II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 842

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DAS KLEINE SCHAUSPIELHAUS
Urteil
der 6. Zivilkammer des Landgerichts III zu Berlin, Schnitzlers
„Reigen“ betreffend.
In einem Rechtsstreit, ob die Aufführung von Schnitzlers „Reigen“ in
sittlicher Beziehung Anstoß erregt, hat die 6. Zivilkammer des Landgerichts III
in Berlin folgendes inzwischen rechtskräftig gewordene Urteil ergehen lessen:
Schnitzlers Buch besteht aus 10 Bildern. In jedem Bilde treten nur 2 Personen
auf, die je zweimal und jedesmal mit einer neuauftreienden Person die geschlecht¬
liche Vereinigung vollziehen, außerim letzten Bild, wodiese Vereinigung unmittel¬
bar zuvor stattgefunden hat. Sotritt jede Person in zwei aufeinanderfolgenden
Bildern auf, nur die Dirne, den Reigen schi# eBend, stcht im ersten und letzten Bild
Das Buch bietet eine Fülle von Geist und von Feinheit. Kühne, knappe
Sätze zergliedern alle Tiefen der geistigen Verfassung und des Empfindungs¬
lebens. Teils derb, selbst roh, glatt und gemein, teils zart und empfindsam,
teils launig, neckisch, keck prickelnd, lüstern, ausgelassen und verführerisch
in der Ausmalung erfährt der immer sich gleich bleibende Gegenstand zehn
untereinander verschiedenste Abwandlungen.
Dieser Gegenstand ist die im Mittelpunkt jedes Zwiegesprächs stehende
körperliche Vereinigung. Weiterhin befindet sich im vierten, fünften, achten,
neunten, zehnten Bild der weibliche Teil im Bett. Im zweiten, dritten,
sechsten Bild ist ein mehr oder weniger erhebliches Sträuben des weiblichen
Teiles zu überwinden. Im ersten, achten, neunten Bild dagegen drängt der
weibliche Teil, und zwar im neunten Bilde mit ungemein heftiger Leiden¬
schaftlichkeit. Im vierten Bilde wird nach der ersten Vereinigung das Aus¬
bleiben der Geschlechtslust des Mannes ausgiebig erörtert. Dem ehelichen
Geschlechtsverkehr des fünften Bildes geht der Ehebruch des vierten Bildes
anscheinend nur um wenige Stunden vorauf. Dazu wird im fünften Bilde
der Ehebruch an sich ausführlich besprochen. Aus diesen Erwägungen
erweckte das Buch den Eindruck, daß seine Aufführung das sittliche Emp¬
finden erheblich verletzen und dadurch berechtigten Anstoß erregen müsse.
Zwei von dem Gerichte besichtigte Aufführungen erzielten folgenden
Eindruck: Alles was frech, schlüpfrig oder zotig wirken könnte, wird
vermieden. Selbst die Aeußerungen gewöhnlichster Geilheit im ersten Bilde
wurden so abgetönt, daß von einer Reizung der Sinnlichkelt des Zuschauers
keine Rede sein kann. Gleiches gilt von der starken sinnlichen Erregung,
der Ausgelassenheit und der Verführungskunst der Schauspielerin im neunten
Bild. Die überaus schwierige Aufgabe, die Darstellung hier nicht ins
Unschickliche oder ins Tierischtriebhafte entgleiten zu lassen, wird durch
gelungene Zurückhaltung und Zügelung alles Gemeinen vorbildlich gelöst.
Im vierten Bilde geht die Erörterung des Ausbleibens der Geschlechtslust
mit aller Sachlichkeit und Nüchternheit vor sich. Die Erörterung des Ehe¬
bruchs im fünften Bilde erscheint notwendig, um das seelische Erleben der
jungen Frau hinsichtlich des Ehebruchs, ihre Abenteuerlust, ihre Begehrlichkeit
ihre innere Zwiespältigkeit und Unruhe ins rechte Licht zu rücken.