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11. Reigen
kreffende Angelegenheit dem interfraktionellen Ausschusse zur
stetigen und ruhigen Fortgang der Regierungsarbeiten ver¬
Entscheidung vorgelegt zu haben.
bürgt. Dann, aber nur dann, wird der 5. November 1921
Nur auf diesem Wege wird es möglich sein, eine wirklich
mit seiner Gründung der ersten großen Koalitionsregierung
aktionsfähige Regierungsmehrheit zusammenzuhalten und da¬
in Preußen ein geschichtlicher Wendepunkt in der Periode des
mit dann vielleicht erstmals ein Kabinett zu haben, das einen
Wiederaufbaues werden können.
16
die Zeugenaasfagen abee den „Neigen.
Berlin, 8. November.
Ausschluß dex Oeffentlichleit, was jedoch wiederum
Der Kampf um den „Reigen“ wurde heute nach der
abgelehnt wurde.
Separatvorstellung im Kleinen Schauspielhause und nach ein¬
Im Gegensatz zu ihm hat die Zeugin Doris Witt¬
tägiger Pause vor der 6. Strafkammer des Landgerichts I wieder
ner die Aufführung gelegentlich der Premiere „gragiös“ und
aufgenommen. Leider stand für die heutige Verhandlung kein
„dezen!“ eupfunden und auch jetzt noch keinen Anstoß daran
größerer Raum zur Verfügung, da bei allen Schwurgerichten
genommen. Der Kaufmann Köhne ist wiederum anderer
gegenwärtig Hochbetrieb herrscht und sämtliche Schwurgerichts¬
Ansicht. Er bofürchtet eine Demoralisievung der Jugend, die
säle demzufolge besetzt sind. Dah.r mußte die Verhandlung in
die Tendenz des Stückes mißverstehen könne und durch das
dem gewöhnlichen kleinen Sitzungssaal der Strafkammer statt¬
Stück nicht abgeschreckt, sonden ansezogen würde, wenn er sich
finden. Angesichts der zahlreichen Angeklagten und Sachver¬
auch andererseits vorstellen könne, daß gereifte Menschen sich da¬
ständigen konnte der kleine Raum schon kaum diese, geschweige
durch abschregen ließen. Seine Frau,
denn die Zeugen fassen. Da auch ein stanker Andrang des Publi¬
kums herrschte, war der Saal natürlich bald überfüllt, so daß eine
Vorsitzende des Berliner Frauenvereins gegen den Alkohol,
Luft zum Ersticken herrschte und die stundenlange Sitzung große
war gleichfalls bedrückt durch den Schmutz, der durch die Auf¬
körperliche Anstrengungen erforderte.
Nach Eröffnung
führung ans Licht gezert wurde,
Sitzung erfolgte sogleich
Die Zeugin Frau Christ, Rektorin und Vorsitzende des
der Aufmarsch der Zeugen,
Vereins Berliner Lehrerinnen, bestreitet dem „Reigen“ irgend
einen erzieherischen Wert, der sonst einem Dramg inne¬
Me über ihre Auffassung der Darstellung und ihre Gmpfindungen
wohnt. Se sieht in ihm nur das Negative einer erzieherischen
dabei Aufschluß geben sollten. Zunächst wurden zwei Ent¬
Wirkung. Die Jugeno, die das Stück sieht, muß den Eindruck
lastungszeugen, Sanitätsrat Dr. Peyser und der
gewinnen, daß das Leben sich um nichts weiter dreht, als was
praktische Arzt Dr. Römer vernommen, die übereinstimmend
das Stück darstellt. Die Stellung der Frau darin stellt eine
bekundeten, daß sie durch die Aufführung angenehm
Erniedrigung des weiblichen Geschleches dar, wogegen Zeugin
rrascht, sie als rein künstlerisch angesehen und keinen
als Frau protestiert.
sir en Anstoß daran genommen hätten.
