11. Reigen
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Monty Jacobs.
„Neigen“ mit Hindernisse
(Kleines Schauspielerhaus, Börlin.)
Der Vorhang teilt sick. Gertrud Eysoldt,
die Direktorin, tritt in schöner menschlicher Er¬
regung zu einer Ansprache heraus.
Ihr Hauswirt, mit Vor= und Zunamen:
Hochschule für Musik, wende auf Arthur Schnitz¬
lers „Reigen“ den Paragraphen des Mietvertra¬
ges an, der unzüchtige Stücke verbiete. So sei
drei Stunden vor der Aufführung eine Verfü¬
gung gekommen: Verbot bei Androhung von sechs
Wochen Haft für die Direktion Sladek=Eysoldt.
Wir spielen doch. Wir stehen für die Kunst uind
für Arthur Schnitzler.
Hm. Es bedarf keiner Beteuerung. Ich bin
gegen verkavpte Zensur, gegen Theaterstörung
im letzten Moment, gegen das Einsperren von
Künstlerinnen. Aber Frau Eysoldt sagt es ja
elbst, daß dieser Fall nicht entschieden werden
kann, bevor der Vorhang hochgezogen sei.
Schnitzlers Dialoge freilich bedürfen der Auf¬
führung nicht, um vopulär zu werden. Wer sie,
als Erwachsener, lesen darf, kennt sie längst und
wer sie nicht lesen barf, kennt sie erst recht.
Ihre Paare, mit wechselnden Partnern, werfen
ich den Ball zu. Wenn er von der Straßendirne
Laokadia zur Straßendirne Leokadia zurückge¬
ehrt ist, so haben sich Welt, Halbwelt, Klein¬
bürgertum, so haben sich Naivität, Blasiertheit,
Pose, Eitelkeit, bewußte und unbewußte Gefühls¬
üge im Reigen gedreht. Immer nur ein Paar.
Stets vor, in und nach jener Situation, die
sich selbst im zensurlosen Freistaat nicht auf
der Bühne zeigt. Gedankenstriche, so drückt je¬
der Dialog seine Pointe aus.
Sollten diese Dialoge, an Glanz und Witz
oöne Plumpheit ein begeidetes Besitztum der
deutschen Literatür, auf die Bühne kommen? Ich
halte mich an den einzig maßgebenden Jensor,
nämlich an Arthur Schnitzler selbst. Fünfundzwan¬
zig Jahre lang hat er mit scharfen Verwahrungen
jede Aufführung seines „Reigen“ verboten,
Wenn ## telbst jetzt seinen Spruch umstößt,
so hat er der Bühne eine schwere Verantwortung
aufgeladen. Denn den Glanz und den Witz sei¬
nes Dialogs zu treifen, und die Schlingen der
Plumpbest zu vermeiden, das ist die delikateste
SL Riee sespliede Peschen
Aufgabe für ein intimes Theater. Nur eine Bühne,
die sich dazu berufen fühlt, darf das Wagnis un¬
Das Kleine Schauspielhaus ist diese Bühne
nicht Niemand wird, so höre ich einen weih¬
nachtlichen Engel flöten, niemand wird so grau¬
am sein, mit der Haftstrafe Ernst zu machen.
So brauchen wir alle also nicht die Dezenz der
Aufführung zu bezeugen. Sie ging bis über die
Grenze der Illusion hinaus. Denn Schnitzlers
Gedankenstriche übersetzte der Regisseur Hubert
Rensch in einen grünen Florvorhang der bei sanf¬
ter Musik für wenige Sekunden über den Paa¬
ren zusammenschlug. Ein Augenblick
gelebt im
Paradiese, so konnten sie, mit der Uhr in der
Hand, konstatieren, wenn sie, aufs ehrbarste an¬
gezogen, wieder zum Vorschein kamen. Mit dem
olizeiblick läßt sich also nichts an der Direktion
Sladek aussetzen.
