und der „Reigen“ gespielt wurde. Die einstweilige Verfügung
wurde dem Landgericht, das sie erlassen hatte, zerbrochen
vor die Füße geworfen. Die Autorität des Rechts wurde zu
einem Popanz, zu einer Vogelscheuche, durch die Kinder und
Spatzen sich schrecken lassen, niemals aber Schieber und
Schieberdirektionen. Zwar ließ man zum Trost der deutschen
Menschheit verkünden, daß man nunmehr auf Lösung des
Vertragsverhältnisses klagen werde, das aber war, mit Ver¬
laub, eine klägliche Deckung des Rückzugs. Nachdem man die
Aufführung, die zu verhindern man die Macht hatte, indem
man ihre frechen Urheber nach allem künstlerischen und
juristischen Recht hinter Schloß und Riegel brachte, in trau¬
riger Schwäche zuließ, war nicht mehr einzusehen, wie man
die Vertragslösung noch wirkungsvoll begründen wollte
Wenn ein Mensch in einem privaten Rechtshandel einen Geg¬
ner vor sich hat, der mit eiskalter Skrupellosigkeit arbeitet
und den Riesenapparat der Berliner Presse zu seinen Gunsten
spielen lassen kann, muß er selbstverständlich stählerne Ener¬
gie zeigen, wenn er gewinnen will, um so mehr als es sich
um die Beurteilung einer künstlerischen Frage handelte, in
der die juristischen Richter unsicher sein konnten. Die Be¬
hörde zeigte in diesem Fall keine Energie, sie erschien viel¬
mehr in völlig gebrochenem Zustand am Verhandlungstisch
und so verlor sie. Der ästhetische Kult des Geschlechtsakts hat
in diesem Fall nicht nur über die stille Majestät des Naza¬
reners gesiegt, er hat auch die des Rechts mit einem hohn¬
lachenden Fußtritt beiseite gestoßen, um sie schließlich unter
seinen Willen zu beugen, und bei diesem Sachverhalt müssen
wir uns, soweit das Kultusministerium in Frage kommt,
nunmehr beruhigen.
Soweit das Kultusministerium in Frage
kommt: denn im übrigen gedenken wir uns keineswegs in
die Dreistigkeit der offenbar toll gewordenen Unzuchtpresse zu
schicken. So lange die Theaterzensur bestand, unterlag das
Theater der staatlichen Aufsicht, und die Aufführung eines be¬
stimmten Stücks konnte auf dem Verwaltungswege verhindert
werden. Das ist heute nicht mehr möglich, im übrigen aber
ist mit der Aufhebung der Zensur die gesetzliche Verantwor¬
tung der Direktoren natürlich nicht beseitigt. Der Direktor
kann spielen, was er will, aber er muß für seine Handlung,
wie wir alle, die strafrechtlichen Folgen tragen. Auch eine
Zeitungszensur haben wir ja nicht, auch wir können schreiben,
was wir wollen, sofern wir aber gegen das Gesetz verstoßen,
schreitet der Staatsanwalt ein. Da nun die Garantien der
öffentlichen Sittlichkeit, die in der Theaterzenfur lagen, fort¬
gefallen sind, muß der Staatsanwalt um so wacher
sein. Er hat nicht nur die Pflicht, er hat zehnmal,
hundertmal die Pflicht, rücksichtslos einzuschreiten, wenn
das innigste Fest der deutschen Seele mit der Schamlosigkeit
von Dirnen begangen wird. Es ist für ihn nicht maßgebend,
daß der „Reigen“, der schon in Buch form von einem deut¬
schen Gericht als unzüchtig bezeichnet wurde, von einem
anderen Gericht jetzt in der vergröberten theatralischen Auf¬
führung als zulässig bezeichnet wird. Das zuletzt genannte
Gericht hatte lediglich zu untersuchen, ob der „Reigen“ gegen
einen privaten Vertrag verstieß, nicht aber, wie er sich etwa
zu den bestehenden Gesetzen verhalte, und die literarischen
Sachverständigen wurden in höchst einseitiger Auswahl ver¬
nommen. Sollte der Staatsanwalt aber literarische Belege
für die sittlichen Qualitäten der Dialoge haben wollen,
braucht er sich nur in der Presse umzusehen, die mit den
Veranstaltern des sexuellen Unternehmens nicht unbedingt
versippt ist. Der „Vorwarts“ hat leider die achtbare Unab¬
hängigkeit in kulturellen Dingen verloren, die er früher hatte,
aber immerhin: ganz wohl ist ihm nicht in seiner Haut, wenn
er im Namen der Freiheit den häßlichen Sumpf sich breiten
siehi.
„Derartige Dialoge spielt man nicht“, warnte er vor der
Aufführung.
