lysoformflasche.
Die aparten, dustigen, graziösen, tändelnden Szenen,
als das, was die medizinischen Fachzeitschrifteg un¬
ter „Vorgeschichten“ verstehen: nämlich als lirische
Rekonstruktionen der Fabel, die der jeweiligen Insek¬
tion zu Grunde liegt. Es ist ärztliche Erotik. Man
merkt, daß Schnitzlers Name ein „Dr. Med.“ schmückt.
Ich leugne nicht, daß man auch eine fabelhafte,
sprachliche Beobachtung merkt. Aber cui bono? Nur
um den häßlichen Typus durch Kunsthilse zu stärken?
Die Gymnasiasten um keinen Preis zu Männern
werden zu lassen?
Herr Kerr meinte in seinem Reserat, das Stück
enthalte nichts „Gröbliches", „Schmieriges“.
Ich bin seiner Meinung, soweit er es auf die be¬
rhmten Gedankenstriche, das Lichtauslöschen und die
Umarmungen bezieht.
Aber wo es im „Reigen“ zu düsteln und schweben
beginnt, wo die Mondscheinsonate durch das Zimmer
gaukelt —
dort beginnt die Sauerei.
Hallen zu Gnaden! — Das war gegen Schnitzler
und nicht für die Zensur gesagt.
Zwei Wiener, Herr Ralph und Herr Eklin¬
ger, liehen der Aufführung Wienerische Würze und
Wärme. Was sonst auf der Bühne stand, traut sich
das letzte Wiener Pimperliheater nicht zu bieten.
Dafr sprach — feierlich, wie es in Berlin nun ein¬
mal zugeht — Frau Direktor Eysoldt vor und
nach dem Stück zwei Verwahrungsessays.
Der Nechtsanwalt der gegen die Aufführung pro¬
testierenden Partei zog nach der Première sein Veto
zurück, da ihn die sitlliche Lösung der unsittlichen
Aufgabe iberrascht habe. Er hat damit die ganze
Kritik gesprochen. Den Schauspielern und der Regie
gelang es mit vereinten Kräften, jede noch so geringe
sianlich=anziehende Wirkung des Stückes zu vermei¬
den. Statt leichten, flüsterhaften Geraschels der Wol¬
lust gab es hell=dunkel zelebrierte Schwaßzsucht.
Unter uns: ich empfand Heimweh nach dem deut¬
schen Volkstheater.
Anton Kuh.