11. Reigen
box 18/2
Klose & Seidel
Bureau für Zeitungsausschnitte
Berlin NO. 43, Georgenkirchplatz 21
Zeitung: Berliner Tageblatt
Berlin
Datum:
So zuckte es eigentlich dem amtlichen Hüter der Sittlichkeit schon
Zur Reigenhetze.
in den Fingern, die Anklage gegen alle Beteiligten zu erheben, als
ihm das Urteil seiner Richterkollegen einfiel, wonach ja die Reigen¬
Von
Nachdruck verboten.]
Aufführung als nicht anstößig erklärt worden ist, und er kommt zu
Mazimilian Siadek,
der eigenartigen Schlußfolgerung, daß uns bisher der unzüchtige
Direktor des Kleinen Schauspielhauses, Berlin
Inhalt der Aufführung wohl nicht zum Bewußtsein gekommen ist.
Wohl bemerkt: — „Bisher.“ Das soll wohl heißen, jetzt, wo
Herr Direktor Sladek schickt uns folgende
Zuschrift:
wir die persönliche Ansicht des Herrn Staatsanwalts kennen, können
wir dieses Bewußtsein nicht mehr haben, und es bleibt abzuwarten,
„Die Aufführung des „Reigen“ ist eine sittliche Tat.“
Dieses Urteil hat die sechste Zivilkammer des Landgerichts III
ob sich nun nicht jemand findet, der den notwendigen sittlichen An¬
stoß nimmt.
zu Berlin gefällt. Es ist rechtskräftig geworden, und man müßte
Die „Tägliche Rundschau“ tut dies prompt. Der Kreis ist
annehmen, daß damit die Reigenhetzen ihr wohlverdientes und
ge¬
schlossen, und die Reigen=Hetze kann von neuem beginnen,
auch von mir heiß ersehntes Ende gefunden hätten. — Aber wer
die
Reigen=Hetze, die ihr Beginnen weder in etwas Sittlichem, noch
dieser Meinung war, der hat die deutschen Mucker und Sittlich¬
in
etwas Unsittlichem, sondern in einer rein wirtschaftlichen Forderung
keitsschnüffler weit unterschätzt. Es hatte diesen Herrschaften
hatte
nicht genügt, das Stück von der Zensur — pardon, die haber
Denn darüber kann kein Zweifel entstehen: Das Verbot, das
wir ja nicht mehr —, von der Polize verboten zu sehen. Nein,
mir als Weihnachtsgeschenk die Androhung einer sechswöchigen
der unsittliche Direktor mußte wegen Vergehens gegen die Sitt¬
Haft brachte, entstammte lediglich dem Wunsche, den Pachtvertrag mit
lichkeit bestraft und womöglich ins Gefängnis geschickt werden. ...
der Hochschule zu kündigen, da das Haus für eigene Zwecke nutzbar
So wurde die Staatsanwaltschaft zu Hilfe gerufen. Aber vor
gemacht werden sollie. Dieser Wunsch griff dann die unsittliche Tat
wenigen Tagen kam der Beschluß gegen die „Angeschuldigten“
der Reigenaufführung auf. Der damalige Kultusminister scheute sich
Frau Eysoldt, mich, den Regisseur Reutsch und sämtliche
Mit¬
nicht, sich auf gewisse Bestimmungen des Vertrages zu beziehen, wie
glieder, Schauspieler und Schauspielerinnen (Inspizient und
solche bei dem früheren königlich preußischen Kultusministerium üblich
Souffleuse waren vergessen) heraus, nach dem wir alle aus dem
waren. Daß dazwischen sozusagen eine kleine Revolution lag, welche
„tatsächlichen Grunde des mangelnden Beweises außer Verfolgung
die Anschauungen auch in dem, was politisch, religiös und sittlich an¬
gesetzt werden“
stößig war, geändert hatte, socht die Herren Hausbesitzer nicht an.
