II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 899

werden jeden Zeugen danach fragen, ob sich
hier
Herr Professor Brunner als Organisator
und
Iaspirator dieses Systems vorher bestellten
Aergernisnehmens betätigt hat
Rechtsanwalt Wolfgang Heine: Die Staats¬
anwaltschaft hat an zweiundzwanzig Organi¬
sationen die Anfrage gerichtet, ob sie Anstoß
nehmen.
Als Zeugin wird hierauf die
Generalsekretärin der Deutschen
Bahnhofs=Mission.
Fräulein Reineck, vernommen, welche ebenfalls
den „Reigen“ zweimal gesehen hat. Die Zeugin
bekundet: Mein Beruf zeigt mir stets die großen
Gefahren, welche die naturalistische Lebens¬
anschauung mit sich bringt. Ich bin zum ersten
Male auf meine Kosten in die Vorstellung ge¬
gangen, und ich kann nur sagen, daß mein sitt¬
liches Empfinden von Anfang bis Ende durch
gehn Bildern wurden Frauen vorgeführt, welche
ihre weibliche Ehre und Würde völlig vergaßen.
In drei Szenen handelte es sich um Frauen im
Beit vor und nach einem unsittlichen Verkehr.
In dem ganzen Stück kommt, gewissermaßen als
Ausgleich, nicht eine einzige anständige
Frau oder Mädchen vor, es handelt sich stets
nur um die Darstellung der niedrigsten sexuellen
Triebe der Menschen, durch welche jede anständige
Frau in ihrer Frauenehre tief beleidigt sein muß.
In dem ganzen Stück handelt es sich von Anfang
bis Ende um den Geschlechtsverkehr niedrigster
Art. Besonders anstößig war die Stelle, an der
ein Soldat ein junges Dienstmädchen verführt und
dann auf dessen Frage: Hast du mich auch lieb?
zynisch antwortet: „Das hast du doch eben ge¬
Ebenso anstößig ist die Szene, in der die
merkt!“
Schauspielerin alle Mittel anwendet, um den
„Grafen zu einem Verkehr zu veranlassen und
dadurch an sich zu keiten. Das war das peinlichste
und demütigste, was einer Frau passieren kann.
sehen zu müssen, daß öffentlich dargestellt wird,
wie sich Frauen erniedrigen.
Vorsitzender: Haben Sie auch durch unsittliche
Gesten oder die Kleidung der Schauspielerinnen
Anstoß genommen?
Zeugin: Nein. Ich habe den Eindruck ge¬
habt, daß die Künstler selbst durch den Inhalt des
Stückes jene Gesten so bringen mußten, um das
Auch bezüglich der Musik
Stück so zu spielen.
kann ich nicht sagen, daß ich sie besonders be¬
Ich möchte doch hier¬
strickend gefunden habe.
öffentlich sagen, daß das heiligste und verborgenste
des menschlichen Lebens in unverhülltester Form
auf die Buhne gebracht worden ist und zwar in
einer Weise, welche auf jugendliche oder sittlich
unreise, Menschen verderblich wirken muß. Dieser
mein Eindruck wurde bestätigt durch die Beob¬
achtungen, die ich vor, während und nach der Vor¬
stellung an Leuten machte, die ich nicht kannte
und die mich nicht kannten. Ich habe ganz junge
Leute im Theater gesehen.
Vors.: Was verstehen Sie unter „ganz jungen
Leuten“
Zeugin: Jünglinge und junge Mädchen im
Alter von 16—26 Jahren.
Nach der Vorstellung
habe ich junge Leute zärilich umschlungen vor
dem Theater gesehen, die in dem Tone weiter¬
sprachen zn den sie das Stück angeregt harte.
Ich hörte Bemerkungen: Es gibt kein reines Ehe¬
leben mehr“, „es ist nichts Unrechtes heutzutage
mehr, wenn so etwas öffentlich auf die Bühn¬
kommt“ heutzutage sind die Zustände so, und
wenn es einmal so ist, dann kann es auch ruhig
gezeigt werden. Vorher erzählen sich junge
Leute: hier soll ja „so was“ auf die Bühne kom¬
men, das wird ja sein.“ Man hörte heraus, daß
die jungen Leute sich freuten, etwas anstößiges
sehen zu können
Auf verschiedene Fragen erklärt Zeugin schlie߬
lich noch, daß sie die Gebetszene als eine Profa¬
nierung bezeichnen müsse und schließlich mit der
Erklärung, daß sie nie glauben werde, daß eine
derartige Darstellung des Schlechten und Gemei¬
nen zum Guten erziehen kann.
(Fortsetzung im Morgenbtatt.)
8 Ein Sklarzprogeß. In den beim Land¬
gericht I Berlin anhangigen Prozessen der In¬
haber der Eisenfirma Schweitzer & Oppler,
Berlin, gegen ihrer Sozius Leon Sklarz
fand gestern erstmalig ein Termin statt, und
war
uber den Antrag, durch einstweilige
Ver
fügung Herrn Sklarz die Prokura vorläufig
entziehen. Von den Antragstellern wurde