II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 733

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11. Reigen
Klose & Seidel
Bureau für Zeitungsausschnitte
Berlin NO. 43, Georgenkirchplatz 21
BS NNAOARIE
Leitung:
Dresden.
Ort:
—4811
Datuna:
Schnitzlers Reigen
Berbat und Aufführung in Berlig „
48 Berlin wird uns geschrieben: hle
ieses Stück war als Buch verboten und ist auc
wei# aufgeführt worden. Das Kleine Schau¬
pirhaus wagte die Aufführung, obwohl sie ihm
chwergemacht wurde. Dieses Theater ist von der Hoch¬
chule für Musik, der es gehört, an Frau Eysoldi ver¬
pachtet worden unter der Bedingung, daß gegen Stücke
die politisch, sittlich oder religiös anstößig erscheinen
Einspruch erhoben werden könnte. Nun ist auf dieser
Bühne monatelang ohne Einspruch die „Büchse der
Pandora“ gespielt worden, die zweifellos viel auf¬
Plötzlich aber besinnt sich
reizender ist als Schnitzler.
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das Kultusministerium (das übrigens immer bedauert
hat, daß dieser Saal der Hochschule genommen wurde)
auf die Klausel und veranlaßt das Landgericht, gegen
das angeblich laszive Stück von Schnitzler, das man
nür gelesen und nicht in einer Probe gehört hat, vor¬
zugehen. Das Landgericht sendet an Herrn Sladek
und Frau Ensoldt wenige Stunden vor der Auf¬
ihrung ein Verbot unter der Drohung einer sechs¬
öchigen Haft. Die Direktion beschließt, trotzdem
zu svielen. Frau Ensoldi tritt vor den Vorhang und
spricht mit erregter Stimme über diesen sehr merk¬
würdigen Fall und bittet das Landgericht, erst einmal
das Stück sich anzusehen, die Wirkung der Aufführung
zu prüfen, ehe es ihrer Meinung entgegentrete, daß
es sich hier um reine Kunst handle. Die Zuhörer spen¬
den ihr demonstrativen Beifall.
Die Aufführung gibt ihr vollkommen recht. Das
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Stück von Schnitzler, das wir ja alle einmal heimlich
zelesen haben, behandelt bekanntlich die verschiedenen
Arten der geschlechtlichen Liebe in verschiedenen
Klassen und Ständen der Gesellschaft. Es schließt eine
Kette von der Dirne über den Soldaten, das Stuben¬
mädchen, den jungen Herrn, die junge Frau, den Ehe¬
gann, das jüße Mädel, den Dichter, die Schauspielerin,
den Grasen, zur Dirne zurück, so daß immer eine
Figur des vorigen Paares in das späiere übertritt.
Diese zein Bilder konzentrieren sich immer um die
geschlechtliche Vereinigung selbst. so daß die Stimmung
porher und die Stimmuna nachher sich deutlich von¬
einander absetzen. Das ist das gleiche. Das Verschie¬
dene ist, wie diese Stimmungen sich in den wechselnden
pzialen Schichten immer wieder anders ausbrücken,
in ironisches Schmerzenslied der Liebe in zehn ver¬
Liebenen Sprachen. Die Szenen in den oberen
stagen übertreffen durch die Feinheit des Dialogs
und die Kompligiertheit der inneren Vorgänge bei
eitem die der unteren Eiggen, die eigentlich etwas
###achund dünn sind. Die Methode der Variierung
desselben Themas hat sogar etwas Ermüdendes. Man
rchtet ###ernd mehr auf dir Mohnlation all auf die!
Menschlichkeit, mehr auf den Witz als die Wahrheit.
Von irgendeiner sittlich aufreizenden Wirkung kann
keine Rede sein. Der zentrale Vorgana selbst geschieht
unsichtbar, alles übrige ist Geplänkel. Es gibt Stücke,
in denen das nicht geschieht, was hier ge¬
schieht, sondern kokett und andeutungsvoll ver¬
schlimmer
die sind
wird
hüllt
Hier ist die Sache viel zu unmittelbar, um die Phan¬
tasie zu erregen oder Laster zu züchten. Ich möchte
agen, sie ist viel zu gesund dazu. Die Aufführung
selbst hielt sich außerdem sehr dezent. Der Vorhang
tat seine Schuldigkeit. Auch der Vorhana vor manchem
Bett. Schade, daß dies Theater keine Drehbühne hat.
dann hätte man Szene für Szene sich abrollen lasien
können, und staffelweise wäre die verbindende Person
in die nächste Szene marschiert. Die Galerie der
Schauspieler war nicht immer ersten Ranges. Unter
den Frauen nur Poldi Müller als süßes Mädel.
Unter den Männern entzückend Kurt Götz als junger
Herr, aber eigentlich nicht sehr wienerisch.
Nach dem Schluß war einmütiger, sehr starker
Beifall. Sein demonstrativer Charakter übertrieb die
Wichtigkeit des Stückes, für das sich die gerichtliche
Einmischung gar nicht gelohnt hat. Ich denke, Frau
Ensoldt wird nicht ins Gefängnis marschieren.
Professor Dr. Oscar Bie.