11. Reigen
jetzt Beelzebub. Man lernte es am bärtigen
ifer mancher Volkspädagogen, die, als Tugend¬
ächter ins Sollegium entsandt, sinnenfrohe
chtbilder mit längst geläufigen Missionsreden
gleiten und viel schöne Kinder mit ihrem
ortbad verschütten. Man fühlt's noch grimmi¬
r an manchem Zwiespalt in der eigenen
rust. Denn selbstverständlich möchte man von
erzen gern manchen Kitsch vertilgen — gleich¬
el, ob er tüchtig oder halb bekleidet ist!
er selbst in scharfen Fällen warnt eine innere
timme vor dem Präjudiz. Was heute dem
rüstchen irgendeiner Lulu geschieht, wird es
cht morgen mit gleichem „Recht“. Aspasiens
thüllter Göttlichkeit widerfahren? Paß' auf,
achtwächter! Die Tugendbündler gehen um
it Einbrecherwerkzeug! Die innere Stimme
vernünftig. Denn wirklich: etwa mit einer
sonderen Schutzvorrichtung gegen die Wißbe¬
erde der Jugendlichen versehen, reichen
ebürgerlichen Gesetze gegen den roheren Un¬
g gerade aus. Man soll dem Teufel nicht den
einen Finger einer verschämten Zensur bie¬
n; Beelzebub packt unverschämt die ganze
and!
*
Aber die ernste Angelegenheit beginnt erst
inseits des Films. Bei der Theater=Zensur.
eginnt? Da hat sie doch zu sein Rechtens auf¬
hört! Wir haben in Deutschland nach dem
illen der Verfassung eine Theaterzensur nicht
hr. Sie ist, nach einem jahrhundertelangem
ingen des geistigen Deutschlands mit dem Au¬
ritätsstaat, des Geistes von Weimar mit dem
eiste von Potsdam, den alten Hoheitsrechten
die Gruft gefolgt. Sie ist begraben. Soll ich
er gleich gewissen Literarhistorikern einen To¬
nausgraben, um ihn mit aller Kunst der Kri¬
noch einmal zu henken?
Aber — ist die Theaterzensur auch wirklich be¬
aben?
Am Tag vor Weihnachten hat sich in Berlin
eignet, was hier den Akten der Zeitgeschichte
eraeben sei:
box 18/1
Im „Kleinen Schauspielhaus“ — Di¬
rektion Gertrud Eysoldt und Maximilian Sla¬
—
war die Uraufführung von Arthur
Schnitzlers „Reigen“ für den 23. Dezember
angekündigt. Wer nicht fremd ist in der Litera¬
ur der letzten 30 Jahre, ist vertraut mit dem
feinnervigen und skeptischen Wiener — dem
Europäer. Weiß auch, daß Schnitzler, der me¬
ancholische Philosoph der Erotik, mit seinen
zarten Fingern letzte Schleier von der Tragi¬
komödie der Geschlechter hebt, anmutig und doch
schonungslos, lächelnd und ernst. Die Grazien
und der Weltgeist machten ihn zum österreichi¬
schen Bruder (nicht etwa zum Nachkommen!)
Maupassants, des Franzosen. Jener Sünder
oder Tor, der Schnitzler — in einseitiger bedenk¬
licher Genußfähigkeit oder in zelotischer Blind¬
—
heit
einen Pornographen schilt, er muß
Shakespeare, den schlechten Kerl, für die Meu¬
helmorde Richards III. verantwortlich machen!
Auch den „Reigen“, die zehn erotischen Szenen,
kennt man seit länger als 20 Jahren . .. In
der alten Welt (vor 1918) war nicht nur die Auf¬
führung, nein, zeit= und ortsweilig auch das
Buch verboten. Um so heftiger fand es Verbrei¬
tung. Kam selbstverständlich auch in die Hände
vieler, die dem Besinner der Natur (siehe Scho¬
penhauer über den tückischen Knalleffekt der
Natur!) nicht nachzusinnen, ihm nur Sinnlichkeit
abzuschmeicheln imstande waren. Was will es
sagen?