„Es bleibt trotzdem die Frage, ob das Kleine Schauspiel¬
haus im Wettlauf um erotische Sensationen zu diesem „Rei¬
gen
greifen mußte, sagt er, nachdem die einstweilige Ver¬
fügung zerbrochen worden war.
„Männlein und Weiblein scheinen in diesem Stück nur den
geschlechtlichen Zweck zu kennen, der überall erreicht wird,
urteilt
sein Rezensent.
„Das Unternehmen ist eine sexuelle Geschäftsspekulation
ohn
mildernde Umstände, meint Kurt Axam bei uns.
„Ein Stimulans für Lebegreise, ein Gift für jeden noch
nicht gänzlich Demoralisierten“, liest man in der „Deutschen
Tageszeitung
7
„Ein satanisches Weihnachtsgeschenk für das deutsche
Theaterpublikum“, summiert die „Deutsche Zeitung“.
Der Staatsanwalt hat kinderleichtes Spiel, wenn er
den unzüchtigen Charakter der Aufführung nachweisen will,
und wird innerhalb wie außerhalb der Presse die Sach¬
verständigen finden, die sein juristisches Vorgehen ästhetisch
rechtfertigen. Nün haben wir aber in der Weihnachtszeit
des verflossenen Jahres erleben müssen, daß ein nacktes
— 25 —
Frauenzimmer tagelang auftreten konnte, ohne daß
dieser krasse Fall von Exhibitionismus an ihr oder ihren
dramatischen Zuhältern geahndet wurde. Was sonst ein
gemeines Sittlichkeitsverbrechen war und mit Gefängnis
bestraft wurde, hörte auf, eins zu sein, als es im Theater
unter dem Schutz der bürgerlich=bolschewistischen Presse ge¬
schah. Es besteht also leider die Gefahr, daß der Staats¬
anwalt auch in diesem Fall einen ungewöhnlich gesunden
Schlaf zeigen wird, und darum fordern wir unsere Leser
auf, ihn zu wecken. Wenn euch die blanke
Barbarei, die novellistische Dialoge auf
die Bühne schleppt, nur um in den Weih¬
nachtstagen zu einem unzüchtigen „Reigen“
zusgelangen, nicht alarmieren kann, dann
verdient ihr das Fest, das man euch be¬
reitet hat. Kommt uns zu Hilfe, wenn hr nicht ver¬
faulen wollt! Wo ihr auch immer zu finden seid, der Ab¬
geordnete eures Kreises darf vor euch keine Ruhe haben.
Konzentriert euch auf den Schnitzlerschen „Reigen“, weil
der Fall hier am klarsten und aufreizendsten liegt. Ueber¬
geht mit Ausnahme der Unabhängigen, die außerhalb der
nationalen Gemeinsamkeit stehen, keine Partei. Will der
bürgerliche Demokrat die Sache nicht im Parlament zur
Sprache bringen, weil er vor der Börsenpresse kuscht, sollt
ihr ihn wenigstens zwingen, in aller Form die politische
Verantwortung für den literarischen Kult des Geschlechts¬
akts am Geburtstag des Erlösers zu übernehmen. Er soll
ja oder nein sagen, und wenn er nein sagt, sollt ihr aus
seinem Nein eine politische Waffe schmieden, die ihn in der
Agitation tödlich trifft. Die Wähler haben überall bei den
letzten Wahlen die bürgerliche Demokratie wegen ihrer
würdelosen Kumpanei mit dem internationalen Mammo¬
nismus katastrophal geschlagen, die Situation ist so gut wie
nie: nützt sie, wenn ihr vor euren gefallenen Söhnen be¬
stehen wollt. Handelt es sich um einen Sozialdemokraten,
ragt ihn, ob er unter Freiheit etwa versteht, daß die hä߬
lichsten Korruptionserscheinungen eines verfaulten Kapi¬
talismus der Gesetze spotten dürfen, oder ob er im Gedanken
an Franz Mehring und den alten Bebel nicht mit uns
errötet. Steht der Abgeordnete weiter nach rechts, ver¬
langt von ihm, daß er die Sache innerhalb der Fraktion
zur Sprache bringe und droht der Partei mit dem Verlust
eurer Stimmen, wenn sie nicht mit eiferner Energie vor¬
geht. Verlangt von den weiblichen Abgeordneten aller
Parteien, daß sie sich im Parlament zu einer gemeinsamen
interparteilichen Erklärung zusammentun, Wendet euch an
ihre mütterlichen Instinkte, die nicht dulden können, daß
die Gesundheit der Rasse im Schlamm versinkt. Arbeitet.
als gälte es euer Leben, denn es gilt euer Leben und das des
ganzen Volks.
