11.
Re
#igen
box 18/1
DAS KLEINE SCHAUSPIELHAUS
Bürgermädchen von 1890, das wohlbehütet auferzogen, verlobt und
verheiratet wurde. Ihre Bahn war geglättet. Ihr Weg vorgesehen.
Das Bürgermädchen von 1910 ist géstern wohlhabend gewesen,
morgen ist es auf eigenen Broterwerb angewiesen, es hat bis 1914
keinen nackten Manneskörper erblickt, 1914, 15, 16, 17, 18 ist
es in Lazaretten tätig gewesen, hat Verwundete entkleidet, Operierte
gewaschen, an Betten Rekonvaleszenter nächtelang gesessen. Wie
wollt ihr mit Menschen von ganz anderem Erlebnisgehalt die alten
bürgerlichen Schicklichkeitsbegriffe aufrechthalten? Solchen ge¬
anderten Schicklichkeitsbegriffen entspricht es, daß Schnitzler 1920
zur Aufführung des „Reigen“ seine Zustimmung gab, die er um
1910 vielleicht noch verweigert hätte.
*
Aber der Widerstand, den diese Aufführungen gefunden haben?
In Wahrheit hat der „Reigen“ nirgendwo den Widerstand des
natürlichen, unvoreingenommenen Publikums gefunden. Selbst¬
verständlich hat es überall auch Zuschauer gegeben, die enttäuscht
oder verdrossen oder gelangweilt werden. Dies ist ihr gutes,
subjektives Recht und solche Besucher mögen, wenn es ihnen
Bedürfnis ist, andere vor dem Besuche warnen. Aber die Stö¬
rungen, die in einigen Städten vorfielen, waren organisierte Mache,
bei der oft genug mißbrauchte, unwissende Menschen mittaten,
die ursprünglich garnicht wußten, worum es sich handle. Schnitzler
selbst hat nicht einmal in Wien, als ein katholischer Gesellen¬
verein zur Störung der Vorsteilung entsandt wurde, dagegen
protestiert. Er schreibt in einem Briefe, den ich in meiner Zeit¬
schrift „Das Tagebuch“ veröffentlicht habe: „Ich käme mir
unsäglich komisch vor, wollte ich mit den Abgeordneten Kunschak
oder Seipel oder mit dem Schusterlehrlich polemisieren, der das
Theater stürmt mit dem begeisterten Ruf: „Nieder mit dem „Reigen!“
Man schändet unsere Frauen! Nieder mit der Sozialdemokratie!“
Es kann übrigens auch ein stud. med. gewesen oder ein Tapezierer¬
gehilfe — wobei meine Sympathie noch mehr bei dem Tapezierer
gehilfen ist als bei Herrn Seipel oder Kunschak. Ich habe ja
schon einige ähnliche Sachen erlebt, wenn auch in bescheideneren
Dimensionen. Nach einigen Jahren bleibt von all dem nichts
weiter übrig als die Bücher, die ich geschrieben, und eine dunkle
Erinnerung an die Blamage meiner Gegner.“
*
Dunkle Erinnerung an die Blamage meiner Gegner.
7
Just —
000c
##
Objektive. Seichstech
Tordamer
Vg. (ersegan
Berüen S
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DAS KLEINE SCHAUSPIELHAUS
Bürgermädchen von 1890, das wohlbehütet auferzogen, verlobt und
verheiratet wurde. Ihre Bahn war geglättet. Ihr Weg vorgesehen.
Das Bürgermädchen von 1910 ist géstern wohlhabend gewesen,
morgen ist es auf eigenen Broterwerb angewiesen, es hat bis 1914
keinen nackten Manneskörper erblickt, 1914, 15, 16, 17, 18 ist
es in Lazaretten tätig gewesen, hat Verwundete entkleidet, Operierte
gewaschen, an Betten Rekonvaleszenter nächtelang gesessen. Wie
wollt ihr mit Menschen von ganz anderem Erlebnisgehalt die alten
bürgerlichen Schicklichkeitsbegriffe aufrechthalten? Solchen ge¬
anderten Schicklichkeitsbegriffen entspricht es, daß Schnitzler 1920
zur Aufführung des „Reigen“ seine Zustimmung gab, die er um
1910 vielleicht noch verweigert hätte.
*
Aber der Widerstand, den diese Aufführungen gefunden haben?
In Wahrheit hat der „Reigen“ nirgendwo den Widerstand des
natürlichen, unvoreingenommenen Publikums gefunden. Selbst¬
verständlich hat es überall auch Zuschauer gegeben, die enttäuscht
oder verdrossen oder gelangweilt werden. Dies ist ihr gutes,
subjektives Recht und solche Besucher mögen, wenn es ihnen
Bedürfnis ist, andere vor dem Besuche warnen. Aber die Stö¬
rungen, die in einigen Städten vorfielen, waren organisierte Mache,
bei der oft genug mißbrauchte, unwissende Menschen mittaten,
die ursprünglich garnicht wußten, worum es sich handle. Schnitzler
selbst hat nicht einmal in Wien, als ein katholischer Gesellen¬
verein zur Störung der Vorsteilung entsandt wurde, dagegen
protestiert. Er schreibt in einem Briefe, den ich in meiner Zeit¬
schrift „Das Tagebuch“ veröffentlicht habe: „Ich käme mir
unsäglich komisch vor, wollte ich mit den Abgeordneten Kunschak
oder Seipel oder mit dem Schusterlehrlich polemisieren, der das
Theater stürmt mit dem begeisterten Ruf: „Nieder mit dem „Reigen!“
Man schändet unsere Frauen! Nieder mit der Sozialdemokratie!“
Es kann übrigens auch ein stud. med. gewesen oder ein Tapezierer¬
gehilfe — wobei meine Sympathie noch mehr bei dem Tapezierer
gehilfen ist als bei Herrn Seipel oder Kunschak. Ich habe ja
schon einige ähnliche Sachen erlebt, wenn auch in bescheideneren
Dimensionen. Nach einigen Jahren bleibt von all dem nichts
weiter übrig als die Bücher, die ich geschrieben, und eine dunkle
Erinnerung an die Blamage meiner Gegner.“
*
Dunkle Erinnerung an die Blamage meiner Gegner.
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Objektive. Seichstech
Tordamer
Vg. (ersegan
Berüen S