II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 870


11. —igen
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Die Wahrheit
Nr. 7
Bedenkt man, welche maßlose antisemitische Hetze sich
Chassidisches.
an die Aufführung von Schnitzlers „Reigen“ insbesondere
Von Chajim Bloch.
in Oesterreich anschloß (in Deutschland versuchten Rohlinge
die Aufführung planmäßig zu sprengen und konnten hierin
Von Friedrich Nietzsche rührt ein Wort her, daß
nur durch das energische Einschreiten der Berliner Polizei
zwar die moralischen Werte in den verschiedenen Zeiten
verhindert werden), so wird man die Objektivität, die aus
eines Volkes dieselben bleiben, aber die Gefühle, die diese
dem vorliegenden Urteil spricht, doppelt anerkennen müssen,
Werte begleiten, sich oft im Wandel befinden. Das trifft
ganz gleichgültig, wie man sich zu der Aufführung des
in gewissem Sinne nur im Chassidismus seine Bestätigung.
Reigens stellt. Ich will dieses künstlerische Problem absicht¬
Wie herzlich das sangesfrohe und musikliebende Volk
lich nicht in den Bereich meiner Erörterungen ziehen. An
Israel mit der Natur stand und lebte, wie sie ihm zur be¬
dieser Stelle kommt es mir lediglich darauf an, daß die
lebten, beseelten, mitfühlenden Mutter, Freundin und
deutschen Richter bemüht waren, eine künstlerische und sitt¬
Freudenspenderin wurde, das verrät sich am meisten in
liche Frage rein als Sache zu behandeln, ohne sich hierbei
den weitgehenden Personifikationen derselben, mit welchem
von nationalistischer Voreingenommenheit irgendwie be¬
namentlich die Psalmen und prophetischen Bücher durch¬
einflussen zu lassen.
woben sind.
Auch im Familienrechte, insbesondere im Eherechte
Das jüdische Volk hat von der Freude, dieser
und bei der Frage der Kindererziehung haben die deutschen
tiefsten und klarsten von Gottes Thron und Wesen aus¬
Gerichte wiederholt Gelegenheit gehabt, zu jüdischen
fließenden Quelle, reichlich geschöpft. Der hebräische Wort¬
Fragen Stellung zu nehmen. Auch hier haben sie nach
schatz, der doch arm ist im Vergleich mit den klassischen und
meinen Erfahrungen und Kenntnissen durchaus den Willen
modernen Sprachen, hat doch nicht weniger als zwölf
gehabt, die besonderen religiösen Verhältnisse objektiv zu
Zeitwörter, welche ein Sichfreuen, Fröhlichsein bedeuten.
beurteilen. Ich werde einige bisher noch nicht hinreichend
Und diese im Laufe 1900jähriger Verbannungsdauer
bekannte grundsätzliche Entscheidungen der deutschen Ge¬
versandete und verschüttete Quelle wurde vom Rabbi
richte bei Geelgenheit in einem späteren Artikel des näheren
Israel Baal=Schem=Tob, dem Stifter des Chassidismus,
besprechen.
neu entdeckt und zum Fließen gebracht.
Das Menschenherz vermag sich nur durch Freude
Noch auf einen Gesichtspunkt möchte ich an dieser
allein, so lehrt Baalschem, dem Vater im Himmel zu
Stelle hinweisen. Es wäre sehr zu wünschen, daß sich auch
nähern und man kann Gott nur in vollendeter Freude
unsere jüdischen Mitbürger, wenn sie vor Gericht stehen
dienen. Nur durch Freude kann man zur wahren Gottes¬
stets der Verantwortung bewußt werden, welche sie nicht
liebe gelangen, denn es ist dem Vater nicht angenehm,
für sich selbst, sondern auch für ihre Gemeinschaft tragen.
wenn er seinen Sohn traurigen Antlitzes sieht. Schwer¬
Aus diesem Grunde sollten sie also vermeiden, was geeignet
mut führt den Menschen jedoch zum Abgrund. Die Glorie
ist, diese Gemeinschaft vor dem Richter herabzusetzen, und
Gottes ruht nicht dort, wo Düsterheit herrscht. Selbst
sie sollten unter diesen Umständen eventuell auch einmal ein
wenn man eine Sünde beging, darf man sich nicht der
Opfer ihrer persönlichen Empfindlichkeit bringen. So sollte
Traurigkeit hingeben: es hieße das Werk des Jezez Hora
man insbesondere, wofern nicht ein besonderes Bedürfnis
des bösen Triebes, tun und nur durch Freude kann man
gegeben ist, vermeiden, Klatsch und Zänkereien unter Be¬
mit Gott sich vereinen. Wohl darf das jüdische Herz
kenntnisgenossen im Wege der Privatklage auszutragen,
wegen des Golus, der Verbannung der Gottesglovie, so¬
und man sollte, soweit ein Weg zur gütlichen Einigung ge¬
wie der Verwüstung des Tempels schwermütig sein. Diese
geben ist, diesen vorziehen. Auch bei Ehesachen sollte man
Schwermut soll aber durch den Gedanken gebannt werden,
alles vermeiden, was einem Streite eine unnötige gehässige
daß wir durch Lernen und Beten einen geistigen Tempel
Zuspitzung geben könnte. Dies sind allgemeine Grundsätze,
bauen; am wichtigsten ist nur, daß wir unser Herz zum
von denen wir gern anerkennen wollen, daß sie sich im
Altar des Tempels machen. Wer die ganze Thora
großen und ganzen schon jetzt eingebürgert haben, die man
und alle Gebote erfüllt hat, aber keine Freude empfand,
aber nicht zu oft wiederholen kann.
so öffnet man ihm, wenn er stirbt, zwar die Pforte des
Garten Edens, aber weil er die Freude in der Welt nicht
gefühlt hat, fühlt er auch die Freude des Gartens nicht.
Der „Sehar“ sagte vom Ari,!) dem „großen Löwen“ er
habe nur dadurch sich verdient gemacht, daß durch ihn
die Mysterien der Lehre und die verborgenen Gedanken
Die Administration der „Wahrheit“
im Sohar=Buch offenbart wurden, und daß er die höchste
bittet um baldfreundliche Einsendung
Stufe erreichte, den Propheten Elijahn zu schauen, weil er
stets aus Wonne Gott diente. Der Magid von Kozienze
der rückständigen Abonnementbeträge.
deutet den Vers: „Und er sah ihr Leid, als er ihren Gesang
1) Anfangsbuchstaben der Worte „Askenasi Rabbi Jizchak“,
Rabbi Jizchak Lourje.