II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 721

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Berliner Cheater
Schnitzlers „Reigen“ oder sechs Wochen Haft.=
##hür Schnitzlers ist ein erotischer zark
blütiger Kranz. Was in den Dialogszenen vorgeht, deren Anfang
und Ende sich wie die berühmte Schlange in den Schwanz beißt,
darf man nur andeuten, wie Goethe es tat in seinen Versen
über „Meister Iste“. Sobald dieses gewisse Etwas geschieht,
senkt sich der Vorhang, und wenn er wieder emporsteigt, ist der
Astus vorbei, hören wir einen matten Abgesang der Liebe. Die
Pärchen reichen sich von Bild zu Bild wechselseitig die Hände
und bilden einen Reigen der Liebe. Der ist in den siebzehn
Jahren seines Bestehens viel gelesen und bewundert worden,
von den Bühnen war er durch das dunkle Schwert der Zensur
vertrieben. Das Kleine Schauspielhaus war nun mit
Recht der Ansicht, daß seit der Revolution die Theaterzensur
abgeschafft sei, und kündigte für den Abend vor dem Weihnachts¬
fest den Reigen an. Doch die Direktion, Frau Gertrud Cysolbt
und Herr Sladek hatten die Rechnung ohne den Wirt (in
des Wortes eigentlicher Bedeutung) gemacht. Der Hauswirt ist
das Direktorium der Hochschule für Musik, das einen Saal für
das Kleine Schauspielhaus hergegeben hat, und dieses Direktortum
hat vom Landgericht eine einstweilige Verfügung erwirkt, wonach
die Aufführung von Schnitzlers „Reigen“ bei Strafe einer Haft
von sechs Wochen untersagt wird. Das Direktorium der
Hochschule stützt sich auf den Mietsvertrag mit dem Kleinen
Schauspielhaus, der ausdrücklich Stücke verbietet, die in sittlicher
oder politischer Richtung Anstoß erregen könnten. Die Direktion
kehrte sich nicht an die einstweilige Verfügung, rebellierte und
pielte den „Reigen“, ohne daß währenb des Abends ein Protest
ittlich Entrüsteter laut oder ein Protest in Gestalt eindringender
Polizei sichtbar wurde. Die Hochschule ist eine Staatsschule und
untersteht dem Kultusministerium. Minister Haenisch, der am
kritischen Tage verreist war, wird zu entscheiden haben, ob er
das Direktorium deckt oder den Einspruch zurücknehmen läßt.
Unabhängig davon wurde im Publikum die Frage erörtert, ob
nun Frau Eysolbt werde brummen müssen. Sie hielt nach
der Vorstellung eine gefühlvolle Ansprache und trat etwas dekla¬
matorisch für Schnitzler und sein Werk ein. Wir wissen alle,
daß Arthur Schnitzler kein erotischer Schmierfink ist und sein
„Reigen“ nicht if Sinnengier spekuliert.
Der Rahmen, in den die Regie des Herrn Reusch die
Dialoge stellte, war nett. Zu beiden Seiten des Rokokoausschnitts
der Bühne standen zwei stilisierte, von Blattwerk umrankte
Straßenlaternen, deren Licht während des Spiels verblaßte.
Um die Vorgänge spannten sich grüne und rosenrote duftige
Vorhänge. Die feine Melancholie, das leise Schwingen, die
Zartheit der Andeutungen wurden nicht recht eingefangen,
manches geriet zu plump; und das wienerische Zwitschern war
nicht zu hören. Immerhin müssen Götz, Schwannele,
Förster=Larinaga mit Anerkennung genannt werden. Der
durch Hausfreunde gestützte Betfall war stark.
Salas Schener
Klose & Seidel
Bureau für Zeitungsausschnitte
Berlin MO. 43, Georgenkirchplatz 21
ager Tageblatt.
Leitung
Gesi

Bühne und Kunst.
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Schnitzlers „Reigen“.
Berlin, 24. Dezember.
Schmuckstück der Unter=der=Bank=Lektüre, in der
Gychtiesastenerinnerung zwischen den rotangestriche¬
nen Stellen aus Luthers Bibelübersetzung und
Boccaaccios „Dekameron“ figurierend, abgegrissenster
Leihbibliotheksband in deutschen Landen, wurde in
Frau Eysoldts „Kleinem Schauspielhaus“ zum ersten
Mal aufgeführt.
