II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 774


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11. Reigen
woch
Wiener Allgemeine Zeitung
19. Jänner
haben, denn die ehemalige Secession am
hauses. Gestern ist es bewiesen worden
Kurfürstendamm wird umgebaut für
durch das Kultusministerium selbst. Sein Ver¬
Bühnenzwecke und soll den elegantesten Theater¬
reter war bereit, die weiteren Aufführungen
raum Berlins bekommen. Dr. Robert wird künftig
des „Reigen“ zu gestatten, wenn die Direktion
drei Theater leiten.
des Kleinen Schauspielhauses in die
Auch Dr. Emil Geyer, der Direktor der
Lösung des Mietvertrages schon am
Ncuen Wiener Bühne, hält sich gegen¬
31. Mai 1921 statt 1922 willigte. Die Maske
wärtig in Berlin auf und wird, wie wir erfahren,
war gefallen!
dort eine Bühne übernehmen, für die er vor¬
wiegend literarische Pläne hat. Wie Dr. Robert
Gleich darauf fiel noch eine zweite. Man
will auch Dr. Geyer einen Personalaus¬
hatte angenommen (und es war versichert wor¬
tausch zwischen Wien und Berlin pflegen und
den, daß Herr Konrad Haenisch, der Kultus¬
Engagements für Berlin und Wien ab¬
minister, diesem Kesseltreiben seiner Geheimräte
schließen.
gegen das Kleine Schauspielhaus ferne stehe).
Gestern ist man eines anderen belehrt worden.
Der Vertreter des Kultusministeriums stellte
„Der Reigen um den
ausdrücklich fest, daß Herr Haenisch die Aktion
Mietvertrag.
seines Ministeriums billige und decke. Man hat
Hinter den Kulissen des „Reigen"=Verbotes.
sich also jetzt an den Minister zu halten und
Einem Aufsatz von Max Reiner in der
nicht an seine Räte. In welche Gesellschaft ist
„B. Z. am Mittag“ entnehmen wir:
er da geraten! Als die Vergleichsversuche ge¬
Es ist doch ganz gut, daß Gertrud Eysoldt
scheitert waren, das Gericht in die eigentliche
und Maximilian Sladek am Abend des 23. De¬
Verhandlung eingetreten war, trat der Anwalt
zember den Mut gehabt haben, der einstweiligen
der Frau Eysoldt den Beweis dafür an, daß die
Verfügung des Landgerichtes III zu trotzen, die
Aufführung des „Reigen“ das sittliche Emp¬
angedrohte Haftstrafe von sechs Wochen auf sich
inden nicht verletzt habe. Er verwies auf die
zu nehmen, und den „Reigen“ doch aufzuführen.
Kritiken in der liberalen, der sozialistischen,
Hätten sie an jenem Abend die Vorstellung ab¬
der Zentrumspresse. Auf wen stützte sich der
gesagt und bis zur Gntscheidung über ihren
Anwalt des Herrn Haenisch? Auf die „Post“,
Einspruch verschoben, dann hätte die gestrige
auf die „Deutsche Tageszeitung" und die
Verhandlung vor dem Landgerichte III mit ihrer
„Kreuz=Zeitung“, die Blätter der extremen
Niederlage geendet. So aber war zwischen dem
Rechten, der reaktionären Richtung. Mit
Tage, da die einstweilige Verfügung erlassen
welchem Sachverständigen paradierte der An¬
worden war, und dem Tage, da über den Ein¬
palt des Herrn Haenisch? Mit dem alldeutschen
pruch der Direktion des Kleinen Schauspiel¬
Professor Röthe. Der sozialistische Kultus¬
hauses verhandelt wurde, eine wichtige Tatsache
minister Haenisch Arm in Arm mit dem all¬
geschaffen: die Aufführung.
deutschen Professor Röthe vor den Schranken
*
des Gerichts gegen Schnitzler und Frau Eysoldt
Aber handelte es sich gestern denn wirklich
das war allerdings eine überraschende
um Schnitzler, den „Reigen“, um Sittlichkeit
Bundesgenossenschaft!
und Moral? Das war ein Mißverständnis! In
der klaren Luft des Gerichtssaales sind die
Auch Frau Tilla Durieux ist gestern als
Hintergründe, die Motive deutlicher geworden.
Eideshelferin für Herrn Haenisch aufgetreten.
Man sprach vom „Reigen“ von Schnitzler, von
Sie hat ein Gutachten erstattet, in dem sie aus¬
Sittlichkeit, aber in Wirklichkeit meinte man den
sprach, daß die Aufführung von Schnitzlers
Mietsvertrag zwischen der Hochschule für Musik
„Reigen“ die schlimmsten Instinkte des Publi¬
und der Direktion des Kleinen Schauspiel¬
kums in einer vom künstlerischen Standpunkte
1921
Nr. 12810
nicht zu verantwortenden Weise fördere. Darauf
der Anwalt des Kleinen Schauspielhauses:
„Frau Durieux ist befreundet mit Herrn
Kestenberg, dem allmächtigen Manm im
Kultusministerium. Die geschäftlichen Bezie¬
hungen des Herrn Kestenberg zu dem Verlage
Paul Cassierers, des Gatten der Frau
Durieux, sind bekannt. Man merkt die Fäden,
die sich zwischen Kultusministerium und diesem
Gutachten spinnen. Es ist übrigens merkwürdig,
daß Frau Durieux sich so äußert, die sich von
er Direktibn Rotter hat kaufen lassen, um
im Residenztheater vor Schiebern und Kriegs¬
gewinnlern monatelang in Sudermanns
„Freundin“ eine Homosexuelle“ zu spielen
Das ist vermutlich sittlicher!“
Will man es im Kultusministerium wirklich
auf ein gerichtliches Urteil ankommen lassen,
nachdem man gestern den rchtigen Moment ver¬
äumt hat, durch eine schöne Geste sich mit An¬
tand aus der Affäre zu ziehen und zu erklären.
daß man auf die Aufrechterhaltung des Ver¬
botes verzichte, weil die Aufführung ein nicht
rwartetes künstlerisches Niveau habe? Selbst
venn das Kultusministerium den Prozeß juri¬
stisch gewinnt — moralisch hat es ihn verloren.