Manches Blatt in Goethes Werken
erhitzt menschliche Kaninchen! Nicht so borniert,
wie es auf den ersten Blick scheinen will, waren
die Religionslehrer, die den Urtext der Bibel
breiten Volkskreisen vorenthielten. Aber in
der Kunst geht es nicht mit dem Verbergen.
Kämen um der Anfälligen und Kranken willen
die Gesunden zu Schaden. Müßten um der Ar¬
men im Geiste willen alle glücklichen Geister ins
geistige Armenhaus. Vom Theater forderte der
alte Lessing, wahrhaftig ein Erzieher des Men¬
schengeschlechts, daß es allwöchentlich Aufführün¬
gen nur für reife Männer veranstalte; damit
nicht durch Prüderie und Verlogenheit die dra¬
matische Kunst auf den Hund komme. Rücksicht
auf weibl. Ueberverschämtheit ist heute überflüs¬
sig; von Lessings Meinung bleibt der Finger¬
zeig: das ernste Theater ist kein Erziehungs¬
institut für Backfische! Im übrigen gebe sich
jeder Vater selbst die Mühe, Bücher und Schau¬
spiele für seine Kinder auszuwählen.
Schnitzlers zehn Szenen, zum „Reigen“ ge¬
durchaus geistig destilliert, selbstverständlich ohne
chmierige Spekulation, vielmehr mit ernster
Würde und heiterer Grazie vorgeführt, also von
künstlerischem Adel. Daß kniffliche Bureaukra¬
en, die nebenbei einer bestimmten Stelle eine
privatrechtliche Gefälligkeit zu erweisen beflis¬
chen „Unzüchtig“ anhängten, das war eine schlim¬
mere Blamage, als die Verschandelung ewig¬
schöner Menschlichkeit durch die berüchtigten Fei¬
genblätter! In der Tat: auf einem Neben= und
Schleichweg wollte der alte Unhold an den Geist
und an die Kunst heran, und, obwohl es in
Deutschland eine Theaterzensur nicht mehr gibt,
vinkulierten behördliche Helfershelfer auf Grund
eines deutbaren Vertragsparagraphen ein rich¬
tiges Zensurverdikt.
jetzt Beelzebub. Man lernte es am bärtigen
ifer mancher Volkspädagogen, die, als Tugend¬
ächter ins Sollegium entsandt, sinnenfrohe
chtbilder mit längst geläufigen Missionsreden
gleiten und viel schöne Kinder mit ihrem
ortbad verschütten. Man fühlt's noch grimmi¬
r an manchem Zwiespalt in der eigenen
rust. Denn selbstverständlich möchte man von
erzen gern manchen Kitsch vertilgen — gleich¬
el, ob er tüchtig oder halb bekleidet ist!
er selbst in scharfen Fällen warnt eine innere
timme vor dem Präjudiz. Was heute dem
rüstchen irgendeiner Lulu geschieht, wird es
cht morgen mit gleichem „Recht“. Aspasiens
thüllter Göttlichkeit widerfahren? Paß' auf,
achtwächter! Die Tugendbündler gehen um
it Einbrecherwerkzeug! Die innere Stimme
vernünftig. Denn wirklich: etwa mit einer
sonderen Schutzvorrichtung gegen die Wißbe¬
erde der Jugendlichen versehen, reichen
ebürgerlichen Gesetze gegen den roheren Un¬
g gerade aus. Man soll dem Teufel nicht den
einen Finger einer verschämten Zensur bie¬
n; Beelzebub packt unverschämt die ganze
and!
*
Aber die ernste Angelegenheit beginnt erst
inseits des Films. Bei der Theater=Zensur.
eginnt? Da hat sie doch zu sein Rechtens auf¬
hört! Wir haben in Deutschland nach dem
illen der Verfassung eine Theaterzensur nicht
hr. Sie ist, nach einem jahrhundertelangem
ingen des geistigen Deutschlands mit dem Au¬
ritätsstaat, des Geistes von Weimar mit dem
eiste von Potsdam, den alten Hoheitsrechten
die Gruft gefolgt. Sie ist begraben. Soll ich
er gleich gewissen Literarhistorikern einen To¬
nausgraben, um ihn mit aller Kunst der Kri¬
noch einmal zu henken?
