II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 725

11.
box 18/1
Reigen
(lose & Seidel
Bureau für Zeitungsausschnitte
Berlin NO. 43, Georgenkirchplatz 21
8
Zeitung:
3
Ort:
Bremen
Datum:
2.8HEL197
Sexual-Dramatik.
Von unserem ständigen Berliner Mitarbeiter wird uns
geschrieben:
Daß das Theater in der Königgrätzerstraße eines Tages
Oscar Wildes „Salome“ spielen würde, —
man brauchte
veder Jochanaan noch sonst ein Prophet zu sein, um dies
orauszusagen. Denn dort lebt man von und für Fräulein
Orska. Und daß Maria Orska Spezialistin für deka¬
dente Grotik sei, das ist noch viel zu wenig gesagt. Sie oder
r ganzer theatralischer Ruf, ihre ganze schauspielerische Er¬
cheinung ist überhaupt und ganz und gar nichts anderes.
als eine morbide, schmachtend gierige, süchtig trillernde, kätz¬
henhaft gereckte Geschlechtlichkeit. Mit deren virtuoser und
oöllig ungehemmter Ausarbeitung hat Maria Orska sich und
ihrem Theater aus den „neuen Reichen“ ein mächtig zahlen¬
des Publikum erobert. Es ist aber nicht leicht, zur Entfaltung
ihrer Eigenschaft geeignete Rollen herbeizutreiben. Wedekind
und Strindberg, die ja wohl nicht ganz so gemeint, aber
immerhin so zu gebrauchen sind, hat sie nachgerade abge¬
weidet. Und einmal hat sie sich in der Verzweiflung an Schil¬
lers Lady Milford vergriffen. Oscar Wildes „Salome“ ist
fa aber schlechthin das klassische Stück ihrer ganzen Richtung.
Dies subtile Spiel, das lange, ehe Richard Strauß ein Opfer
daraus machte, eine der ersten Erfolge Reinhardts mit Gertrud
Eysoldt am „Kleinen Theater“ war, — dies Spiel ist wirklich
nichts als eine kostbar schillernde Sumpfblume. Der große
irische Artist hat die Welt gottlos verwesender Sinnlichkeit,
die in dem mörderischen Liebesbegehren der Prinzessin Sa¬
lome nach des Täufers Haupt ausbricht, gestaltet — gestaltet
mit feierlich zarten stimmungsvollen Verskünsten, aber aanz
ohne eine stellungnahme, geistig distanzierende Kraft, ganz
hingegeben an den giftig schönen Rausch dieser sinnlos=sinn¬
lichen Welt. Und so kam alles, wie es kommen mußte: Maria
Orska flötete, trillerte und schmachtete und gierte die „Salome“
und der vielverühmte Conrad Veidt, dessen hektisch schmach¬
tende Schlankheit sich schon längst zu einem männlichen Pen¬
dant der Orska entwickelt, machte wirklich den Jochanaan
dazul
Die Gertrud Eysoldt aber, die vor 17 Jahren als Salome
berühmt wurde, zeichnet heute als Direktorin des „Kleinen
Schauspielhauses“, das sich in der Staatlichen Hochschule für
Musik am Steinplatz befindet. (NB. sie zeichnet, aber der
Konzern des Deutschen Theaters liefert Schauspieler und
Regisseure und scheint überhaupt ganz souverän über das
Institut zu verfügen.) Diese Gertrud Eysoldt also kündigte
die Aufführung von Arthur Schnitzlers „Reigen“
an. Es sind dies zehn sexuelle Dialoge, die nur durch Perso¬
nalunion zusammenhängen, in denen jedesmal ein Partner
der ersten Begenung noch in der zweiten mitspielt, bis in der
zehnten der Graf den Kreislauf mit jener Dirne schließt, die
mit dem Soldaten das Spiel begann. So ist das Ganze ein
böser Witz, und die einzelne Szene, in deren Mitte jedesmal
bedeutungsvolle Gedankenstriche
—— jenen Punkt an¬
deuten, der überall, wo Seele und Leidenschaft nich mitspielen,
dann freilich der einzig wesentliche Punkt bleibt — auch die
einzelnen Szenen zeigen oft genug die bekannte, melancholisch¬
ronische Anmut Schnitzlerscher Dialoge. Sie werden besonders
lustig, wenn in der zweiten Hälfte die allgemeine Verlogenheit
der erotischen Phrase durch Fachleute, Schriftsteller und
Schauspielerin, mit phantastischer Energie gehandhabt wird.
Das Buch gibt der Sinnlichkeit der entseelten Welt gewiß
einen mystisch=dämonischen Schimmer, wie der Wildesche Akt,
aber es seziert den gleichen Zustand einer Erotik, der alles
Seelische zur Lüge wird, mit trockenster Ironie und wird da¬
durch in einem kaum vergleichlichen Grade deutlich. Früher
hatte der Zensor sogar das Buch verboten; jetzt gibt es keine
Zensur mehr, aber in diesem speziellen Falle hatte das Kultus¬
ministerium, zu dem die Hochschule für Musik gehört, Rechte
des Hausherrn. Es erklärte die Aufführung eines solchen
Stückes in seinen Räumen für vertragswidrig und erwirkte
wenige Stunden vor der Aufführung eine gerichtliche Ver¬
fügung, die das Spiel bei Haftstrafe der Direktion verbot.
Dennoch ging nach einer emphatischen Ansprache der Frau
Eysoldt die Schnitzlersche Szenenreihe über die Bretter, und
das Premierenpublikum demonstrierte mit heftigem Beifall
für die bedrohte
„Freiheit der Kunst“
Die Auf¬
führung mit sehr hübschen Szenenbildern von Ernst
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Dichter Vorbild für seine
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Wenn derartige Stücke (und
mehrere hundert Male die
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die in ihnen enthaltenen artis
Unternehmen bleibt das eine
Masseninstinkten, wobei man
nur ewa dem unbegrenzten
allen. Theaterleuten zugute her
zu bekämpfen; daß sie aber
Artistische Stu
allerbings.
mögen ihre technische Quali
teresse haben — als Massen
boten, wirken solche Proben
und sind zweifellos eine Kult
Ich möchte nicht mißverst
auch die kühnste Darstellung
für ihre Darbietung auf eine
nicht, entzückt oder ironisch,
Stoff sind, an dessen Gestalt
geistiger Art auswirkt, die
als sinnlichen Mächte im Mes
ei Slakespeare, bei Kleist,
Erleben des Geschlechtlichen
keineswegs aus einer so anti¬
wie bei Bernard Shaw
eines irischen Landsmannes
in eben diesen Tagen das „S
ter gebracht, das man gerad
könnte: „Cäsar und Cleo
Verherrlichung tödlicher Sinn
endlich überlegener Höhe herc