11. Reigen
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DAS KLEINE SCHAUSPIELHAUS
Die körperliche Vereinigung sollte stets lediglich der natürliche Ausfluß
innigster seelischer Gemeinschaft sein. Ein Verfall dieser Auffassung hat
eider in weitesten Schichten Platz gegriffen. Diesen Kreisen wird durch
diese Aufführung die ganze Jämmerlichkeit des in ihrer Mitte mehr und mehr
einreißenden sittlichen Tiefstandes nachdrücklichst vorgeführt. Es wird
gezeigt, wie durch einen unedlen und unvollkommenen Genuß des Augen¬
blicks gedankenlos und würdelos zu Boden getreten wird, was der Menschheit
das Heiligste sein sollte. Die Wiederholung der nämlichen Redewendung
geitens der nämlichen Person bei zwei verschiedenartigen Anlässen und die
Wiederkehr solcher Wendungen bei verschiedenen Personen in ähnlicher
Lage, kennzeichnen treffend jenen Mangel an Eigenart und Selbständigkeit,
auf dem der geringe Persönlichkeitswert des Durchschnittsmenschen unserer
Zeit beruht. Diese Entwürdigung des Geschlechtsverkehrs zur Alltäglichkeit,
zur Laune, zum Leichtsinn, zum Abenteuer, dies Fehlen jeder großen, tiefen,
sittlich begründeten echten, edllen Leidenschaft wirken erschütternd, weil sie
auf richtiger Beobe tung beruhen.
Inmitten der einzelnen Bilder, wenn zur Andeutung der sich voliziehenden
Vereinigung der Vorhang auf wenige Sekunden sich schließt, und zwischen
den einzelnen Bildern ertönt eine Musik von Celesta und Cello oder Gelge
und Flôte. Diese Musik lehnt sich an keine Kunstform an und ist dazu
bestimmt, mit ihren erotischen Phrasen die Stimmung festzuhalten, die in
dem Augenblick herrscht, in dem der Vorhang den Fortgang der Handlung
verhüllen soll.
Die Wirkung der Aufführung soll nach der erklärten Absicht der Direktion
gipfeln in der Erzielung eines sittlichen Ekels vor dem Tiefstand der Haltung
weitester Bevölkerungsschichten auf dem Gebiete des Geschlechtslebens.
Auf diesen Erfolg ist jede Einzelheit berechnet. Dieser Erfolg wird bei
jedem reifen, gebildeten Zuschauer auch erzielt. Vor allem beruht diese
Wirkung auf der ernsten Hingabe der Direktion an ihre Aufgabe und auf
ihrer überlegenen Kenntnis der Wirkung der szenischen Darstellung.
So bedeutet diese Aufführung eine sittliche Tat.
Es besteht zwar die Gefahr, daß der „Reigen“ auf unreife oder unzureichend
gebildete oder schlecht erzogene oder sittlich verdorbene Menschen einen
Einfluß dahin ausübt, daß sie sich auf die hier gegeißelte Auffassung von
der Bedeutung des Geschlechtslebens einstellen. Doch kann jedes Kunst¬
werk, welches eine Andeutung des Geschlechtlichen auch nur zuläßt, au
diese mißbräuchliche Weise aufgenommen werden. Ferner wird die Meinung
vertreten, die Erörterung solcher Dinge auf der Bühne sei an sich in
sittlicher Hinsicht anstößig. Diese Meinung ist unzutreffend. Vielmehr
kann es für die Aufhaltung des sittlichen Verfalles nur förderlich sein, diese
Dinge so zurückhaltend und sachlich und zugleich so deutlich und rück¬
sichtslon aufzudecken und zur Erörterung zu stellen, wie es hier geschieht.
Aus diesen Gründen hat das Gericht die Ueberzeugung gewonnen, daß
durch die Aufführung von Schnitzlers „Reigen“ in sittlicher Beziehung bei
dem geistig und moralisch gesunden Menschen kein Anstoß erregt wird.