wurde dem Landgericht, das sie erlassen hatte, zerbrochen
vor die Füße geworfen. Die Autorität des Rechts wurde zu
einem Popanz, zu einer Vogelscheuche, durch die Kinder und
Spatzen sich schrecken lassen, niemals aber Schieber und
Schieberdirektionen. Zwar ließ man zum Trost der deutschen
Menschheit verkünden, daß man nunmehr auf Lösung des
Vertragsverhältnisses klagen werde, das aber war, mit Ver¬
laub, eine klägliche Deckung des Rückzugs. Nachdem man die
Aufführung, die zu verhindern man die Macht hatte, indem
man ihre frechen Urheber nach allem künstlerischen und
juristischen Recht hinter Schloß und Riegel brachte, in trau¬
riger Schwäche zuließ, war nicht mehr einzusehen, wie man
die Vertragslösung noch wirkungsvoll begründen wollte
Wenn ein Mensch in einem privaten Rechtshandel einen Geg¬
ner vor sich hat, der mit eiskalter Skrupellosigkeit arbeitet
und den Riesenapparat der Berliner Presse zu seinen Gunsten
spielen lassen kann, muß er selbstverständlich stählerne Ener¬
gie zeigen, wenn er gewinnen will, um so mehr als es sich
um die Beurteilung einer künstlerischen Frage handelte, in
der die juristischen Richter unsicher sein konnten. Die Be¬
hörde zeigte in diesem Fall keine Energie, sie erschien viel¬
mehr in völlig gebrochenem Zustand am Verhandlungstisch
und so verlor sie. Der ästhetische Kult des Geschlechtsakts hat
in diesem Fall nicht nur über die stille Majestät des Naza¬
reners gesiegt, er hat auch die des Rechts mit einem hohn¬
lachenden Fußtritt beiseite gestoßen, um sie schließlich unter
seinen Willen zu beugen, und bei diesem Sachverhalt müssen
wir uns, soweit das Kultusministerium in Frage kommt,
nunmehr beruhigen.
Soweit das Kultusministerium in Frage
kommt: denn im übrigen gedenken wir uns keineswegs in
die Dreistigkeit der offenbar toll gewordenen Unzuchtpresse zu
schicken. So lange die Theaterzensur bestand, unterlag das
Theater der staatlichen Aufsicht, und die Aufführung eines be¬
stimmten Stücks konnte auf dem Verwaltungswege verhindert
werden. Das ist heute nicht mehr möglich, im übrigen aber
ist mit der Aufhebung der Zensur die gesetzliche Verantwor¬
tung der Direktoren natürlich nicht beseitigt. Der Direktor
kann spielen, was er will, aber er muß für seine Handlung,
wie wir alle, die strafrechtlichen Folgen tragen. Auch eine
Zeitungszensur haben wir ja nicht, auch wir können schreiben,
was wir wollen, sofern wir aber gegen das Gesetz verstoßen,
schreitet der Staatsanwalt ein. Da nun die Garantien der
öffentlichen Sittlichkeit, die in der Theaterzenfur lagen, fort¬
gefallen sind, muß der Staatsanwalt um so wacher
sein. Er hat nicht nur die Pflicht, er hat zehnmal,
hundertmal die Pflicht, rücksichtslos einzuschreiten, wenn
das innigste Fest der deutschen Seele mit der Schamlosigkeit
von Dirnen begangen wird. Es ist für ihn nicht maßgebend,
daß der „Reigen“, der schon in Buch form von einem deut¬
schen Gericht als unzüchtig bezeichnet wurde, von einem
anderen Gericht jetzt in der vergröberten theatralischen Auf¬
führung als zulässig bezeichnet wird. Das zuletzt genannte
Gericht hatte lediglich zu untersuchen, ob der „Reigen“ gegen
einen privaten Vertrag verstieß, nicht aber, wie er sich etwa
zu den bestehenden Gesetzen verhalte, und die literarischen
Sachverständigen wurden in höchst einseitiger Auswahl ver¬
nommen. Sollte der Staatsanwalt aber literarische Belege
für die sittlichen Qualitäten der Dialoge haben wollen,
braucht er sich nur in der Presse umzusehen, die mit den
Veranstaltern des sexuellen Unternehmens nicht unbedingt
versippt ist. Der „Vorwarts“ hat leider die achtbare Unab¬
hängigkeit in kulturellen Dingen verloren, die er früher hatte,
aber immerhin: ganz wohl ist ihm nicht in seiner Haut, wenn
er im Namen der Freiheit den häßlichen Sumpf sich breiten
siehi.
„Derartige Dialoge spielt man nicht“, warnte er vor der
Aufführung.
