II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 827

11.
e
Kigen
box 18/1
wozu. Und dann hob sich — heroisch, allen Verboten und Verfügungen zu
trotz — der Vorhang über der schalkhaft=wehmütigen Satire vom Hörselberg.
Venus vulgivaga eröffnete den „Reigen“ und beschloß ihn. Dazwischen
aber sah man Liebende und Geliebte aller Stufen und Modulationen. Vom
Scherzando bis zum Furioso! Von der Weltdame (der sogenannten „an¬
ständigen Frau“) bis zur Straßendirne! Dienstmädchen und Schauspielerin,
Soldat, Bourgeois, Dichter, Graf — Amouren und Amouresken!
Drismenglanz des Lebens! Immer die gleiche Situation des süßen Seins,
d. h. eigentlich immer nur den Prolog und Epilog eben dieser Situation.
Es
Denn: „Le moment donné“ fällt der Vorhang ja doch züchtig nieder.
läßt sich nicht leugnen, daß der Vorhang erst im letzten, sogar allerletzten
Augenblick herniederrauscht. Aber ebensowenig läßt sich leugnen, daß Geist
und Grazie, die zu diesem — kritischen Augenblick hinleiten, so reizvoll und
beschwingt über die Bühne huschen, daß kein plumper und gröblicher Sinnen¬
eindruck möglich wird.
Wenngleich es dem gesamten Spiel um ein weniges an Tempo und Tem¬
perament gebrach, muß der Darstellung im Ganzen doch viel Anmut und Dis¬
indiskreten Momenten zugestanden werden. Insbesondere die
kretion in —
Jüngerinnen Cytherens, die Damen Poldi Müller, Magda Mohr und
Dergan, wußten durch Charme und Verführungskünste begreiflich zu
machen, daß Versuchungen — gleichviel, ob illegitimer oder legitimer Natur
nicht dazu da sind, bestanden zu werden. Nach Schnitzler ist die Zunft
der Catonen eine unliebenswürdige Menschenspezies und Tugend der
Schatz der — Häßlichen. — Das „süße Mädel“ brachte in den „Reigen“ die
schalkhaft hinreißendste Note; die „Schauspielerin“ ließ etwas von der
naiven Verruchtheit der schlechthin amoralischen Frau, der beflissenen
Dienerin des geschlechtlichen Dämoniums vermissen. Die Kavaliere — die
Herren Schwanneke, Kurt Götz, Forster=Larrinaga — waren am
überzeugendsten in der Melancholie des — Nachher.
Als letztes Ergebnis dürfte zu buchen sein: dank einer sublimierten Dar¬
stellung des Liebesspiels der Geschlechter — einer Darstellung, der, obwohl
auch Satire, die grellen Bitterkeiten Strindbergs und Wedekinds fehlen
nicht zuletzt aber dank dem tolpatschigen Zugriff irgend eines vermotteten
Kleinhirns wird dem „Reigen“ ein größerer und nachhaltigerer Kassenerfolg
beschieden sein, als die Direktion Eysoldt=Sladek sich hat träumen lassen.
And der unbehütete Bürger mit der berüchtigten Normalstruktur des Scham¬
gefühls wird durch dieses tänzerische Kunstwerk edelster Nasse weniger
Schaden an seiner Seele nehmen, als durch einen einfachen Tauentzien¬
bummel. Hic Rhodus — hic salta!
Dienstbach & Moebius, Bankgeschäft, Berlin W56
Gegründet 1869 Oberwallstraße 20 Gegründet 1869
Fernsprecher: Zentrum 2035, 4970, 5904, 5740, 8500, 11335
Zweigstelle: Seebad Heringsdorf, Haiserhof, Seeseite
Ausführung aller bankgeschaftlichen Transaktionen
Sachgemäße Beratung über Kapitalanlage!