Fräulein Grade, Lehrerin, hält die Aufführung ge¬
Einer entgegengesetzten Ansicht war der nächste Zeuge,
gegenüber dem Buch für etwas gemildert, von dem, was übrigblieb,
Direktor Steinweg, der Direktor des Zentralausschusses der
hatte sie jedoch auch noch den Eindruck, etwas stark Ugsitt¬
inneren Mission, der evangelischen Kirche, der dort die sittlichen
liches zu sehen. Alles in allem hält sie den Inhalt des Stückes
Fragen bearbeitete. Bei der Vorstellung hatte dieser Zeuge den
für unkünstlerisch und unsittlich.
elementaren Eindruck des Anstoßes und Aergernisses ge¬
Dr. Schreiber, Theologe, Vorsitzender der deutsch=evange¬
habt. Der Inhalt, jede Szene und Bewegung gaben ihm dazu
lischen Missionshilfe und des Ausschusses der Berliner Vereine
Anlaß. Die Szene mit der „jungen Frau“ hat ihn mit größtem
für Fragen der Volkssittlichkeit und des
Widerwillen erfüllt und er ist der Ueberzeugung, daß die
Darstellung solcher internen und intimen Dinge das
Vereins für Anstand und gute Sitte,
Empfinden weiter Kreise erregt, zumal sie ethisch voll¬
hat, als er nach einer diesbezüglichen Anfrage des Staatsanwalts
komyten indisferent behandelt werden. Die künstlevische Dar¬
einer Aufführung beiwohnte, zunächst als Berliner daran
stellung hat sich zwar nach seiner Ansicht in den Schranken ge¬
Anstoß genommen. Weder das kunstsinnige München, noch
halten, doch gelangte zum Durchbruch die Darstellung des
das lebensfrohe Wien, noch das schöne Dresden kannten
rochen sinnlichen Genusses, was unsere ganz
damals noch eine Aufführung des „Reigen“. Zeuge faßt sich
Atmosphäre vergiftet. Die Verteidigung richtet an ihn, wie auch
dann dahin zusammen, daß er die Aufführung als „Durstellung
später an die meisten übrigen Zeugen eine Reche von Fragen,
der Unzcht, Mißbrauch der Kunst, Verletzung der Sittlichkeit,
wieso sie in das Theater gekommen seien und von wem sie die
Gefährdung des Volkes und damti der Jugend ansieht.“
Billetts erhalten hätten, um festzustellen, daß es sich um
Der Lehrer Rost. Milglied des Deutschvölki¬
schen Vereins, war „empört“ über das, was dort als Kunst
organisiertes „Aergernis“
„verzapft“ wurde. Das habe mit Kunst nichts zu tun und als
handele, um eine Organisation des Professor
Zweck nur die Aufreizung der Sinne. Er hat es schließlich mit
Brunner. Wie die Verteidigung hervorhebt, habe der Staats¬
seiner Würde nicht für vereinbar gehalten,
anwalt an 22 Organisationen eine Anfrage gerichtet, ob sie sich
berartige „Schweinereien“
dem Protest gegen den Reigen anschlössen.
weiter mit anzusehen, so daß er nach dem 4. Bilde fortging.
Die nächste Zeugin, Frau Reineck, General
Ihm schloß sich der Lehrer Siebert an, der einen ekelerregenden
sekretärin der evangelischen Bahnhofshilfe,
Eindruck hatte. Frau Hauptmann Müller sah sich den Reigen
war durch die Vorstellung von Anfang bis Ende in „ihrem sitt¬
an, nachdem in ihrer Gegenwart vielfach in nationalistischen
lichen Empfinden tief gekränkt.“
In zehn Bildern würden
Kreisen, insbesondere im Deutschen Offiziersbund, geäußert
Frauen vorgeführt, die ihre Würde vergessen hätten. Die Situa¬
worden war, sittlich hochstehende Menschen sollten es sich nicht
tionen seien unzüchtig und verschiedentlich eine Profanation
länger gefallen lassen, daß solch bodenlose Schweinereien dem
z. B. des Gebets.
deutschen Volke weiter geboten würden und deshalb das Theater
Von den weiteran Zeugen bekundete der Bankprokurist
ausräuchern.
Hitzmann, daß er sich als junger Mann von 20 Jahren viel¬
Nach der Mittagspause wurde die Zeugenverneh¬
leicht ein solches Stück mit Gefallen angesehen hätte, nicht aber
mung fortgeseßt, so daß es sehr fraglich erscheint, ob heute
als gereifter Mann. Da der Zeuge sich anscheinend geniert, sich
schon die Sachverständigen zu Wort kommen können und das
deutlich auszudrücken, beantragte der Staatsanwalt nochmals den
Urteil gesprochen werden soll.