„Es bleibt trotzdem die Frage, ob das Kleine Schauspiel¬
haus im Wettlauf um erotische Sensationen zu diesem „Rei¬
gen
greifen mußte, sagt er, nachdem die einstweilige Ver¬
fügung zerbrochen worden war.
„Männlein und Weiblein scheinen in diesem Stück nur den
geschlechtlichen Zweck zu kennen, der überall erreicht wird,
urteilt
sein Rezensent.
„Das Unternehmen ist eine sexuelle Geschäftsspekulation
ohn
mildernde Umstände, meint Kurt Axam bei uns.
„Ein Stimulans für Lebegreise, ein Gift für jeden noch
nicht gänzlich Demoralisierten“, liest man in der „Deutschen
Tageszeitung
7
„Ein satanisches Weihnachtsgeschenk für das deutsche
Theaterpublikum“, summiert die „Deutsche Zeitung“.
Der Staatsanwalt hat kinderleichtes Spiel, wenn er
den unzüchtigen Charakter der Aufführung nachweisen will,
und wird innerhalb wie außerhalb der Presse die Sach¬
verständigen finden, die sein juristisches Vorgehen ästhetisch
rechtfertigen. Nün haben wir aber in der Weihnachtszeit
des verflossenen Jahres erleben müssen, daß ein nacktes
— 25 —
Frauenzimmer tagelang auftreten konnte, ohne daß
dieser krasse Fall von Exhibitionismus an ihr oder ihren
dramatischen Zuhältern geahndet wurde. Was sonst ein
gemeines Sittlichkeitsverbrechen war und mit Gefängnis
bestraft wurde, hörte auf, eins zu sein, als es im Theater
unter dem Schutz der bürgerlich=bolschewistischen Presse ge¬
schah. Es besteht also leider die Gefahr, daß der Staats¬
anwalt auch in diesem Fall einen ungewöhnlich gesunden
Schlaf zeigen wird, und darum fordern wir unsere Leser
auf, ihn zu wecken. Wenn euch die blanke
Barbarei, die novellistische Dialoge auf
die Bühne schleppt, nur um in den Weih¬
nachtstagen zu einem unzüchtigen „Reigen“
zusgelangen, nicht alarmieren kann, dann
verdient ihr das Fest, das man euch be¬
reitet hat. Kommt uns zu Hilfe, wenn hr nicht ver¬
faulen wollt! Wo ihr auch immer zu finden seid, der Ab¬
geordnete eures Kreises darf vor euch keine Ruhe haben.
Konzentriert euch auf den Schnitzlerschen „Reigen“, weil
der Fall hier am klarsten und aufreizendsten liegt. Ueber¬
geht mit Ausnahme der Unabhängigen, die außerhalb der
nationalen Gemeinsamkeit stehen, keine Partei. Will der
bürgerliche Demokrat die Sache nicht im Parlament zur
Sprache bringen, weil er vor der Börsenpresse kuscht, sollt
ihr ihn wenigstens zwingen, in aller Form die politische
Verantwortung für den literarischen Kult des Geschlechts¬
akts am Geburtstag des Erlösers zu übernehmen. Er soll
ja oder nein sagen, und wenn er nein sagt, sollt ihr aus
seinem Nein eine politische Waffe schmieden, die ihn in der
Agitation tödlich trifft. Die Wähler haben überall bei den
letzten Wahlen die bürgerliche Demokratie wegen ihrer
würdelosen Kumpanei mit dem internationalen Mammo¬
nismus katastrophal geschlagen, die Situation ist so gut wie
nie: nützt sie, wenn ihr vor euren gefallenen Söhnen be¬
stehen wollt. Handelt es sich um einen Sozialdemokraten,
ragt ihn, ob er unter Freiheit etwa versteht, daß die hä߬
lichsten Korruptionserscheinungen eines verfaulten Kapi¬
talismus der Gesetze spotten dürfen, oder ob er im Gedanken
an Franz Mehring und den alten Bebel nicht mit uns
errötet. Steht der Abgeordnete weiter nach rechts, ver¬
langt von ihm, daß er die Sache innerhalb der Fraktion
zur Sprache bringe und droht der Partei mit dem Verlust
eurer Stimmen, wenn sie nicht mit eiferner Energie vor¬
geht. Verlangt von den weiblichen Abgeordneten aller
Parteien, daß sie sich im Parlament zu einer gemeinsamen
interparteilichen Erklärung zusammentun, Wendet euch an
ihre mütterlichen Instinkte, die nicht dulden können, daß
die Gesundheit der Rasse im Schlamm versinkt. Arbeitet.
als gälte es euer Leben, denn es gilt euer Leben und das des
ganzen Volks.