Nun glaubten wir wirklich Ruhe zu haben. Aber wiederum
Das Gericht hob die einstweilige Verfügung auf, die Aufführungen
weit gefehlt!
gingen ohne jede Zwischenfälle weiter, 60 Aufführungen gingen glatt
Die Unterhaltungsbeilage der „Täglichen Rundschau“ vom 27. Juni
vorüber, da brachen in Wien antisemitische Skandale bei der Reigen¬
bringt einen Artikel: „Neues vom Reigen=Skandal“, veröffentlicht
premiere aus. Das ließ die Leute mit dem Hakenkreuz in Berlin
das Urteil, das uns außer Verfolgung setzt — und tut was
Sie
nicht schlafen. Ich wurde zum oftgalizischen, schwarzen, dicken Juden
denunziert uns von neuem bei der Staatsanwaktschaft.
gestempelt (ich bin blond, Christ, guter preußischer Staatsbürger, setze
Und nach der Begründung, die der Herr Staaisanwalt seiner
aber leider etwas Fett an), und im Hauptquartier eines bekannten
Entscheidung beigegeben hat, sieht es beinahe so aus, als ob die „ob¬
antisemitischen Verbandes ward der Kriegsplan entworfen, der mir
jektivste Behörde der Welt“ auf derartige Denunziotionen nur ge
durch Ueberkäufer noch rechtzeitig veraten wurde. Die Truppe wurde
wartet hätte. Denn im Gegensatz zu dem Gericht, das die Auf
nach dem Westen Berlins, versehen mit Stinkbomben, in Marsch ge¬
führung des „Reigen“ als absolut unanstößig erkannt hat, wird hier
etzt, und der Angriff erfolgte wie bekannt am 22. Februar. Dank der
die Darstellung als unsittlich, das Schamgefühl ver¬
Sipo endete die Schlacht für die tapferen Krieger mit der Fahrt im
letzend und Aergerniserregend charakterisiert. Es wird
Lastauto zum Polizeipräsidium.
auch behauptet, daß die Aufführung Aergernis erregt hat.
Nachdem so der Angriff im offenen Felde abgeschlagen war, wurden
Bei wem, wird nicht verraten. Wer in die Aufführung hinein¬
Unterschriften gesammelt, um die Staatsanwaltschaft mobil zu machen,
geht, kennt ja den Stoff des Stückes und kann sich nachher nicht
# mit dem oben geschilderten Erfolge.
beschwert fühlen.
Ich habe bisher bei der ganzen Reigenhetze nie das Wort genommen
Besonders erregt hat den Staatsanwalt die Musik, welche die
und habe alle Angriffe, die gegen meine Person gerichtet waren, mit
einzelnen Bilder miteinander verbindet. Wenn ich die Worte des
Stillschweigen übergangen. Ich habe das in erster Reihe getan aus
Staatsanwalts, mit der er die paar Takte charakterisiert, wörtlich
dem Gefühl heraus, nicht den Anschein zu erwecken, als ob ich für das
#itierte, würde mein Schamgefühl verletzt und wirklich Aergernis er¬
von mir aufgeführte Werk Reklame machen wollte. Den neuen Hetze¬
reien aber muß ich entgegenteeten.
Das Stück ist jetzt fast 200 Mal in Berlin aufgeführt worden,
bis auf einen Tag, wo bestellte Arbeit die Aufführung zu unter¬
brechen suchte — ohne die geringsten Zwischenfälle.
In Hamburg und Leipzig ist es unbeanstandet zur Darstellung
gelangt, andere Städte bereiten die Aufführung vor.
Mit welchem Recht darf die „Tägliche Rundschau“ sich nun öffent¬
lich an die Staatsanwaltschaft wenden und fragen: „Was gedenkt die
Polizei jetzt zu tun. nachdem eine entscheidende Wendung in der
rechtlichen Beurteilung der Reigen=Aufführung eingetreten ist?
Besteht das Urteil, daß die Aufführung unaustößig ist, nun
nicht mehr, weil ein Staatsanwalt sie als unsittlich ansieht?
Sollen meine Schauspieler und ich, die wir uns allabendlich
von der Wirkung des Werkes überzeugen, nun auf einmal das Gefühl
haben, eine unsittliche, unzüchtige Handlung zu begehen? Soll der
Reigen der Reigenhetze nun von neuem beginnen?