Aber — ist die Theaterzensur auch wirklich be¬
aben?
Am Tag vor Weihnachten hat sich in Berlin
eignet, was hier den Akten der Zeitgeschichte
eraeben sei:
box 18/1
Im „Kleinen Schauspielhaus“ — Di¬
rektion Gertrud Eysoldt und Maximilian Sla¬
—
war die Uraufführung von Arthur
Schnitzlers „Reigen“ für den 23. Dezember
angekündigt. Wer nicht fremd ist in der Litera¬
ur der letzten 30 Jahre, ist vertraut mit dem
feinnervigen und skeptischen Wiener — dem
Europäer. Weiß auch, daß Schnitzler, der me¬
ancholische Philosoph der Erotik, mit seinen
zarten Fingern letzte Schleier von der Tragi¬
komödie der Geschlechter hebt, anmutig und doch
schonungslos, lächelnd und ernst. Die Grazien
und der Weltgeist machten ihn zum österreichi¬
schen Bruder (nicht etwa zum Nachkommen!)
Maupassants, des Franzosen. Jener Sünder
oder Tor, der Schnitzler — in einseitiger bedenk¬
licher Genußfähigkeit oder in zelotischer Blind¬
—
heit
einen Pornographen schilt, er muß
Shakespeare, den schlechten Kerl, für die Meu¬
helmorde Richards III. verantwortlich machen!
Auch den „Reigen“, die zehn erotischen Szenen,
kennt man seit länger als 20 Jahren . .. In
der alten Welt (vor 1918) war nicht nur die Auf¬
führung, nein, zeit= und ortsweilig auch das
Buch verboten. Um so heftiger fand es Verbrei¬
tung. Kam selbstverständlich auch in die Hände
vieler, die dem Besinner der Natur (siehe Scho¬
penhauer über den tückischen Knalleffekt der
Natur!) nicht nachzusinnen, ihm nur Sinnlichkeit
abzuschmeicheln imstande waren. Was will es
sagen?
Manches Blatt in Goethes Werken
erhitzt menschliche Kaninchen! Nicht so borniert,
wie es auf den ersten Blick scheinen will, waren
die Religionslehrer, die den Urtext der Bibel
breiten Volkskreisen vorenthielten. Aber in
der Kunst geht es nicht mit dem Verbergen.
Kämen um der Anfälligen und Kranken willen
die Gesunden zu Schaden. Müßten um der Ar¬
men im Geiste willen alle glücklichen Geister ins
geistige Armenhaus. Vom Theater forderte der
alte Lessing, wahrhaftig ein Erzieher des Men¬
schengeschlechts, daß es allwöchentlich Aufführün¬
gen nur für reife Männer veranstalte; damit
nicht durch Prüderie und Verlogenheit die dra¬
matische Kunst auf den Hund komme. Rücksicht
auf weibl. Ueberverschämtheit ist heute überflüs¬
sig; von Lessings Meinung bleibt der Finger¬
zeig: das ernste Theater ist kein Erziehungs¬
institut für Backfische! Im übrigen gebe sich
jeder Vater selbst die Mühe, Bücher und Schau¬
spiele für seine Kinder auszuwählen.
Schnitzlers zehn Szenen, zum „Reigen“ ge¬
durchaus geistig destilliert, selbstverständlich ohne
chmierige Spekulation, vielmehr mit ernster
Würde und heiterer Grazie vorgeführt, also von
künstlerischem Adel. Daß kniffliche Bureaukra¬
en, die nebenbei einer bestimmten Stelle eine
privatrechtliche Gefälligkeit zu erweisen beflis¬
chen „Unzüchtig“ anhängten, das war eine schlim¬
mere Blamage, als die Verschandelung ewig¬
schöner Menschlichkeit durch die berüchtigten Fei¬
genblätter! In der Tat: auf einem Neben= und
Schleichweg wollte der alte Unhold an den Geist
und an die Kunst heran, und, obwohl es in
Deutschland eine Theaterzensur nicht mehr gibt,
vinkulierten behördliche Helfershelfer auf Grund
eines deutbaren Vertragsparagraphen ein rich¬
tiges Zensurverdikt.