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DAS KLEINE SCHAUSPIELHAUS
Die körperliche Vereinigung sollte stets lediglich der natürliche Ausfluß
innigster seelischer Gemeinschaft sein. Ein Verfall dieser Auffassung hat
eider in weitesten Schichten Platz gegriffen. Diesen Kreisen wird durch
diese Aufführung die ganze Jämmerlichkeit des in ihrer Mitte mehr und mehr
einreißenden sittlichen Tiefstandes nachdrücklichst vorgeführt. Es wird
gezeigt, wie durch einen unedlen und unvollkommenen Genuß des Augen¬
blicks gedankenlos und würdelos zu Boden getreten wird, was der Menschheit
das Heiligste sein sollte. Die Wiederholung der nämlichen Redewendung
geitens der nämlichen Person bei zwei verschiedenartigen Anlässen und die
Wiederkehr solcher Wendungen bei verschiedenen Personen in ähnlicher
Lage, kennzeichnen treffend jenen Mangel an Eigenart und Selbständigkeit,
auf dem der geringe Persönlichkeitswert des Durchschnittsmenschen unserer
Zeit beruht. Diese Entwürdigung des Geschlechtsverkehrs zur Alltäglichkeit,
zur Laune, zum Leichtsinn, zum Abenteuer, dies Fehlen jeder großen, tiefen,
sittlich begründeten echten, edllen Leidenschaft wirken erschütternd, weil sie
auf richtiger Beobe tung beruhen.
Inmitten der einzelnen Bilder, wenn zur Andeutung der sich voliziehenden
Vereinigung der Vorhang auf wenige Sekunden sich schließt, und zwischen
den einzelnen Bildern ertönt eine Musik von Celesta und Cello oder Gelge
und Flôte. Diese Musik lehnt sich an keine Kunstform an und ist dazu
bestimmt, mit ihren erotischen Phrasen die Stimmung festzuhalten, die in
dem Augenblick herrscht, in dem der Vorhang den Fortgang der Handlung
verhüllen soll.
Die Wirkung der Aufführung soll nach der erklärten Absicht der Direktion
gipfeln in der Erzielung eines sittlichen Ekels vor dem Tiefstand der Haltung
weitester Bevölkerungsschichten auf dem Gebiete des Geschlechtslebens.
Auf diesen Erfolg ist jede Einzelheit berechnet. Dieser Erfolg wird bei
jedem reifen, gebildeten Zuschauer auch erzielt. Vor allem beruht diese
Wirkung auf der ernsten Hingabe der Direktion an ihre Aufgabe und auf
ihrer überlegenen Kenntnis der Wirkung der szenischen Darstellung.
So bedeutet diese Aufführung eine sittliche Tat.
Es besteht zwar die Gefahr, daß der „Reigen“ auf unreife oder unzureichend
gebildete oder schlecht erzogene oder sittlich verdorbene Menschen einen
Einfluß dahin ausübt, daß sie sich auf die hier gegeißelte Auffassung von
der Bedeutung des Geschlechtslebens einstellen. Doch kann jedes Kunst¬
werk, welches eine Andeutung des Geschlechtlichen auch nur zuläßt, au
diese mißbräuchliche Weise aufgenommen werden. Ferner wird die Meinung
vertreten, die Erörterung solcher Dinge auf der Bühne sei an sich in
sittlicher Hinsicht anstößig. Diese Meinung ist unzutreffend. Vielmehr
kann es für die Aufhaltung des sittlichen Verfalles nur förderlich sein, diese
Dinge so zurückhaltend und sachlich und zugleich so deutlich und rück¬
sichtslon aufzudecken und zur Erörterung zu stellen, wie es hier geschieht.
Aus diesen Gründen hat das Gericht die Ueberzeugung gewonnen, daß
durch die Aufführung von Schnitzlers „Reigen“ in sittlicher Beziehung bei
dem geistig und moralisch gesunden Menschen kein Anstoß erregt wird.
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