Der Kunst aber und dem Dichter geschah
nit dieser Aufführung kein Gefallen. Das Leben
ein Spiel, so heißt Schnitzlers Devise, und ein
Spiel ist ihm auch das Erotische. Wir aber ha¬
ben inzwischen in Wedekinds und Strindbergs
Werk das Stöhnen aus den Tiefen vernommen und
o will Witz und Glanz des Worts verbleichen.
Zudem bestätigte es sich auf der Bühne, daß
diese Dialoge nicht etwa für das Theater ge¬
dacht sind. Was beim Lesen der Reigen=Novelle
auf der Zunge vergeht, versagt auf der Szene
und das saftige Wort zur saftigen Situation
werden jene Kunstfreunde schmerzlich vermissen,
die Arthur Schnitzler von nun an als einen
konfiszzerten Antor hochschätzen.
Vor allem gaber sind die Dialoge nicht für
ein Theater gedacht, das solche Darstellerinnen
zu Tänzerinnen im Reigen bestellt! Wenn sie, im
rosaroten Morgenkleid, die Arme ausstreckten, so
war das Niveau dieser Vorstellung klar: Folies
Sladek! Für ihre Partner hatten sich würdigere
Kräfte gefunden, darunter die drei dichtenden Schiu¬
pieler Kurt Götz, Karl Etlinger aus Wien und
Robert Forster=Larrinaga. Doch selbst Göß als
unger Herr und Forster Larrinaga als ein fa¬
noser Aristokrat konnten den Widerstand ihrer
Damen nicht überwinden. Solaege in so frag¬
würdiger Schauspielkunst das Glitzernde stumpf
und das Graziöse platt wird, so lange sollte der
„Reigen“ nicht gewagt werden. Nicht wegen eines
Haftbefehls. Aber um der Kunst und um Schnitz¬
lers willen, für die ein Theater nun einmal
wirksamer eintreten muß in Ansprachen vor und #
nach der Aufführung.
Prager Modebrief.
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Monty Jacobs.
„Neigen“ mit Hindernisse
(Kleines Schauspielerhaus, Börlin.)
Der Vorhang teilt sick. Gertrud Eysoldt,
die Direktorin, tritt in schöner menschlicher Er¬
regung zu einer Ansprache heraus.
Ihr Hauswirt, mit Vor= und Zunamen:
Hochschule für Musik, wende auf Arthur Schnitz¬
lers „Reigen“ den Paragraphen des Mietvertra¬
ges an, der unzüchtige Stücke verbiete. So sei
drei Stunden vor der Aufführung eine Verfü¬
gung gekommen: Verbot bei Androhung von sechs
Wochen Haft für die Direktion Sladek=Eysoldt.
Wir spielen doch. Wir stehen für die Kunst uind
für Arthur Schnitzler.
Hm. Es bedarf keiner Beteuerung. Ich bin
gegen verkavpte Zensur, gegen Theaterstörung
im letzten Moment, gegen das Einsperren von
Künstlerinnen. Aber Frau Eysoldt sagt es ja
elbst, daß dieser Fall nicht entschieden werden
kann, bevor der Vorhang hochgezogen sei.
Schnitzlers Dialoge freilich bedürfen der Auf¬
führung nicht, um vopulär zu werden. Wer sie,
als Erwachsener, lesen darf, kennt sie längst und
wer sie nicht lesen barf, kennt sie erst recht.
Ihre Paare, mit wechselnden Partnern, werfen
ich den Ball zu. Wenn er von der Straßendirne
Laokadia zur Straßendirne Leokadia zurückge¬
ehrt ist, so haben sich Welt, Halbwelt, Klein¬
bürgertum, so haben sich Naivität, Blasiertheit,
Pose, Eitelkeit, bewußte und unbewußte Gefühls¬
üge im Reigen gedreht. Immer nur ein Paar.
