II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 782

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Reigen
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inne wird, daß seine Donna Anna aus der Liebestragik sich in die
Mutterschaft, die Ehe und die Kunst gerettet hat. Der Rest von sehn¬
suchtsvoller Trauer ihrer Seele zergeht bei der Begegnung mit dem
Selbstling, dem Filou, dem Schaumabschöpfer, der sie mit einer andern
Frau verwechselt, zergeht und löst in einen Ton sich auf, in eine Arie,
die sie niemals mehr hat singen wollen. Dieser Akt ist das Loblied des
Künstlers auf seinen — wie Meier-Graefe sagt — Kram, der schwerer
wiegt als alle sogenannten Erlebnisse und noch wirkt und schafft und
beglückt, wenn der zeugende Geist schon kindisch und der Leib wieder
kindlich geworden ist. Das wird nicht ausgrewalzt, sondern in einer
kestbaren Episode sinnfällig, bevor es die schlagende Schlußpointe zu
bilden hat. Ich möchte um keinen Preis die Grabesruhe des verdienst¬
lichen Brahm beeinträchtigen: aber man fragt sich doch, wieviel seinem
ziemlich anspruchsvollen Geschmack von einem Organisinus übrig
blieb, dem ei das Herz herausgebrochen hatte.
Immerhin: die Rolle für Kainz blieb übrig. Was in den Kannner¬
spielen diesmal fehlt, ist: Erlesenheit; überall äußere, allzu oft innere
Erlesenheit. Das erste Stück hat zu wenig Licht und Luft vom Land
(trotzdem ich das neue Fräulein Denera am Anfang fast mit Augusten
Pünkösdy verwechselt hätte), von der Scholle, deren würziger Geruch
dem verwöhnten Florindo erregend in die Nüstern des Städters steigt;
das zweite hat zu wenig vom-Hauch der großen Welt, die seine Heimat
geworden ist und ihn allmählich völlig entseelt hat. Derlei ist nicht
Sache der „Ausstattung“, sondern der Phantasie eines Regisseurs, der
wäre, wie er heißt: Reich. An den jungen Casanova turnt und tollt
sich Moissi ,beweglich genug heran: ins Zentrum dringt er ihm nicht.
Der alte lärmt mir zu einförmig. Hier — ja, muß es hier nicht Augen¬
blicke der Stille, der Einkehr, der Selbstbesinnung, wenn auch frucht¬
loser, wenn auch theatralischer, geben? „Ich will den Campanile um
und um.“: diese schmelzend hingejauchzte Diatribe, ein Dekla¬
mationsstück ohnegleichen, wird von dem Italiener Moissi, einem be¬
währten Melodiker, dessen Stimme wie mit Brokat ausgeschlagen ist,
rätselhafterweise mißtönig kleingeschrieen. Nun, vielleicht war er an
meinem Abend ebenfalls indisponiert. Seine Partnerin Lina Lossen
war nämlich offenbar stockheiser. Aber die Reinheit ihres Wesens be¬
darf, um sich auszudrücken, kaum der Reinheit eines Organs, das im
gesundesten Zustand nicht genügend tragfähig ist. Ihre Mittel sind:
die ergreifende Schüchternheit und Unweliläufigkeit der kurzen
Schritte; das Abwehrspiel der Hände, die imer Distanz zu erbitten
scheinen; der Schmerzenszug um den Mund; das Auge, dieses Auge.
Zu sprechen braucht sie eigentlich nicht. Peinlich sogar, sie nach
Hofmannsthals Kommando ruhmrednerisch von ihrer Kehle sprechen
zu hören. Die Seele ist es, die da singt. Man wünschte diesem
stummen Gesang kein Ende. Nach Barnowskys unerforschlichem Rat¬
schluß aber erklingt er niemals mehr auf seiner, sondern jedes Jahr
höchstens ein Mal auf einer fremden Bühne.
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