11. Reigen
box 18/1
chäsbühne, Berinz (1 UANuAk 1921
4
Kammer- und Schlafkammerspiele
Kan blickt auf Hofmannsthal wie bei ihm der gealtert. Casanova
IVI manchmal auf seine Jugend. Holden Nachklang fühlt mein Herz.
Das ist nun zweiundzwanzig, und das ist halb so viel Jahre her. Bei
Brahm, um die Jahrhundertwende, sollte der Oesterreicher, zwischen
einem gewichtigen Schlesier und einem noch gewichtigern Norweger,
keineswegs mehr sein als ein Farbfleck. Davon konnte man nicht
wenig genug kriegen. Dem „Abenteurer und der Sängerin“ wurde ein¬
ach der zweite Akt weggehackt und ihm damit verwehrt, von Grund
erwachen und entdecken oder nicht einmal entdecken, daß wir zu
schnell, zu ausgiebig und zu leicht gelebt haben. Das wäre, dachte
wahrscheinlich unser strenger naturalistisch-rationalistischer Kunst¬
erzieher, mit der skandinavischen Feststellung, daß wir niemals gelebt
haben, schlecht zu vereinen gewesen. Eine Askese, die sich rächen
mußte. Der Vollstrecker der Rache hieß: Max Peinhardt. Farbe und
Lebenslust: jetzt konnte man deren nicht genug kriegen. Was in dem
Dichter vom Wien des Canaletto und in dem Regisseur vom Burg¬
seitiger Ergänzung, zusammmen und füllte die Bühne. Aber es über¬
füllte sie auch, es klebte gradezu auf ihr fest. „Cristinas Heimreise
hatte 1010 leider gar kein Glück, weil diese bezaubernde Schwerlosig¬
keit behandelt wurde wie der „Parsifal’ in Bayreuth. Man konnte
anmutiger Beschwingtheit doch genug kriegen: sie brauchte nur d.
Zentnergewichte um ihre Natur und ihre Funktion gebracht zu werden.
Nach dem Stahlbad des Krieges, das die deutsche Theatertext¬
produktion jedenfalls nicht genommen liat, zwingt ihre Hinlälligkeit
die paar unverrotierten, nicht oder noch nicht auf Serienschlager er¬
pichten Direktionen, sich von der fernen und minder fernen Vergangen¬
heit der Weltdramatik zu nähren. Da machen die Kammerspiele, ein¬
gedenk, daß der Opernlibrettist Hofmannsthal von Hause aus Musik
in sich selbst gehabt hat, einen ganz interessanten Versuch: dem
„Abenteurer und der Sängerin“ kleben sie den weggehackten Akt wieder
an, und von „Cristinas Heimreise“ in vier Akten graben sie einen Firt¬
wurf in zwei (Szenen aus. Hier Florindo, dort Baron Weidenstathm
sind Pseudohyme für den jungen und den ergrauten Casanova, und es
ist tatsächlich glaubhaft und künstlerisch ausgewogen, daß jener
bertiger seine Liebschaften anzettelt, als dieser für eine von ihnen
widerwillig Rechenschaft ablegt. Auf beiden Daseinsstafen ist ihm
alles Menschliche fremd Ihm; nicht Hofmannnsthal. Der weiß, daß
Schmerz bereiten kann, wer selber leer ist bis zur Unempfindlichkeit.
Soweit in Komödien, die wertvoll werden nicht durch ihr solides
Rückenmark, sondern durch ihren schwebenden Gang und ihren reizend
gemalten Teint, mein Anteil aufgerufen wird und reicht, gilt ei den
Frauen dieses primitiven Von Juan, den in der Jugend eine unentrinn¬
bare Elvira nicht Zerlinen „önnen will, und der auf seine alten Tage
72
box 18/1
chäsbühne, Berinz (1 UANuAk 1921
4
Kammer- und Schlafkammerspiele
Kan blickt auf Hofmannsthal wie bei ihm der gealtert. Casanova
IVI manchmal auf seine Jugend. Holden Nachklang fühlt mein Herz.
Das ist nun zweiundzwanzig, und das ist halb so viel Jahre her. Bei
Brahm, um die Jahrhundertwende, sollte der Oesterreicher, zwischen
einem gewichtigen Schlesier und einem noch gewichtigern Norweger,
keineswegs mehr sein als ein Farbfleck. Davon konnte man nicht
wenig genug kriegen. Dem „Abenteurer und der Sängerin“ wurde ein¬
ach der zweite Akt weggehackt und ihm damit verwehrt, von Grund
erwachen und entdecken oder nicht einmal entdecken, daß wir zu
schnell, zu ausgiebig und zu leicht gelebt haben. Das wäre, dachte
wahrscheinlich unser strenger naturalistisch-rationalistischer Kunst¬
erzieher, mit der skandinavischen Feststellung, daß wir niemals gelebt
haben, schlecht zu vereinen gewesen. Eine Askese, die sich rächen
mußte. Der Vollstrecker der Rache hieß: Max Peinhardt. Farbe und
Lebenslust: jetzt konnte man deren nicht genug kriegen. Was in dem
Dichter vom Wien des Canaletto und in dem Regisseur vom Burg¬
seitiger Ergänzung, zusammmen und füllte die Bühne. Aber es über¬
füllte sie auch, es klebte gradezu auf ihr fest. „Cristinas Heimreise
hatte 1010 leider gar kein Glück, weil diese bezaubernde Schwerlosig¬
keit behandelt wurde wie der „Parsifal’ in Bayreuth. Man konnte
anmutiger Beschwingtheit doch genug kriegen: sie brauchte nur d.
Zentnergewichte um ihre Natur und ihre Funktion gebracht zu werden.
Nach dem Stahlbad des Krieges, das die deutsche Theatertext¬
produktion jedenfalls nicht genommen liat, zwingt ihre Hinlälligkeit
die paar unverrotierten, nicht oder noch nicht auf Serienschlager er¬
pichten Direktionen, sich von der fernen und minder fernen Vergangen¬
heit der Weltdramatik zu nähren. Da machen die Kammerspiele, ein¬
gedenk, daß der Opernlibrettist Hofmannsthal von Hause aus Musik
in sich selbst gehabt hat, einen ganz interessanten Versuch: dem
„Abenteurer und der Sängerin“ kleben sie den weggehackten Akt wieder
an, und von „Cristinas Heimreise“ in vier Akten graben sie einen Firt¬
wurf in zwei (Szenen aus. Hier Florindo, dort Baron Weidenstathm
sind Pseudohyme für den jungen und den ergrauten Casanova, und es
ist tatsächlich glaubhaft und künstlerisch ausgewogen, daß jener
bertiger seine Liebschaften anzettelt, als dieser für eine von ihnen
widerwillig Rechenschaft ablegt. Auf beiden Daseinsstafen ist ihm
alles Menschliche fremd Ihm; nicht Hofmannnsthal. Der weiß, daß
Schmerz bereiten kann, wer selber leer ist bis zur Unempfindlichkeit.
Soweit in Komödien, die wertvoll werden nicht durch ihr solides
Rückenmark, sondern durch ihren schwebenden Gang und ihren reizend
gemalten Teint, mein Anteil aufgerufen wird und reicht, gilt ei den
Frauen dieses primitiven Von Juan, den in der Jugend eine unentrinn¬
bare Elvira nicht Zerlinen „önnen will, und der auf seine alten Tage
72