II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 867

11. Reigen
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Mobhängige Seltschrift fu
Fernruf
42-2-16
zudische Interessen¬
REDAKTIONGADMINISTRATION
Wien 2., Heinestraße 13
XXXVII. Jahrgang
Wien, 1. April 1921
Nummer 7
Herrschaft über die Welt dem Judenvolk gehöre. Abgesehen
Glossen zu den Wiener Antisemitentag¬
davon, daß der jüdische Gelehrte — er ist Lessing für
ereignissen.
seinen „Nathan der Weise“ zu Modell gesessen — über¬
Der 13. März bleibt für Oesterreich ein historisches
haupt nie ein stolzes Wort gebrauchte, könnte ein ähnlicher
Datum, wenn auch von dem Oesterreich des Jahres 1848
Ausspruch nur auf die moralische Herrschaft des Juden¬
nicht der Schatten seiner damaligen Größe und Welt¬
tums gemünzt werden, wie dies auch an manchen Stellen
geltung übrig geblieben. Aber das Gedenken an jenen be¬
der Heiligen Schrift zu lesen ist. Die „Reichspost“ zitiert
deutsamen Tag, da Wien Metternich und Sedlnitzky über¬
auch, sehr gegen sich und ihre Partei, Pestalozzi: „Wer die
wunden, Bürger, Arbeiter und Studenten gemeinsam auf
Schule hat, hat den Geist des Volkes.“ Wer aber sucht
den Barrikaden ihr Blut für das Morgenrot der Freiheit
krampfhafter und rücksichtsloser die Schule an sich zu
vergossen, wird dauern für alle Zeiten und lebendig
reißen als die christlichsoziale Partei, um an diesem
bleiben im Bewußtsein aller, die an die Ideale der
archimedischen Punkt den Hebel anzusetzen, von dem aus
Menschheit glauben. Der Wellengang des Fortschrittes
jegliches Kulturwerk aus den Angeln zu heben ist?
der Reaktion hat seit jenem bedeutungsvollen 13. März
Vom Pariser Rothschild wird in aufreizender Absicht
einigemal gewechselt und man darf sagen, daß er heuer
das geschmacklose Lozele erzählt, daß er beim Anblick der
nicht nur seinen bedauerlichsten Tiefgang, sondern seine
vor seinem Fenster passierenden Karossen des Hochadels
empörendste Schändung erfahren hat. Denn am 13. März
gesagt haben soll: „Das werden in dreißig Jahren unsere
1921 war es, daß in Wien zum Abschluß des Antisemiten¬
Türhüter sein.“ Für diese adeligen Opfer der Juden wird
konventikels eine wüste Judenhetze in den vornehmen
das Mitleio der arischen Welt in Anspruch genommen,
Straßen abgeführt wurde. Lassen wir uns nicht täuschen!
da semilische Machtbegier sich in Palästen und Schlössern
Es geht nach dem Sprichwort: „Man schlägt den Sack
breit macht, die alten erbgesessenen Besitzer, die Trüger
und meint den Esel.“ So wurden auch diesmal von auf¬
eines Stückes Heimarsgeschichte, vertrebt.
geregten Studenten, Frontkämpfern und gedungenem
Aber näher betrachtet, entpuppen sich diese Träger
Pöbel Juden attackiert, aber letzten Endes gilt die Be¬
der Heimatsgeschichte als Aristokraten, die ohne Lebens
wegung der Freiheitsbestrebung. Nach berüchtigtem Muster
inhalt oder Daseinszweck unter dem dreifachen W.
in Ungarn und dem Hakenkreuz=Deutschland.
Wein, Weib und Würfelspiel — dem Schicksal verfallen.
Die Wahl zum Losschlagen der vereinigten Anti¬
Nicht die semitische Machtbegierde, vielmehr die arische
semiten gegen schuldlose Inden und noch schuldlosere
Lebensgier fordert von den edelsten der Nation ihr Opfer.
Kaffeehausfenster am 13. März sollte den eigentlichen
Hören wir die weitere Anklageschrift der „Reichs¬
Sinn der erbärmlichen Demonstration künden.
post“: Das Judentum predigt das Recht der „Tötung der
Ungeborenen“. Wie doch! War der englische National¬
Nichts kann die bodenlose Heuchelei der ganzen Aktion
ökonom und Pastor Thomas Robert Malthus, der in
restloser erhellen als die Ausführungen des Hauptorgans
seinem Bevölkerungsgesetz die Geburtenverhinderung
der Wiener Christlichsozialen. Die „Reichspost“ schrieb an
empfahl, etwa vom Geiste Judas erfüllt?
jenem kritischen Sonntag in ihrem leitenden Artikel unter
anderem: „Nicht gegen einzelne richtet sich Abneigung
An dem Tage, da bereits die Regie der Wiener
und Abwehr, sondern gegen eine von Kulturgeschichte und
Antisemitenvereinigung für den sonntägigen Straßen¬
Erfahrung bestätigte Summe von Eigenschaften und Wirk¬
rummel die Rollen verteilt hatte, die Komparserie bestellt
war, schrieb Herr Funder:
samkeiten!“ Folgt dann ein ungeschicktes Jonglieren mit
echten und berufsmäßig gefälschten Zitaten, die alle die
„Daß diese Abwehr nicht äußerlich und mit Gewalt¬
Gemeinschädlichkeit der Juden für die christliche Gesell¬
mitteln geführt werden kann, ist ohne weiteres klar: Geistige
schaft erhärten sollen. So wird das stolze Wort des jüdi¬
und sittliche Gefahren bekämpft man mit gei¬
schen Philosophen Moses Mendelsohn angeführt, daß die
stigen und sittlichen Mitteln!