II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 866

11. Reigen
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Schnitzlers „Reigen“ vor Gericht.
Einspruch des Kleinen Schauspielhauses
Vor derselben Kammer des Landgerichts III, die auf Antrag
der Hochschule für Musik am 23. Dezember die einstweilige Ver¬
fügung erlassen hatte, durch die der Direktion des „Kleinen Schau¬
spielhauses“ die Aufführung des Reigen untersagt wonden war,
ist gestern über den Einspruch der Frau Gertrud Eysoldt und
des Herrn Maximilian Sladek verhandelt worden. Der Vor¬
sitzende, Geheimrat Bock, ein Mann, der dem Theater und der
Literatur keineswegs fremd gegenübersteht, bemühte sich unter dem
Eindruck einer Vorstellung, der er selbst beigewohnt hatte, um
einen Vergleich auf folgender Grundlage: Beschränkung der
Serienaufführung des Reigens auf zwei Monate, Ferhaltung von
Jugendlichen, Lösung des Mietvertrages am 31. Mai 1921.
Direktion des „Kleinen Schauspielhauses“ lehnte den Vergleich ab
mit der Begründung, entweder sei die Aufführung des Stückes
unsittlich, dann dürfe die Hochsche für Musik auch nicht in
eine beschränkte Zahl von Aufführungen willigen, oder
das Stück errege keinen Anstoß, dann habe die Direktion keinen
Grund, auf eine vorzeitige Lösung des Mietsvertrages einzugehen.
Im Gegensatz zu diesem unzweifelhaft konsequenten Standpunkt
nah mdas Kultusministerium, vertreten durch seinen Referenten
Dr. Seelig und Rechtsanwalt Alsberg, eine recht anfechtbare
Haltung ein. Es ging nämlich aus den Erklärungen hervor, daf
es dem Kultusministerium in Wirklichkeit darauf ankommt, den
Saal der Hochschule für Musik, in dem die Aufführungen des
„Kleinen Schauspielhauses“ stattfinden, für andere Zwecke freizu¬
bekommen, und daß es die angebliche Unsittlichkeit der Reigen=Auf¬
führung nur als Vorwand benutzen will, um dieses Ziel möglichst
rasch zu erreichen. Daraus ergab sich die seltsame Situation, daß
sich Frau Eysoldt auf ein vom Deutschen Bühnenverein erbetenes
Gutachten des Professors Alfred Klaar stützte, der Vertreter des
sozialistischen Kultusministers dagegen sich auf Herrn Professor
Roethe berief — immerhin eine verblüffende Bundesgenossen¬
schaft. Das Gericht ist gestern noch zu keinem Urteil gekommen,
sondern hat beschlossen, daß zunächst die Beisitzer einer Vorstellung
des „Reigen“ beiwohnen sollen. Das Urteil wird am Donnerstag
10 Uhr vormittags publiziert werden.
M. R.
Ausstellung „Farbe und Mode“.
Die Akademie der Künste öffnet
ihre Ausstellungssäle in Zukunft auch den Werken der angewandten
Künste. Im Februar beginnt die Ausstellung „Farbe und Mode“, veran¬
staltet vom Verband der Deutichen Mode=Industrie und der Interessen¬
gemeinschaft der deutschen Farbstoffabriken. Das Programm, dessen
Ausarbeitung und Ausführung in den Händen des Professors Bruno
Paul liegt, behandelt den Zusammenhang des künstlerischen Wirkens mit
der Mode und der Farbenanwendung.
970
Frommannstraße 4 I, erbeten.
Schnitzlers „Reigene als Buch freigegeben. — Das Berliner
28=Uhr=Abendblatt= berichtet unter dem 24. März in folgender Weise
über diese Freigabe:
Schnitzlers viel angefeindeter =Reigen= bildete u. a. die Grund¬
lage einer Anklage wegen Verbreitung unzüchtiger Schriften, die die
6. Strafkammer des Landgerichts III beschäftigte. Bei einem Fräu¬
lein P., die eine Mietbücherei betrieb, war neben pornographischen
Schriften auch Schnitzlers =Reigen= als unzüchtig beschlagnahmt wor¬
den, was die Anklage zur Folge hatte. Die Verhandlung bot an sich
nichts besonders Bemerkenswertes; interessant war nur, was das Ge¬
richt zur Begründung der Freigabe des Schnitzlerschen Buches anführte
Während der Staatsanwalt 3 Monate Gefängnis, 2 Jahre Ehrverlust
gegen die Angeklagte und Beschlagnahme sämtlicher Schriften, also auch
des =Reigene beantragte, schloß sich das Gericht den Ausführungen des
Rechtsanwalts Dr. Walter Niemann an, indem es nur auf 800 Mark
Geldstrafe und Beschlagnahme erkannte und ausdrücklich Schnitz¬
lers =Reigens in Buchform hierbei ausschloß. Nach Ansicht des Ge¬
richts sei dieses Werk nicht als unzüchtig im Sinne des Gesetzes
anzusehen, was jedoch kein Präjudiz für die Aufführung im
Theater sein solle, da das Gericht hierüber nicht zu befinden gehabt
hätte. Jedenfalls sei der künstlerische Wert des =Reigen= so über¬
wiegend, daß dieser als unzüchtige Schrift nicht anerkannt werden
könnte.
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