II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 932

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Reigen
Ktellen in Fragen, die einen der beiden Stäulten Nicht unmitter:
bar berühren. Den wichtigsten Teil des tschecho=slowakisch¬
darf wohl sagen, absurde Beschuldigung als Angeklagter
antworten mußte, erzählte er, er habe das Musikstück,
das in den Zwischenakten des „Reigen“ gespielt wurde,
viele Jahre, ehe er den „Reigen“ kennen gelernt, kom¬
poniert, und da er es als eine traurige Musik empfunden
habe, habe er ihm den Titel „Valse noire“ gegeben. Die
Sachverständigen von Gerhart Hauptmann bis zu
Alfred Kerr mußten sich das Lachen verbeißen, und der
Vorsitzende mußte die Zuhörer, die in ein helles Ge¬
lächter ausbrachen, energisch ermahnen.
Tags darauf wurde der „Reigen“ in einer
geschlossenen Vorstellung den Richtern vorgeführt. Es
war eine kuriose Vorstellung, die der Herr Vorsitzende
inszeniert hatte. Vor Beginn der Sitzung und Auf¬
führung erhob sich der Herr Landgerichtsrat und ließ die
Namen der Zuschauer, nämlich der Zeugen, verlesen.
Wer nicht erschienen war, sollte in Strafe genommen
werden. Dann erklärte der Landgerichtsrat, daß es sich
hier nicht um eine normale Theatervorstellung, sondern
um einen Teil des Beweisverfahrens handle und daß
infolgedessen jede Beifallskundgebung zu unterbleiben
habe. Man hat eine düsterere Vorstellung im Theater
kaum gesehen. Wenn eine Beifallskundgebung verboten
wurde, durfte wenigstens gelacht werden? Im Gerichts¬
saal ist das Lachen strenger noch verboten als der Beifall.
Konnte jemand, der bei der „Reigen“=Aufführung eine
Anwandlung zur Heiterkeit hatte, deshalb wegen
gerichtssaalwidrigen Benehmens in Strafe genommen
werden? Um die unsittliche Musik des Werkes zu prüfen,
die Musik mit jenem verdachtigen Rhythmus, ordnete der
Herr Vorsitzende an, daß die ganze Zwischenaktmusik
nicht in Teile zerrissen, sondern im ganzen vor Beginn
der Vorstellung gespielt werde. Nach einigen Minuten
verstummte das Orchester. Der Herr Vorsitzende
ermahnte die Zeugen, weiterzuspielen, doch der Zeuge¬
Kapellmeister erwiderte: „Das Stück ist schon zu Ende.“
Der Vorsitzende, der offenbar den aufregenden Rhythmus
erst erwartet hatte, schwieg. Zu dieser Zwangsvorstellung,
das ganze Verfahren gegen den „Reigen“ beruht auf
einer Zwangsvorstellung, hätten auch alle Zeugen
erscheinen sollen, die Anstoß nahmen. Da geschah einiges
Merkwürdige: eine oder die andre der älteren Damen
erklärte, sie könne sich den „Reigen“ nicht ein
zweites
Mal ansehen; auf Gefahr der Strafe hin bleibe sie der
Der Ministerpräsident schloß: Die Krise, die wir soeben
durchlebt haben, ist erfolgreich überstanden. Das Ziel der
Zwangsvorstellung fern. Hingegen hat eine andre
Zeugin, die auch sittlich Anstoß genommen hatte, zur
streng geschlossenen Vorstellung ihre beiden Söhne,
zwanzig= und einundzwanzigjährig, mitgenommen. Es
lag keinerlei Notwendigkeit vor, ihre Söhne dieser
außerordentlichen sittlichen Gefahr, die die Mutter im
Gerichtssaal mit beredten Worten dargestellt hatte,
auszusetzen. Aber was tut eine zur sittlichen Entrüstung
entschlossene Mutter nicht alles im Interesse der
nationalen Kultur? Ihre Söhne, ebenso sittenstreng
wie
die Mutter, entschlossen sich, das Opfer zu bringen und
den „Reigen“ anzuhören, ja noch mehr, sich in die ge¬
schlossene Vorstellung einzuschmuggeln. Sie handelten
wvie der Arzt, der sich die Bazillen in die Adern spritzt,
um die Krankheitssymptome an sich selbst zu beobachten.
Es wäre interessant gewesen, festzustellen, ####
der
Zwischenaktsrhythmus auf die beiden jungen Leute
ge¬
wirkt hat. Es wäre psychologisch wichtig gewesen,
zu
erfahren, ob die beiden Jungen, sozusagen unter
den
Augen der Mutter, errötet sind. Der Gedanke, daß die
eiden Jünglinge am Ende nicht vollkommen verläßlich
funktionierten, ist schauerlich. Wie wenn die Mutter
beide Söhne vergebens geopfert hätte? Wie schrecklich
die Vorstellung, daß die beiden Jungen, die sich in die
„Reigen“=Vorstellung eingeschlichen haben, an diesem
sittlichen Dienst ihr spitzbübisches Vergnügen hatten?
Während ich diese Zeilen schreibe, wird noch immer
weiter verhandelt. Neue Kolonnen von Zeugen, die
Anstoß nahmen, marschierten auf, neue Kolonnen von
Zeugen, die nichts dabei fanden. Der vierte Ver
handlungstag! Zu denken, daß dies nur der erste
„Reigen“=Prozeß ist und daß diese Gerichtspremiere in
allen deutschen Städten wiederholt werden wird, daß zu
hundert „Reigen“=Inszenierungen hundert „Reigen“=
Prozesse bei den Landgerichten kommen.... Und an
demselben Tage hat im Reichstag ein Minister erklärt.
daß wir unsern Beamtenapparat verkleinern sollten und
unnütze Bureaukratenarbeit unterbleiben müsse. Man
darf getrost annehmen, daß ein einziger solcher Ver¬
handlungstag, da Gerichtsfunktionäre, Zeugen, Sach¬
verständige bezahlt werden müssen, Schauspieler,
Regisseure nicht zu den Proben gehen können, daß ein
olcher Arbeitstag ein kleines Vermögen verschlingt.
„Glückliche Leut', haben zu so was a Zeit!“
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