Die Behörde sprach ein Veto. Die Kritik schrieb
gegen die Behörde.
Aber ich glaube, der wahre Mannesmut beginnt
erst dort, wo man ein Stick als ekelhaft zu bezeich¬
nen wagt, obwohl es sich mit dem Sexualakt
besaßt.
im Wirklichen un¬
Der unorientierte Literat —
orientiert — weiß keinen Unterschied. (Ihm gilt ja
Wedekinds Vordell mit dem des Herrn Wildgans
gleich.) Er weiß nicht, daß die Begrisse „Kunst“ oder
Schmutz“ lediglich von der erotischen Weltanschau¬
ung bestimmt sind; daß alles, was aus dem. Desekt
kommt, schmutzig und nichts, was aus der Freude
Daher das Eintreten für den „Reigen“ — nicht als
Konsiskalionsgut, sondern als Kunstwerk — und die
Bezeichnungen „graziös", „tändelnd“ „leicht ge¬
lupft“ und „holdselig“ für ein Werk, das nicht eine
Spur Parf m=, aber dafür eine ganze Dosis von
Desinsektionsgeruch in der Nase hinterläßt.
Das ungeschriebene Manko des Stückes ist das alte:
Post coitum omne animal est triste. Oder um
Altenbergs — des lausendmal gepriesenen! — Lesart
zu zilieren, der mit diesem Satz, alles was Schnitz¬
ers Stück an Geist und Sinn enthält, genial abser¬
ligt: Post coitum omne animal est unhöflich. Er
durfte es hinschreiben, denn er war der beredieste
Verkünder des Gegenleils: non omne animal
sondern nur das häßliche, intelligente, deselte, bürger¬
lich zerknelschte, dem großen Moment der Natur nicht
mit Grazie gewachsene. unkindliche, geschlechtsfresse¬
rische, die Noldurst mit einem roja Halsbanderl
chm. dende animal — der aus Unlust gezeugte und
deshalb in Unlust zeugende Mensch. Oder anders:
der zwischen Trieb und Vernunft Zerrissene. (Das
heikt aber wieder nur: der Unschöne.) Ich will es
nicht den dummen Idealvergoldern gleichtun und
wie sie auf Wedelind so auf Schnitzler sagen: „Aus¬
nahmsfälle der Natur! Es gibt Gotheidanknoch usw.“
Der Unterschied ist nur: die Fälle, die Wedekind
eigt, im Sinne den Herkommens selten, sind
— also bedeu¬
Hypertrophien idealer Möglichkeiten
lend und wichtig; Schnitzlers Okkasionen, in jener
Mittelschichte der Häßlichen, Psychisch= Bebrillien,
Uebelriechend=Poetischen, sehr häufig auffindbar, sind
unnötige Spezialfälle, und umso unnöliger, als sie
den Vorgang, in dem sich der Dutzendleser aufalmend
wiedererkennt, mit einem Schimmer von Blumik und
Lyrik'versehen.
Ich, für meinen Fall, empfinde den Geruch dieser
Lyrik etwa als Veilchenduft einer Lysoformflasche.
Die aparten, dustigen, graziösen, tändelnden Szenen,
als das, was die medizinischen Fachzeitschriften un¬
ter „Vorgeschichten“ verstehen: nämlich als lyrische
Rekonstruktionen der Fabel, die der jeweiligen Insel¬
tion zu Grunde liegt. Es ist ärztliche Eronk. Man
nerki, daß Schnitzlers Name ein „Dr. Med.“ schmückt.
Ich leugne nicht, daß man auch eine fabelhafte,
prachliche Beobachtung merkt. Aber cui bono? Nur
um den häßlichen Typus durch Kunsthilse zu slärken?
Die Gymnasiasten um keinen Preis zu Männern
werden zu lassen?
Herr Kerr meinte in seinem Reserat, das Stück
enthalte nichts „Gröbliches", „Schmieriges“.
Ich bin seiner Meinung, soweit er es auf die be¬
hmten Gedankenstriche, dos Lichtauslöschen und die
Umarmungen bezieht.
Aber wo es im „Reigen“ ur düfteln und schweben
beginnt, wo die Mondscheinsonate durch das Zimmer
gankelt — dort beginnt die Sauer#.
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