2—
Die Aufführung des Reigens ist eine sittliche Tat, sagte das Ge¬
richt. — Ich sage: den Reigen=Denunzianten, den Moralschnüfflern,
den Theaterrittern vom Hakenkreuz ihren Mund zu stopfen, wäre
erst recht eine sittliche Tat!
box 18/2
Klose & Seidel
Bureau für Zeitungsausschnitte
Berlin NO. 43, Georgenkirchplatz 21
Zeitung: Berliner Tageblatt
Berlin
Datum:
So zuckte es eigentlich dem amtlichen Hüter der Sittlichkeit schon
Zur Reigenhetze.
in den Fingern, die Anklage gegen alle Beteiligten zu erheben, als
ihm das Urteil seiner Richterkollegen einfiel, wonach ja die Reigen¬
Von
Nachdruck verboten.]
Aufführung als nicht anstößig erklärt worden ist, und er kommt zu
Mazimilian Siadek,
der eigenartigen Schlußfolgerung, daß uns bisher der unzüchtige
Direktor des Kleinen Schauspielhauses, Berlin
Inhalt der Aufführung wohl nicht zum Bewußtsein gekommen ist.
Wohl bemerkt: — „Bisher.“ Das soll wohl heißen, jetzt, wo
Herr Direktor Sladek schickt uns folgende
Zuschrift:
wir die persönliche Ansicht des Herrn Staatsanwalts kennen, können
wir dieses Bewußtsein nicht mehr haben, und es bleibt abzuwarten,
„Die Aufführung des „Reigen“ ist eine sittliche Tat.“
Dieses Urteil hat die sechste Zivilkammer des Landgerichts III
ob sich nun nicht jemand findet, der den notwendigen sittlichen An¬
stoß nimmt.
zu Berlin gefällt. Es ist rechtskräftig geworden, und man müßte
Die „Tägliche Rundschau“ tut dies prompt. Der Kreis ist
annehmen, daß damit die Reigenhetzen ihr wohlverdientes und
ge¬
schlossen, und die Reigen=Hetze kann von neuem beginnen,
auch von mir heiß ersehntes Ende gefunden hätten. — Aber wer
die
Reigen=Hetze, die ihr Beginnen weder in etwas Sittlichem, noch
dieser Meinung war, der hat die deutschen Mucker und Sittlich¬
in
etwas Unsittlichem, sondern in einer rein wirtschaftlichen Forderung
keitsschnüffler weit unterschätzt. Es hatte diesen Herrschaften
hatte
nicht genügt, das Stück von der Zensur — pardon, die haber
Denn darüber kann kein Zweifel entstehen: Das Verbot, das
wir ja nicht mehr —, von der Polize verboten zu sehen. Nein,
mir als Weihnachtsgeschenk die Androhung einer sechswöchigen
der unsittliche Direktor mußte wegen Vergehens gegen die Sitt¬
Haft brachte, entstammte lediglich dem Wunsche, den Pachtvertrag mit
lichkeit bestraft und womöglich ins Gefängnis geschickt werden. ...
der Hochschule zu kündigen, da das Haus für eigene Zwecke nutzbar
So wurde die Staatsanwaltschaft zu Hilfe gerufen. Aber vor
gemacht werden sollie. Dieser Wunsch griff dann die unsittliche Tat
wenigen Tagen kam der Beschluß gegen die „Angeschuldigten“
der Reigenaufführung auf. Der damalige Kultusminister scheute sich
Frau Eysoldt, mich, den Regisseur Reutsch und sämtliche
Mit¬
nicht, sich auf gewisse Bestimmungen des Vertrages zu beziehen, wie
glieder, Schauspieler und Schauspielerinnen (Inspizient und
solche bei dem früheren königlich preußischen Kultusministerium üblich
Souffleuse waren vergessen) heraus, nach dem wir alle aus dem
waren. Daß dazwischen sozusagen eine kleine Revolution lag, welche
„tatsächlichen Grunde des mangelnden Beweises außer Verfolgung
die Anschauungen auch in dem, was politisch, religiös und sittlich an¬
gesetzt werden“
stößig war, geändert hatte, socht die Herren Hausbesitzer nicht an.