11. Reigen
kreffende Angelegenheit dem interfraktionellen Ausschusse zur
stetigen und ruhigen Fortgang der Regierungsarbeiten ver¬
Entscheidung vorgelegt zu haben.
bürgt. Dann, aber nur dann, wird der 5. November 1921
Nur auf diesem Wege wird es möglich sein, eine wirklich
mit seiner Gründung der ersten großen Koalitionsregierung
aktionsfähige Regierungsmehrheit zusammenzuhalten und da¬
in Preußen ein geschichtlicher Wendepunkt in der Periode des
mit dann vielleicht erstmals ein Kabinett zu haben, das einen
Wiederaufbaues werden können.
16
die Zeugenaasfagen abee den „Neigen.
Berlin, 8. November.
Ausschluß dex Oeffentlichleit, was jedoch wiederum
Der Kampf um den „Reigen“ wurde heute nach der
abgelehnt wurde.
Separatvorstellung im Kleinen Schauspielhause und nach ein¬
Im Gegensatz zu ihm hat die Zeugin Doris Witt¬
tägiger Pause vor der 6. Strafkammer des Landgerichts I wieder
ner die Aufführung gelegentlich der Premiere „gragiös“ und
aufgenommen. Leider stand für die heutige Verhandlung kein
„dezen!“ eupfunden und auch jetzt noch keinen Anstoß daran
größerer Raum zur Verfügung, da bei allen Schwurgerichten
genommen. Der Kaufmann Köhne ist wiederum anderer
gegenwärtig Hochbetrieb herrscht und sämtliche Schwurgerichts¬
Ansicht. Er bofürchtet eine Demoralisievung der Jugend, die
säle demzufolge besetzt sind. Dah.r mußte die Verhandlung in
die Tendenz des Stückes mißverstehen könne und durch das
dem gewöhnlichen kleinen Sitzungssaal der Strafkammer statt¬
Stück nicht abgeschreckt, sonden ansezogen würde, wenn er sich
finden. Angesichts der zahlreichen Angeklagten und Sachver¬
auch andererseits vorstellen könne, daß gereifte Menschen sich da¬
ständigen konnte der kleine Raum schon kaum diese, geschweige
durch abschregen ließen. Seine Frau,
denn die Zeugen fassen. Da auch ein stanker Andrang des Publi¬
kums herrschte, war der Saal natürlich bald überfüllt, so daß eine
Vorsitzende des Berliner Frauenvereins gegen den Alkohol,
Luft zum Ersticken herrschte und die stundenlange Sitzung große
war gleichfalls bedrückt durch den Schmutz, der durch die Auf¬
körperliche Anstrengungen erforderte.
Nach Eröffnung
führung ans Licht gezert wurde,
Sitzung erfolgte sogleich
Die Zeugin Frau Christ, Rektorin und Vorsitzende des
der Aufmarsch der Zeugen,
Vereins Berliner Lehrerinnen, bestreitet dem „Reigen“ irgend
einen erzieherischen Wert, der sonst einem Dramg inne¬
Me über ihre Auffassung der Darstellung und ihre Gmpfindungen
wohnt. Se sieht in ihm nur das Negative einer erzieherischen
dabei Aufschluß geben sollten. Zunächst wurden zwei Ent¬
Wirkung. Die Jugeno, die das Stück sieht, muß den Eindruck
lastungszeugen, Sanitätsrat Dr. Peyser und der
gewinnen, daß das Leben sich um nichts weiter dreht, als was
praktische Arzt Dr. Römer vernommen, die übereinstimmend
das Stück darstellt. Die Stellung der Frau darin stellt eine
bekundeten, daß sie durch die Aufführung angenehm
Erniedrigung des weiblichen Geschleches dar, wogegen Zeugin
rrascht, sie als rein künstlerisch angesehen und keinen
als Frau protestiert.
sir en Anstoß daran genommen hätten.
