II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 942

box 18/2
11. Reigen
Weite 4
Wien, Samstag
#tliche Möglichkeiten besaßen, als die Zeiten der
Heimlichkeit. Je mehr ein Naturakt versteckt und sogar
verachtet wird, desto mehr idealistische Gelegenheit hat
das sittliche Bewußtsein. An diesem Zustand des sitt¬
lichen Prinzips will niemand rütteln. Es bedeutet eine
moralische Erhöhung der Menschlichkeit und einen
Maßstab zur Verwertung moralischer Entwicklung. Die
Frage ist nur, was unsittlich ist, das heißt, was dieses
Ideal zu zerstören droht.
Alle Kunst ist mit Erotik durchsetzt. Nicht nur,
daß sie einen großen Teil ihres Stoffes abgibt, sondern
ihre Nerven schwingen erotisch, wenn sie schöpferisch
sind. Es ist deutlich zu erkennen, ob ein Werk ge¬
schaffen wird, nur um nackte Erotik feilzubieten oder
weil die Umstände und Nebenumstände der Erotik eine
künstlerische Erregung hervorrufen. Das ist der einzige
Unterschied. Der „Reigen“ ist geschrieben worden, um
de Nichtigkeit und Melancholie des geschlechtlichen
###ens zu zeigen, dir in einem künstlerisch reizvollen
Widerspruch steht zu seiner scheinbar unermüdlichen
Intensität. Er ist nicht geschrieben worden, um den
Geschlechtsakt zu zeigen oder zu verherrlichen. Die
Kühnheit lag darin, diesen Vorgang selbst einmal dran¬
zunehmen. Vielleicht ist das gesünder und sittlicher
v's seine Reflexe und Ausstrahlungen, die bis zu den
krankhaftesten Dämonien den Inhalt anderer Stücke
bilden. Die Begründung des gerichtlichen Freispruchs
urteilt in diesem Punkte sehr gut. Die Richter haben
erkannt, daß nicht eine gewollte Unsittlichkeit, sondern
ganz im Gegenteil ein ethisches Prinzip hier waltet.
Es bleibt nichts anderes übrig, als die Leute, die das
nicht begreifen, eines Besseren zu belehren. Wer die
Dinge der Kunst versteht, wird in jedem einzelnen
Falle sofort entscheiden können. Er wird auch den Ein¬
fluß solcher Dinge auf das Gemüt der Menschen niemals
überschätzen. Er wird un allen Dingen für die Kunst
auf diesem Gebiete rücksichtslose Freiheit verlangen,
weil man ihr Blut sonst unterbindet. Es gibt schließlich
nichts Unsittlicheres als dieses Muckertum.
Man hat bei der Anklage auch die Musik ver¬
dächtigt. Ich war als Sachverständiger geladen, konnte
aber wegen einer Reise nicht selbst erscheinen. Ich hätte
gesagt: die Musik soll einen unanständigen Rhythmus
haben? Als mich der Direktor der Hochschule entrüstet
anrief, ob ich es nicht auch aufs tiefste beschämend
finde, daß zu dem betrefsenden Vorgang Musik ge¬
nacht wurde, antnortele ich: Nein, das finde ich
eigentlich ganz nett. Es ist unerhört, von der Musik
eine unsittliche Wirkung zu fürchten. Was geschieht
am ersten Aktschluß der „Walküre“? Was geschieht
in der Einleitung des „Rosenkavalier“? Habt ihr schon
gemerkt, daß ein Mensch dadurch schlechter geworden
ist? Die Behauptung, daß die Musik einen erotischen
hythmus aufreizend nachahmt, ist entweder eine
wunderbare Entdeckung oder eine große Lächerlichkeit.
Welcher Tiefstand, daß man über diese Dinge überhaupt
erst reden muß. Vielleicht sind wir uns endlich einmal
klar geworden. Das war das Gute bei der Sache.
Nein, die wahre Unsittlichkeit liegt heute ganz
wo anders. Seht hin, wie sie in den Händen aller
Arten Schieber sich versteckt. Durchstreift die Zimmer
und die Klubs, die Lokale und die nächtlichen Straßen.
Da werdet ihr sie finden. Und da könnt ihr euch
ein Verdienst erwerben. Aber laßt endlich die arme
Kunst in Ruhe.
Bekämpfung der Preistreiberei in
Berlin.
sin
Pro
Vor
Bei
mei
gem
leun
bei
Heb
Sei¬
W
Kür
Kil
17
Col#
vers
tsch
sam
Te
und
verl
Pen
suh
ang
folf
aud
Bez
zeitt
hatt
Nei
Sch
Kin
Exr
Ber
Un
Be¬
1/8
6
tum
(Kr

17a
At
beii
ka#e
auf

1.:
beie
in
kaf
Gil
192
D
und andere Kleidungsstücke.
Aus Berlin wird uns telegraphiert: Wie dem „Lokal¬
anzeiger“ anscheinend von beteiligter Seite mitgeteilt wird,
ist der
Einspruch gegen Schnitzlers „Reigen“ keineswegs zurück¬
gezogen worden, vlermehr wid die auf Veranlassung des Kultus¬
ministeriums vom Präsidium der H####üle erhobene Einspruchs¬
klage ihren Fortgar##nehmen. Das hindert nicht,
daß
„Reigen“
„#lläbendlich, Sim Kleinen Schauspielhaus
gespielt wird. Daß das Kultusministerium das gericht¬
liche Verfahren seinesortgung nehmen läßt, deuter
auf die Absicht hin, das Kleine Schauspielhaus unter dem Vor¬
wand des Vertragsbru#s obdachlos zu machen. Ob ein Vertrags¬
bruch dadurch begangen worden ist, daß Schnitzlers „Reigen“
aufgeführt wurde, wird das Gericht zu entscheiden haben. Die
wichtigste Grundlage des Urteils wird die Entscheidung der Frage
sein, ob der „Reigen als unsittliches Stück zu betrachten ist
Das kann ein interessanter Prozeß werden!
* In Stuttgart wehrte man sich, wie von dort geschrieben
wird, in der Presse und im Theater selber gegen den Vertreter