Nun glaubten wir wirklich Ruhe zu haben. Aber wiederum
Das Gericht hob die einstweilige Verfügung auf, die Aufführungen
weit gefehlt!
gingen ohne jede Zwischenfälle weiter, 60 Aufführungen gingen glatt
Die Unterhaltungsbeilage der „Täglichen Rundschau“ vom 27. Juni
vorüber, da brachen in Wien antisemitische Skandale bei der Reigen¬
bringt einen Artikel: „Neues vom Reigen=Skandal“, veröffentlicht
premiere aus. Das ließ die Leute mit dem Hakenkreuz in Berlin
das Urteil, das uns außer Verfolgung setzt — und tut was
Sie
nicht schlafen. Ich wurde zum oftgalizischen, schwarzen, dicken Juden
denunziert uns von neuem bei der Staatsanwaktschaft.
gestempelt (ich bin blond, Christ, guter preußischer Staatsbürger, setze
Und nach der Begründung, die der Herr Staaisanwalt seiner
aber leider etwas Fett an), und im Hauptquartier eines bekannten
Entscheidung beigegeben hat, sieht es beinahe so aus, als ob die „ob¬
antisemitischen Verbandes ward der Kriegsplan entworfen, der mir
jektivste Behörde der Welt“ auf derartige Denunziotionen nur ge
durch Ueberkäufer noch rechtzeitig veraten wurde. Die Truppe wurde
wartet hätte. Denn im Gegensatz zu dem Gericht, das die Auf
nach dem Westen Berlins, versehen mit Stinkbomben, in Marsch ge¬
führung des „Reigen“ als absolut unanstößig erkannt hat, wird hier
etzt, und der Angriff erfolgte wie bekannt am 22. Februar. Dank der
die Darstellung als unsittlich, das Schamgefühl ver¬
Sipo endete die Schlacht für die tapferen Krieger mit der Fahrt im
letzend und Aergerniserregend charakterisiert. Es wird
Lastauto zum Polizeipräsidium.
auch behauptet, daß die Aufführung Aergernis erregt hat.
Nachdem so der Angriff im offenen Felde abgeschlagen war, wurden
Bei wem, wird nicht verraten. Wer in die Aufführung hinein¬
Unterschriften gesammelt, um die Staatsanwaltschaft mobil zu machen,
geht, kennt ja den Stoff des Stückes und kann sich nachher nicht
# mit dem oben geschilderten Erfolge.
beschwert fühlen.
Ich habe bisher bei der ganzen Reigenhetze nie das Wort genommen
Besonders erregt hat den Staatsanwalt die Musik, welche die
und habe alle Angriffe, die gegen meine Person gerichtet waren, mit
einzelnen Bilder miteinander verbindet. Wenn ich die Worte des
Stillschweigen übergangen. Ich habe das in erster Reihe getan aus
Staatsanwalts, mit der er die paar Takte charakterisiert, wörtlich
dem Gefühl heraus, nicht den Anschein zu erwecken, als ob ich für das
#itierte, würde mein Schamgefühl verletzt und wirklich Aergernis er¬
von mir aufgeführte Werk Reklame machen wollte. Den neuen Hetze¬
reien aber muß ich entgegenteeten.
Das Stück ist jetzt fast 200 Mal in Berlin aufgeführt worden,
bis auf einen Tag, wo bestellte Arbeit die Aufführung zu unter¬
brechen suchte — ohne die geringsten Zwischenfälle.
In Hamburg und Leipzig ist es unbeanstandet zur Darstellung
gelangt, andere Städte bereiten die Aufführung vor.
Mit welchem Recht darf die „Tägliche Rundschau“ sich nun öffent¬
lich an die Staatsanwaltschaft wenden und fragen: „Was gedenkt die
Polizei jetzt zu tun. nachdem eine entscheidende Wendung in der
rechtlichen Beurteilung der Reigen=Aufführung eingetreten ist?
Besteht das Urteil, daß die Aufführung unaustößig ist, nun
nicht mehr, weil ein Staatsanwalt sie als unsittlich ansieht?
Sollen meine Schauspieler und ich, die wir uns allabendlich
von der Wirkung des Werkes überzeugen, nun auf einmal das Gefühl
haben, eine unsittliche, unzüchtige Handlung zu begehen? Soll der
Reigen der Reigenhetze nun von neuem beginnen?
2—
Die Aufführung des Reigens ist eine sittliche Tat, sagte das Ge¬
richt. — Ich sage: den Reigen=Denunzianten, den Moralschnüfflern,
den Theaterrittern vom Hakenkreuz ihren Mund zu stopfen, wäre
erst recht eine sittliche Tat!