Fräulein Grade, Lehrerin, hält die Aufführung ge¬
Einer entgegengesetzten Ansicht war der nächste Zeuge,
gegenüber dem Buch für etwas gemildert, von dem, was übrigblieb,
Direktor Steinweg, der Direktor des Zentralausschusses der
hatte sie jedoch auch noch den Eindruck, etwas stark Ugsitt¬
inneren Mission, der evangelischen Kirche, der dort die sittlichen
liches zu sehen. Alles in allem hält sie den Inhalt des Stückes
Fragen bearbeitete. Bei der Vorstellung hatte dieser Zeuge den
für unkünstlerisch und unsittlich.
elementaren Eindruck des Anstoßes und Aergernisses ge¬
Dr. Schreiber, Theologe, Vorsitzender der deutsch=evange¬
habt. Der Inhalt, jede Szene und Bewegung gaben ihm dazu
lischen Missionshilfe und des Ausschusses der Berliner Vereine
Anlaß. Die Szene mit der „jungen Frau“ hat ihn mit größtem
für Fragen der Volkssittlichkeit und des
Widerwillen erfüllt und er ist der Ueberzeugung, daß die
Darstellung solcher internen und intimen Dinge das
Vereins für Anstand und gute Sitte,
Empfinden weiter Kreise erregt, zumal sie ethisch voll¬
hat, als er nach einer diesbezüglichen Anfrage des Staatsanwalts
komyten indisferent behandelt werden. Die künstlevische Dar¬
einer Aufführung beiwohnte, zunächst als Berliner daran
stellung hat sich zwar nach seiner Ansicht in den Schranken ge¬
Anstoß genommen. Weder das kunstsinnige München, noch
halten, doch gelangte zum Durchbruch die Darstellung des
das lebensfrohe Wien, noch das schöne Dresden kannten
rochen sinnlichen Genusses, was unsere ganz
damals noch eine Aufführung des „Reigen“. Zeuge faßt sich
Atmosphäre vergiftet. Die Verteidigung richtet an ihn, wie auch
dann dahin zusammen, daß er die Aufführung als „Durstellung
später an die meisten übrigen Zeugen eine Reche von Fragen,
der Unzcht, Mißbrauch der Kunst, Verletzung der Sittlichkeit,
wieso sie in das Theater gekommen seien und von wem sie die
Gefährdung des Volkes und damti der Jugend ansieht.“
Billetts erhalten hätten, um festzustellen, daß es sich um
Der Lehrer Rost. Milglied des Deutschvölki¬
schen Vereins, war „empört“ über das, was dort als Kunst
organisiertes „Aergernis“
„verzapft“ wurde. Das habe mit Kunst nichts zu tun und als
handele, um eine Organisation des Professor
Zweck nur die Aufreizung der Sinne. Er hat es schließlich mit
Brunner. Wie die Verteidigung hervorhebt, habe der Staats¬
seiner Würde nicht für vereinbar gehalten,
anwalt an 22 Organisationen eine Anfrage gerichtet, ob sie sich
berartige „Schweinereien“
dem Protest gegen den Reigen anschlössen.
weiter mit anzusehen, so daß er nach dem 4. Bilde fortging.
Die nächste Zeugin, Frau Reineck, General
Ihm schloß sich der Lehrer Siebert an, der einen ekelerregenden
sekretärin der evangelischen Bahnhofshilfe,
Eindruck hatte. Frau Hauptmann Müller sah sich den Reigen
war durch die Vorstellung von Anfang bis Ende in „ihrem sitt¬
an, nachdem in ihrer Gegenwart vielfach in nationalistischen
lichen Empfinden tief gekränkt.“
In zehn Bildern würden
Kreisen, insbesondere im Deutschen Offiziersbund, geäußert
Frauen vorgeführt, die ihre Würde vergessen hätten. Die Situa¬
worden war, sittlich hochstehende Menschen sollten es sich nicht
tionen seien unzüchtig und verschiedentlich eine Profanation
länger gefallen lassen, daß solch bodenlose Schweinereien dem
z. B. des Gebets.
deutschen Volke weiter geboten würden und deshalb das Theater
Von den weiteran Zeugen bekundete der Bankprokurist
ausräuchern.
Hitzmann, daß er sich als junger Mann von 20 Jahren viel¬
Nach der Mittagspause wurde die Zeugenverneh¬
leicht ein solches Stück mit Gefallen angesehen hätte, nicht aber
mung fortgeseßt, so daß es sehr fraglich erscheint, ob heute
als gereifter Mann. Da der Zeuge sich anscheinend geniert, sich
schon die Sachverständigen zu Wort kommen können und das
deutlich auszudrücken, beantragte der Staatsanwalt nochmals den
Urteil gesprochen werden soll.