Stets vor, in und nach jener Situation, die
sich selbst im zensurlosen Freistaat nicht auf
der Bühne zeigt. Gedankenstriche, so drückt je¬
der Dialog seine Pointe aus.
Sollten diese Dialoge, an Glanz und Witz
oöne Plumpheit ein begeidetes Besitztum der
deutschen Literatür, auf die Bühne kommen? Ich
halte mich an den einzig maßgebenden Jensor,
nämlich an Arthur Schnitzler selbst. Fünfundzwan¬
zig Jahre lang hat er mit scharfen Verwahrungen
jede Aufführung seines „Reigen“ verboten,
Wenn ## telbst jetzt seinen Spruch umstößt,
so hat er der Bühne eine schwere Verantwortung
aufgeladen. Denn den Glanz und den Witz sei¬
nes Dialogs zu treifen, und die Schlingen der
Plumpbest zu vermeiden, das ist die delikateste
SL Riee sespliede Peschen
Aufgabe für ein intimes Theater. Nur eine Bühne,
die sich dazu berufen fühlt, darf das Wagnis un¬
Das Kleine Schauspielhaus ist diese Bühne
nicht Niemand wird, so höre ich einen weih¬
nachtlichen Engel flöten, niemand wird so grau¬
am sein, mit der Haftstrafe Ernst zu machen.
So brauchen wir alle also nicht die Dezenz der
Aufführung zu bezeugen. Sie ging bis über die
Grenze der Illusion hinaus. Denn Schnitzlers
Gedankenstriche übersetzte der Regisseur Hubert
Rensch in einen grünen Florvorhang der bei sanf¬
ter Musik für wenige Sekunden über den Paa¬
ren zusammenschlug. Ein Augenblick
gelebt im
Paradiese, so konnten sie, mit der Uhr in der
Hand, konstatieren, wenn sie, aufs ehrbarste an¬
gezogen, wieder zum Vorschein kamen. Mit dem
olizeiblick läßt sich also nichts an der Direktion
Sladek aussetzen.
Der Kunst aber und dem Dichter geschah
nit dieser Aufführung kein Gefallen. Das Leben
ein Spiel, so heißt Schnitzlers Devise, und ein
Spiel ist ihm auch das Erotische. Wir aber ha¬
ben inzwischen in Wedekinds und Strindbergs
Werk das Stöhnen aus den Tiefen vernommen und
o will Witz und Glanz des Worts verbleichen.
Zudem bestätigte es sich auf der Bühne, daß
diese Dialoge nicht etwa für das Theater ge¬
dacht sind. Was beim Lesen der Reigen=Novelle
auf der Zunge vergeht, versagt auf der Szene
und das saftige Wort zur saftigen Situation
werden jene Kunstfreunde schmerzlich vermissen,
die Arthur Schnitzler von nun an als einen
konfiszzerten Antor hochschätzen.
Vor allem gaber sind die Dialoge nicht für
ein Theater gedacht, das solche Darstellerinnen
zu Tänzerinnen im Reigen bestellt! Wenn sie, im
rosaroten Morgenkleid, die Arme ausstreckten, so
war das Niveau dieser Vorstellung klar: Folies
Sladek! Für ihre Partner hatten sich würdigere
Kräfte gefunden, darunter die drei dichtenden Schiu¬
pieler Kurt Götz, Karl Etlinger aus Wien und
Robert Forster=Larrinaga. Doch selbst Göß als
unger Herr und Forster Larrinaga als ein fa¬
noser Aristokrat konnten den Widerstand ihrer
Damen nicht überwinden. Solaege in so frag¬
würdiger Schauspielkunst das Glitzernde stumpf
und das Graziöse platt wird, so lange sollte der
„Reigen“ nicht gewagt werden. Nicht wegen eines
Haftbefehls. Aber um der Kunst und um Schnitz¬
lers willen, für die ein Theater nun einmal
wirksamer eintreten muß in Ansprachen vor und #
nach der Aufführung.
Prager Modebrief.