II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 785

11.
Reigen
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Die Zukunft
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Empfindunglebens. Theils Jerb, selbst roh, platt und gemein,
theils zart und empfindsam, theils launig, neckisch, keck,
prickelnd, lüstern, ausgelassen und verführerisch in der Aus¬
malung, erfährt der immer sich gleichbleibende Gegenstand
zehn unter einander verschiedenste Abwandlungen. Dieser Ge¬
genstand ist die im Mittelpunkt jedes Zwiegespräches stehende
körperliche Vereinigung. Weiterhin befindet sich im vierten,
fünften, achten, neunten, zehnten Bild der weibliche Theil im
Beti. Im zweiten, dritten, sechsten Bild ist ein mehr oder we¬
niger erhebliches Siräuben des weiblichen Theiles zu überwin¬
den. Imr ersten, achien, neunten Bild dagegen drängt der
weibliche Theil, und zwar im neunten Bilde mit ungemem hef¬
tiger Leidenschaftlichkeit, Im vierten Bilde wird nach der
ersten Vereinigung, das Ausbleiben der Geschlechtslust des
Mannes ausgiebig erörtert. Dem ehelichen Geschlechtsverkehr
des fünften Bildes geht der Ehebruch des vierten Bildes an¬
scheinend nur um wenige Stunden vorauf. Dazu wird im fünf¬
ten Bilde der Ehebruch an sich ausführlich besprochen. Aus
diesen Erwägungen erweckte das Buch den Eindruck, daß
seine Aufführung das sittliche Emplinden erheblich verletzen
und dadurch berechtigten Anstoß erregen müssé.
Zwei von dem Gericht besichtigte Aufführungen erzielten
folgenden Eindruck. Alles, was frech, schlüpfrig oder zotig
wirken könnte, wird vermieden. Selbst die Aeußerungen ge¬
wöhnlichster Geilheit im ersten Bilde wurden so abgetönt, daß
sein kann. Gleiches gilt von der starken sinnlichen Erregung,
der Ausgelassenheit und der Verführungskunst der Schauspie¬
lerin im neunten Bild. Die überaus schwierige Aufgabe, die
Darstellung hier nicht ins Unschickliche oder ins thierisch
haltung und Zügelung alles Gemeinen vorbildlich gelöst. Im
vierten Bild geht die Erörterung des Ausbleibens der Ge¬
schlechtslust mit aller Sachlichkeit und Nüchternheit vor sich.
Die Erörterung des Ehebruches im fünften Bild erscheint noth¬
wendig, um das seelische Erleben, der jungen Frau hinsichtlich
des Ehebruches, ihre Abenteuerlust, ihre Begehrlichkeit, ihre
innere Zwiespältigkeit und Unruhe ins rechte Licht zu rücken.
Die körperliche Vereinigung sollte siets lediglich der na¬
türliche Ausfluß innigster seelischer Gemeinschaft sein. Ein
Verfall dieser Auffassung hat leider in weitesten Schichten
Platz gegriffen. Diesen Kreisen wird durch diese Aufführung
die ganze Jämmerlichkeit des in ihrer Mitte mehr und mehr